Blick nach vorne:Servus, Schalom

Dahusalem

Luisa Köhler stellt die Aufbruchsstimmung beim Erwachsenwerden mit der Haltestelle Altomünster bei Sonnenaufgang dar.

(Foto: privat)

Fast zwei Jahre lang haben die Schüler des Dachauer Josef-Effner-Gymnasiums und der Jerusalem Charles-E. Smith Highschool of the Arts an der Ausstellung "Dahusalem" gearbeitet. Es könnte der Beginn einer neuen Schulpartnerschaft werden.

Von Gregor Schiegl, Dachau

Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist bekanntlich die Weltanschauung der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben. Wer sich kein eigenes Urteil bilden kann, bedient sich beim Vorurteil, einem stetig wuchernden Kraut im Morast des Ressentiments. Der Nationalismus ist in Europa wieder auf dem Vormarsch, auch in Deutschland. Noch beunruhigender ist der Antisemitismus, die Ursaat der Menschenfeindlichkeit. Selbst an bayerischen Gymnasien findet sie schon fruchtbaren Boden. Man denke nur an die Vorfälle im Gymnasium Grafing im Jahr 2019, bei dem in einem Klassenchat gegen Juden gehetzt wurde - ausgerechnet an der Schule, die den Namen des 2016 verstorbenen Holocaust-Überlebenden und Vorsitzenden der Dachauer Lagergemeinschaft, Max Mannheimer, trägt. In seiner unprätentiösen, aber präzisen Art fing Mannheimer hier an, Schülern zu erzählen, wie die Nazis seine Familie in Auschwitz fast vollständig ausgelöscht hatten - nur weil sie Juden waren. Mannheimer gab den erschütterten Jugendlichen jedes Mal mit auf den Weg: "Ihr seid nicht verantwortlich für das, was geschah. Aber dass es nicht wieder geschieht, dafür schon."

Diese lange Vorrede ist vonnöten, um zu ermessen, welche Bedeutung der Kunstaustausch hat, den das Dachauer Josef-Effner-Gymnasium mit der Charles-E. Smith Highschool of the Arts in Jerusalem eingeleitet hat: Es ist der erste Schritt des Dachauer Gymnasiums hin zu einer Schulpartnerschaft mit Israel. Schulleiter Peter Mareis spricht von einer "sehr zarten Blüte", von der er hoffe, dass sie irgendwann voll erblühen könne. Von Dachauer Seite stehe der Verbindung nichts im Wege. "Wir wollen das unbedingt", sagt Mareis. Auch politisch ist dieser Austausch erwünscht. Im Oktober 2020 hat Kultusminister Michael Piazolo (FW) eine Vereinbarung zur Stärkung der erfolgreichen Bildungskooperation zwischen Bayern und Israel unterzeichnet. Die Generalkonsulin Sandra Simovich erklärte damals, zwei der wichtigsten Möglichkeiten, Antisemitismus und Rassismus zu bekämpfen, seien "Bildung und persönliche Begegnungen". Eine Partnerschaft lebt von den Menschen, die sie tragen, Menschen wie Kunstlehrerin Margit Meyer, die "sehr viel Engagement, Liebe und Herzblut" in das Projekt investiert habe, wie der Dachauer Schulleiter Peter Mareis nicht müde wird zu betonen. Die Stadt unterstützt das Projekt ideell und die Volksbank Dachau organisatorisch und finanziell. Schließlich stellt sie auch die Räume dafür zur Verfügung. Und natürlich hängt es auch an den Schülern selbst.

Ende Februar waren neun Dachauer Schülerinnen und Schüler des P-Kunst-Seminars schon mehr als eine Woche lang zu Gast bei den Familien der israelischen Schüler. Sie besuchten die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, fuhren ans Tote Meer, gingen Eis essen und ins Kino, was Jugendliche eben so machen. "Man hat ein bisschen das Leben der anderen kennengelernt und viel unternommen", erzählt der Dachauer Abiturient Jakob Bernstein. "Es war interessant und hat viel Spaß gemacht." In diesen wenigen Tagen sind bereits zahlreiche neue Freundschaften entstanden. Jakob Bernstein war erstaunt, wie wenig die historische Vergangenheit Dachaus für die jungen Israelis eine Rolle spielte. "Das war eigentlich nie ein Thema." Vorbehalte seien an keiner Stelle zu spüren gewesen. "Wir wurden sehr offen willkommen geheißen."

