Dachau/Heidelberg:Verteidiger der Demokratie

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Romani Rose, Sprecher der Sinti und Roma, wird 70

Es war ein zentrales Ereignis für die deutsche Erinnerungskultur: Mit einem weltweit beachteten Hungerstreik protestierten Sinti und Roma im Frühjahr 1980 an der KZ-Gedenkstätte Dachau gegen ihre Diskriminierung. Sie entrissen ihre Opfer des NS-Völkermords dem kollektiven Vergessen und stärkten das zivilgesellschaftliche Engagement in Dachau für eine Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus. Ihr Sprecher Romani Rose gründete zwei Jahre später den "Zentralrat Deutscher Sinti und Roma". Am 20. August wird Rose 70 Jahre alt - und er will mit vielen Vertretern von Politik und Kultur in Berlin feiern. Glückwünsche sollten auch aus Dachau kommen, denn die Stadt, zumindest der Teil, der sich von der NS-Geschichte nicht abwendet, hat dem Zentralratsvorsitzenden viel zu verdanken.

Sein Geburtstag fällt in eine Zeit der Unruhe. "Das wird unsere Gesellschaft verändern. Aber wir dürfen uns durch Terrorismus nicht unsere Freiheit nehmen lassen." Romani Rose ist erschüttert über Amokläufe und Anschläge, über eine aus den Fugen geratene Welt, wie er sagt. Und denkt schon weiter: Wie werden Populisten die Gewalttaten instrumentalisieren? Wächst jetzt auf dem Boden der Angst neuer Rassismus? Rose streitet selbstbewusst und wortmächtig für den Zusammenhalt der demokratischen und offenen Gesellschaft. Wie ein roter Faden zieht sich die Forderung, Sinti und Roma als deutsche Staatsbürger anzuerkennen, durch seine jahrzehntelange politische Arbeit. Seit 1982 wurde er bis heute immer wieder im Amt des Zentralratsvorsitzenden bestätigt. "Die aktuelle Amtszeit läuft noch drei Jahre, danach werde ich schauen, ob die nächste Generation übernehmen wird", sagt Rose. Er selbst hat vier Söhne, einer ist auch im Zentralrat engagiert.

Hinter dem kommunikativen und agilen Zentralratschef liegt ein langer Weg. Es dauerte Jahrzehnte, bis die Bundesrepublik die Verfolgung und Ermordung von 500 000 Sinti und Roma durch die Nazis anerkannte. In seinem Büro zeigt Rose Polizei-Karteikarten, die noch Ende der Sechzigerjahre als Identifikationsmerkmal von Sinti und Roma die eintätowierten KZ-Nummern verzeichneten. Erst vor wenigen Monaten distanzierte sich der Bundesgerichtshof (BGH) von einem Urteil aus den Fünfzigerjahren, das Sinti und Roma als "primitive Urmenschen" beschimpft und NS-Rassenideologie zitiert. "Das bedeutet für mich schon einen Meilenstein und zeigt die Kraft des demokratischen Rechtsstaats", sagt Rose. 2012 konnte nach jahrelangen Verhandlungen in Sichtweite des Reichstags das zentrale Denkmal zur Erinnerung an die NS-Verfolgung der Sinti und Roma eingeweiht werden.

Immer mehr europäische Roma leben in Angst vor Übergriffen, berichtet Amnesty International. Opfer könnten oft nicht einmal mit Beistand von der Polizei rechnen. Auch die Politik kümmere sich nicht. Sie werden beschimpft und bedroht, immer mehr Angehörige der Roma werden Opfer von rassistischen Überfällen - mitten in Europa, ob in Ungarn, der Slowakei, Tschechien oder in Griechenland und Frankreich. Rose versteht anders als viele Politiker, worum es geht: Vom Schutz der Minderheiten hängt die demokratische Zukunft Europas ab.

Für Urlaub nimmt sich Rose in diesem Sommer keine Zeit. "Vielleicht später im Herbst." Als kleine Alltagsflucht fährt er mit seinem grünen, 20 Jahre alten Jaguar - stilecht mit Holzlenkrad auf der rechten Seite - durch seine geliebte Heimatstadt Heidelberg. Und hört Gustav Mahler oder Edith Piaf. An "seine", die katholische, Kirche richtet Rose den Appell, ihre Rolle bei der NS-Verfolgung der Sinti und Roma aufzuarbeiten: "Das ist eindeutig noch nicht genügend passiert." Sein Vater versuchte noch 1943, beim damaligen Münchner Kardinal Michael Faulhaber vorzusprechen, um die Auschwitz-Deportation von Verfolgten zu verhindern. "Lange konnte ich diese Bitte nicht beweisen, wusste es nur aus Familienberichten. Aber 2013 hat eine Kirchenhistorikerin im Nachlass Faulhabers einen entsprechenden Tagebucheintrag entdeckt." Faulhaber wies Roses Vater ab. 13 Familienangehörige ermordeten die Nazis in Konzentrationslagern. "Es geht jetzt um die junge Generation. Um die gemeinsame Verantwortung, aus der Geschichte für eine demokratische Gesellschaft zu lernen", sagt er. Mit Blick auf die Flüchtlingspolitik mahnt Rose, dass "langfristig nur Menschlichkeit gewinnen kann. Sonst zerbricht die EU." Da klingt er so kämpferisch wie eh und je. Auch mit 70.

© SZ vom 18.08.2016 / KNA/hz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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