Dachau:Grandiose Quetschkommode

Akkordeonale

Daniel Anderssons Interpretation von Antonio Vivaldis "Winter" war der Höhepunkt der Akkordeonale.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Tosender Applaus für die Akkordeonale beim Leierkasten

Von Anna-Sophia Lang, Dachau

Spätestens, als Daniel Andersson die ersten Töne von Antonio Vivaldis "Winter" anstimmte und die filigrane Dramatik seines Akkordeonspiels einem die Tränen in die Augen trieb, war klar: Dieses Instrument ist viel mehr, als sein Ruf verspricht. Quetschkommode, Schweineorgel, Schifferklavier lauten seine wenig schmeichelhaften Spitznamen. Das Akkordeon verbindet man im besten Fall noch mit Tango, im schlimmsten mit altbackener Volksmusik. Verstaubt, spießig, unmodern sind die Prädikate, die einem am ehesten dazu einfallen. So ähnlich wird es wohl vielen gegangen sein, die am Sonntagabend zur "Akkordeonale" beim Leierkasten in die Friedenskirche nach Dachau gekommen sind. Was sie dort hörten, entkräftigte sämtliche Klischees. Fünf Akkordeonspieler aus fünf Ländern, eine Perkussionistin aus Spanien und ein Hackbrettspieler aus der Schweiz lieferten eine fulminante Hommage an ihre Instrumente und machten ein restlos begeistertes Publikum mit grandioser Musik glücklich.

Seit 2009 tourt der Niederländer Servais Haanen mit der Gruppe, die sich jedes Jahr aus anderen Musikern zusammensetzt, vier Wochen lang durch Deutschland. In Dachau war das "Internationale Akkordeon-Festival" zum ersten Mal zu Gast. "Gönn dir" hieß das Stück, das alle gemeinsam zum Auftakt spielten, und die Eigenkomposition von Haanen wurde zum Sinnbild für den Abend. Ein Musiker nach dem anderen betrat die Bühne, mal alleine, mal in Begleitung für andere, mal alle zusammen. Während draußen der Schnee fiel, transportierten sie das Publikum mit ihrer Musik an Orte voller Wärme und Emotionen.

Die Lieder der Baskin Janire Egaña Zelaia erzählten von alten Dorfplätzen, auf denen sich junge Leute beim traditionellen Sonntagstanz näher kommen, während Eltern und Großmutter vom Rand aus mit Argusaugen über sie wachen. Mal konzentriert sinnierend, aber meist mit strahlendem Lächeln ließ sie die Musik ihrer Heimat, die vor purer Lebensfreude strotzte, den Raum ergreifen. Auch der überraschend scheue US-Amerikaner Andre Thierry, der in seinen weiten Jeans, dem roten Hemd und der schwarzen Baseball-Cap eher aussah wie ein Hip Hopper als ein Akkordeonkünstler, ging mit seiner Musik zurück zu den Wurzeln seiner Familie. Die Augen geschlossen, das Gesicht sehnsüchtig nach oben gereckt, spielte er traditionellen Zydeco aus Louisiana und mitreißenden Blues. Überaus schelmisch präsentierte sich der in London lebende Maurizio Minardi, der sich mit seiner Musik auf den berühmten Filmmusik-Komponisten Nino Rota besann und Erinnerungen an Marcello Mastroianni wach werden ließ. Besonders schön: seine Eigenkomposition "Penguin", in der er seine ganz persönliche Mischung aus Folk und minimalistischer Klassik darstellte. Am meisten überraschte aber Daniel Andersson. Der Schwede, der in Sankt Petersburg und Paris klassisch ausgebildet wurde, brachte sein Spiel mit fehlerloser Technik und federleichten Tönen auf ein Level, das dem Akkordeon dann noch den allerletzten Hauch einer Quetschkommode nahm. Wer hätte gedacht, dass Vivaldi und Rossini auch ohne Streicher so fein klingen können?

Begleitet wurden die Akkordeonspieler von der wunderbar experimentierfreudigen Percussionistin Vanesa Muela, die nach jahrelangen Feldstudien in ländlichen spanischen Regionen Muscheln, Walnussschalen und eine Pfanne zu ihren Instrumenten gemacht hat. Sie brachte noch mehr spanische Hitze und Spielfreude in die Vorstellung. Christoph Pfändler, Nachwuchs-Hackbrett-Künstler aus der Schweiz, mauserte sich nach und nach zum bestgelaunten Antreiber der Gruppe. Sein Solo, ein Schweizer Marsch, gehörte zu den am meisten beklatschten Stücken des Abends.

Nicht nur die Vielfältigkeit der Stücke machte den Abend zu einem großen Erfolg, sondern auch die Art des Zusammenspiels der Musiker. Die Kommunikation während der Stücke war von einem kumpelhaften Witz und einer authentischen Freude am gemeinsamen Musizieren, die sich auf die Zuhörer übertrug. I-Tüpfelchen der Vorstellung war Servais Haanen selbst. Seine trockene, von beißendem Humor geprägte Moderation machte den Abend noch kurzweiliger und brachte ihm neben seiner Musik mehr als einmal tosenden Applaus ein.

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