"Der Blick sollte nach vorne gerichtet sein", sagt Schulleiter Peter Mareis. "Das war uns wichtig." Den gleichen Wunsch gab es offenbar auch auf israelischer Seite. Kulturelle Unterschiede zeigten sich eher in Sekundärtugenden wie der deutschen Pünktlichkeit, die man auf israelischer Seite wohl eher als Überpünktlichkeit belächeln würde. Und sonst? Jugendliche sind Jugendliche, in Israel wie in Bayern. "Das sind genauso verpeilte Köpfe wie wir", sagt Jakob Bernstein und lacht. Aber das sei ja gerade das Sympathische.

Dahusalem

Jakob Bernstein zeigt das American Footballfeld, auf dem er seit 2014 spielt.

(Foto: privat)

Die Charles-E. Smith Highschool of the Arts ist eine weiterführende Schule, an der interdisziplinäre Kurse zu Musik, Kunst, Film, Tanz und Theater angeboten werden. Dieses Profil legte eine Partnerschaft auf künstlerischer Ebene nahe. Schulischer Anknüpfungspunkt seitens des Effner-Gymnasiums ist das praktisch ausgerichtete P-Kunst-Seminar. Die neun Dachauer Seminarteilnehmer haben mit ihren israelischen Freunden in knapp zweijähriger Arbeit unter dem verballhornten Titel "Dahusalem" eine Kunstausstellung auf die Beine gestellt, inklusive Ausstellungskatalog. Die Vernissage findet rein digital an diesem Donnerstagabend im Internet statt. Von Freitag an ist die Ausstellung auch physisch in der Schalterhalle der Volksbank-Raiffeisenbank Dachau zu sehen. Gezeigt werden 18 Fotokunstwerke von neun bayerischen und neun israelischen Schülern. Thema sind die persönlichen Lebenswelten der Jugendlichen. Jeder hat sich einen Ort ausgesucht, der für ihn wichtig ist. Das eröffnet eine große Bandbreite von Möglichkeiten zwischen dem Alltäglichem und Extremem.

"Früher als ich ein kleines Kind war, habe ich meinen Freunden immer diese Häuschen aus Ästen gebaut", erläutert Lauren Müller ihre Arbeit, das ein Zelt aus Zweigen zeigt. "Um die Bauten aus Ästen erkennt man den Umriss eines wirklichen Hauses, welches ein behütetes Elternhaus war sowie unsere kindliche Vorstellungskraft, als wir früher so getan haben, als könnte man tatsächlich in diesen Häuschen wohnen, darstellen." Hinterlegt ist das Bild mit bunten Farben, die für eine schöne, spaßige und "farbenprächtige" Kindheit stehen.

Dahusalem

Finn-Oliver Walter verarbeitet in seinem Bild links die Angst während eines Terroranschlags.

(Foto: privat)

Einen prägenden Schockmoment hat Finn Walter verarbeitet, der miterleben musste, wie am 17. August 2017 ein Terrorist mit seinem Transporter auf den Ramblas in Barcelona in eine Fußgängermenge fuhr und viele von ihnen lebensgefährlich verletzte. Finn flüchtete sich in die Toilette des Restaurants Moka. Sein Bild zeigt die steile Treppe des Lokals durch einen Türspalt. Auf den Stufen stehen die Worte "Is this the end?" "Den Moment, die Angst und die Ungewissheit in der Toilette, in die wir unmittelbar flüchteten, nachdem ein lauter Knall ertönt war und schreiende Menschen auf uns zu rannten, werde ich nicht vergessen", erläutert er sein Bild. Zugleich sage es aus, "dass wir uns nicht selber vor Angst terrorisieren sollten".

Schade ist nur, dass die israelischen Schüler der Vernissage nur als digital zugeschaltete Zaungäste mitverfolgen können. Und der Gegenbesuch in Dachau steht ja eigentlich auch noch aus. "Den Austausch werden wir im schulischen Rahmen nicht mehr nachholen können", bedauert Jakob Bernstein. "Die Corona-Wirren haben ja alles durcheinandergebracht, und wir machen dieses Jahr schon Abitur. Aber wir wollen das dann nächstes Jahr nachholen." Außerschulisch. Man sieht sich - spätestens nächstes Jahr in Dahusalem.

Dahusalem - places. change. people: Vernissage am Donnerstag, 28. Februar, um 19 Uhr online auf Youtube im Kanal Dahusalem. Die Ausstellung ist bis einschließlich Freitag, 26. Februar, in der Volksbank Raiffeisenbank Dachau zu sehen. Öffnungszeiten: Montag bis Freitag von 8.15 bis 12 Uhr.

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