Mehrere Schürfwunden und eine Schultereckgelenksprengung: Das ist – so viel ist unstrittig – die Bilanz eines Unfalls, der sich im Mai vergangenen Jahres auf der Gröbenrieder Straße in Dachau zugetragen hat. Der Geschädigte ist ein 80-jähriger Radfahrer, die Unfallverursacherin eine 58-jährige Autofahrerin. Wobei es da schon losgeht mit den Unstimmigkeiten: Geht es nach der Dachauerin, dann trifft sie nämlich keine Schuld an dem Sturz des Radlers. Deshalb hat sie auch das – wie Richter Stefan Lorenz anmerkt, großzügige Angebot – der Staatsanwaltschaft abgelehnt. Diese schlug vor, das Verfahren gegen eine Geldauflage einzustellen.
Nun soll also der Prozess vor dem Dachauer Amtsgericht Klarheit bringen. Richter Lorenz reagiert jedoch zunehmend ungehalten, als die Angeklagte zwar immer wieder beteuert, nicht für den Unfall verantwortlich gewesen zu sein, allerdings auch nicht genau darlegen kann, wann sie den Radfahrer vor sich bemerkt hat, welchen Abstand sie zu ihm hatte und wie es sein kann, dass er am Ende bei ihr auf der Motorhaube gelandet ist – wenn doch der Abstand zu ihrem Fahrzeug so groß gewesen ist.
„Ich kann Sie ja nicht freisprechen, der Radfahrer wurde ja verletzt“
Die Dachauerin sagt nur einmal zu Beginn der Gerichtsverhandlung, dass es ihr leidtue, dass der alte Mann gestürzt ist. Bei ihm entschuldigt habe sie sich aber am Unfalltag nicht, das betont sie mehrmals. Sie treffe ja keine Schuld, habe sie doch genug Abstand zu ihm gehalten und sei doch sogar einen Bogen um ihn gefahren. Von Vorsatz könne also keine Rede sein. An dieser Stelle versichert ihr Richter Lorenz: Vorsatz unterstelle ihr auch niemand, es gehe um den Vorwurf der „fahrlässigen Körperverletzung“.
Und sicherlich hätte der 80-Jährige auch auf dem Radweg statt auf der Straße fahren können. Das ändere jedoch nichts daran, dass eine Autofahrerin im Straßenverkehr besondere Vorsicht walten lassen müsse – gerade, wenn sie sehe, dass vor ihr ein offensichtlich älterer Herr auf dem Rad unterwegs sei. Das, so Lorenz, müsse sie doch einsehen.
Warum also hat die Angeklagte Einspruch eingelegt? Warum hat sie trotz der Möglichkeit auf eine Verfahrenseinstellung auf eine mündliche Verhandlung beharrt? Warum zeigt sie sich so gar nicht einsichtig? „Ich kann Sie ja nicht freisprechen, der Radfahrer wurde ja verletzt“, sagt Lorenz und wirkt dabei fast ein wenig ratlos. Immerhin sei der Mann, so viel sei wohl klar, „nicht vom Himmel gefallen“. Und auch der nicht unerhebliche Schaden am Auto der Angeklagten spreche ja wohl eindeutig dafür, dass sie an dem Unfall beteiligt gewesen ist. Wenn es diesbezüglich aber „keine Einsicht“ seitens der 58-Jährigen gebe, müsse man womöglich sogar ein vorübergehendes Fahrverbot in Erwägung ziehen, droht er an.
Bevor es dazu kommen kann, fragt Verteidiger Michael Blettinger nach einer kurzen Unterbrechung der Verhandlung. Danach bittet er im Namen seiner Mandantin, wie von Richter Lorenz angeregt, den Einspruch gegen den Strafbefehl zurückzunehmen. Die Dachauerin wolle „Frieden“ und erkenne deshalb ihren Anteil an den Geschehnissen an. Allerdings wolle die 58-Jährige die angedrohte Geldstrafe in Höhe von 1250 Euro nicht bezahlen: Ihr sei ja selbst ein hoher Sachschaden entstanden, außerdem verdiene sie nicht so viel wie vom Gericht angenommen. Aber, und das kann sich die Dachauerin dann – Schuldeingeständnis hin oder her – dann doch nicht verkneifen: „Ich fühle mich ungerecht behandelt.“ Ins Krankenhaus habe der Geschädigte damals doch entgegen ihrem Rat nicht gewollt. Die Strafanzeige gegen sie habe er zudem erst Wochen später gestellt. Und nun ja, die Kosten für die Reparatur ihres Autos seien ja auch nicht ohne.
Gerichtsprozess:Ausnahmezustand in Zimmer Nummer 4
Im Februar stürmt das SEK die Asylunterkunft in Bergkirchen, weil ein Bewohner mit einem Messer hantiert. Vor dem Amtsgericht geht es nun um die Frage: War der 34-Jährige nur eine Bedrohung für sich oder auch für andere?
Das mag alles richtig sein. Es ändert aber nichts daran, dass die Dachauerin am Ende zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 50 Euro verurteilt wird. Schlicht deshalb, weil sie nicht so vorausschauend gefahren ist, wie sie es hätte tun müssen.
Die 1250 Euro Geldstrafe sind 320 Euro mehr, als sie hätte bezahlen müssen, wenn sie vor dem Prozess zugestimmt hätte, das Verfahren gegen eine Geldauflage einzustellen. Dann hätte sie nämlich nur 930 Euro an den Dachauer Verein Brücke e.V. überweisen müssen, damit wäre die Sache erledigt gewesen. Aber das wollte sie nicht, sie wollte recht bekommen. Blöd nur, dass, wer ein Verfahren anstrebt, bis zum Ende nie weiß, wie es ausgeht.