Süddeutsche Zeitung

Dachau:Goethe reloaded

Am Ignaz-Taschner-Gymnasium präsentierten zwölf Schüler einen "Faust", den sie in Eigenregie abgewandelt haben, so dass ihn jeder versteht. Das Publikum ist begeistert

Von Veronika Königer, Dachau

"Für mich geht heute ein Traum in Erfüllung", begrüßt Hedwig Bäuml strahlend die Zuschauer, die sich auf den Stuhlreihen im Mehrzweckraum des Ignaz-Taschner-Gymnasiums drängen. Die Deutschlehrerin hat eine Leidenschaft, die für andere ein Grauen ist: Johann Wolfgang von Goethes "Faust". Schon immer wollte sie mit Schülern dieses Stück aufführen, heute ist es soweit.

Die zwölf Mitglieder ihres P-Seminars "Faust", die jetzt in der zwölften Klasse sind, haben das vergangene Schuljahr Goethes Text gekürzt und ihn teilweise modernisiert, sich Gedanken über Kostüme, Musik und Bühnenbild gemacht, im März schließlich mit den Proben begonnen. Diese fanden auch an Feiertagen und in den Ferien statt, aber die Schüler waren immer engagiert dabei. Unter ihnen befinden sich drei Elftklässler, die nicht im Seminar sind, aber schon seit ihrem Übertritt aufs Gymnasium Theater spielen.

Ein in Gold gewandeter Gott wird von Groupie-Engeln umtanzt

Jetzt steht Hedwig Bäuml da, an diesem Donnerstagabend, vor dem weinroten Vorhang, und platzt fast vor Stolz über ihre Eleven. Aufgeregt begrüßt sie die Zuschauer, dann heißt es "Licht aus!". Nach einem kurzen Moment der Spannung kommt Goethe zur Tür herein, der den Zuschauern erklärt: "Mein Stück wird so aufgeführt, dass es jeder versteht!" Auf die Frage, was denn das wichtigste an einem Theaterstück sei, tritt Hedwig Bäuml alias der Theaterdirektor nach vorne, zwei Schüler erheben sich aus dem Publikum - und schon sind die Zuschauer mittendrin in Goethes Text, dem Vorspiel auf dem Theater, an dessen Ende sich der Vorhang öffnet und ein in Gold gewandeter Gott von Groupie-Engeln umtanzt wird. Bald hat auch der Mephisto seinen Auftritt, bessergesagt die Mephisto: Annemarie Jamborek spielt einen sehr weiblichen Teufel, mit kurzem schwarzen Kleidchen, roten Stöckelschuhen und Hörnern.

Sicher und deutlich sprechen die Schüler den Originaltext, der immer wieder von Jugendsprache durchzogen wird, zwischen den Szenen tritt Goethe auf und erklärt, was genau passiert ist. Verschiedene Musikstücke füllen die etwas langen Umbaupausen, begleiten die Aufführung an passenden Stellen, während Tizian Bartling und Yasin Rug an der Technik für die richtige Beleuchtung sorgen. Das Bühnenbild ist schlicht, zeigt dem Zuschauer aber immer, wo die Szene gerade stattfindet: Wölkchen hinterlegen Gottes Auftritt im Himmel, ein Stoffbanner mit einer Tür Fausts Studierzimmer. Großes Gelächter gibt es beim "Osterspaziergang": Mephisto in der Gestalt des herumspringenden Pudels mit dem "Feuerstrudel" ist zu einem riesigen Plüschhund geworden, der auf einem pinken Skateboard über die Bühne gezogen wird.

Nach der "Hexenküche", in der Faust um 30 Jahre verjüngt wird, gibt es auch für das Publikum eine Erfrischung: Eine kurze Pause in dem eineinhalbstündigen Stück, mit Brötchen und Getränken in der Cafeteria, wo man schon erste Meinungen hört. "Die spielen echt super", murmelt eine Zuschauerin.

Das Ensemble

Regie: Hedwig Bäuml

Besetzung P-Seminar "Faust" (Umgestaltung des Stücks und Schauspiel): Alexander Weber, Philipp Schmid, Annemarie Jamborek, Miriam Müller, Yasin Rug, Verena Oßwald, Josephin Rieger, Adam Ben Khalifa, Moira Breece, Nina Schrüfer, Mirjam Kohn und Luisa Veits

Theatermitglieder der Q11: Lara Sendrei, Lisa Koritnik, Tizian Bartling

Technik: Tizian Bartling und Yasin Rug

Weitere Aufführungen finden am Dienstag, 25.,und Freitag, 28. Oktober, jeweils um 19 Uhr im Mehrzweckraum des Ignaz-Taschner-Gymnasiums statt. Der Eintritt ist frei. vkoe

Mephisto und Marthe bilden ein lesbisches Paar

Eine Viertelstunde später geht es dann so weiter: Immer mehr Gelächter entsteht im Publikum, trotz einigen Texthängern, als der nun junge Faust Gretchen kennenlernt. Überzeugend spielt Philipp Schmid den verliebten Trottel, der sich mit hoffnungslosen Methoden an das Mädchen heranmacht. Dennoch klappt die Liebesgeschichte, und die Zuschauer haben noch mehr über die beiden zu lachen, die das klischeehafte Pärchen schlechthin verkörpern. Währenddessen hat Mephisto mit Marthe angebandelt und die beiden werden zu einem lesbischen Paar, Goethe erklärt: "Wir sind ja tolerant!". Diese Toleranz reicht allerdings natürlich nicht bis zur Akzeptanz einer außerehelichen Schwangerschaft, und so kommt es, wie es nach Goethes Drama kommen musste: Gretchen wegen Kindsmord im Kerker, Faust, der versucht, sie zu retten, daneben eine ungeduldige Mephisto. Gott tritt gerade auf die Bühne, um das Mädchen zu erlösen, da ruft Goethe selbst: "Freeze!"

"Mir ist eher nach einem Happy-End", erklärt der Dichter. Und sein Wort ist Gebot: Gott verzeiht Gretchen, vorausgesetzt, sie begibt sich in psychische Behandlung, die wiederum verzeiht Faust, und selbst Mephisto wird wieder in den Himmel aufgenommen, da sie Marthe so sehr liebt. Schließlich wird sogar Fausts dringliche Frage danach, "was die Welt im innersten zusammenhält", beantwortet: Gott schenkt ihm ein Buch über Quarks, die kleinsten bekannten Teilchen. "Ein wenig kitschig", flüstert ein Zuschauer. Trotzdem gibt es lauten Jubel für die jungen Schauspieler und Hedwig Bäuml. Die stellt jeden noch einmal einzeln mit seiner Rolle vor, spart nicht mit Lob - und bittet trotz des kostenlosen Eintritts um Spenden für eine Studienfahrt nach Weimar, "damit die Schüler den echten Goethe kennenlernen können".

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SZ vom 22.10.2016
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