Fabelhafter Auftakt:Glänzend

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Die Liedertafel Dachau wagt sich unter ihrem neuen Dirigenten Tobias Hermanutz an ein zentrales Werk der Musik des 20. Jahrhunderts. Sie begeistert mit der Aufführung des Oratoriums "König David" von Arthur Honegger

Von Adolf Karl Gottwald, Dachau

Das war ein Neuanfang, der seinen Namen in vollem Umfang und in idealer Weise auch verdient. Der junge Dirigent und Theologe Tobias Hermanutz hat von Peter Frank die Liedertafel Dachau übernommen. Damit hat er einen von Peter Frank in mehr als zwanzig Jahren voll intensiver und richtungsweisender Arbeit zu erstaunlicher Höhe gebrachten Chor übernommen, der mit einer Liedertafel im traditionellen Sinn längst nichts mehr zu tun hat. Peter Franks Weg einfach weiterzugehen und sich im großen, letztlich maßgebenden Oratorien-Repertoire des 18. und 19. Jahrhunderts zu befassen, vermied aber Thomas Hermanutz fürs Erste. Er wagte seinen Einstand bei der Liedertafel Dachau mit Arthur Honeggers "König David", einem Werk des frühen 20. Jahrhunderts, das - wie Dirigent Hermanutz bei der Liedertafel Dachau - die Tradition brechen und gleichzeitig fortsetzen wollte.

Der Schweizer Komponist Arthur Honegger, 1892 in Le Havre geboren, sah, wie alle bedeutenden Komponisten seiner Generation - in Bayern ist es Carl Orff, dessen 120. Geburtstag heuer gefeiert wird -, dass die Orchesteropulenz der in den Werken von Richard Strauss gipfelnden Spätromantik nicht gesteigert, ja nicht einmal fortgeführt werden kann. Also wandte er sich für sein Oratorium "König David" vom großen klassisch-romantischen Orchester ab und wählte für dieses sein 1921 geschriebenes Werk ein nur auf einen Kontrabass gestütztes reich besetztes Blasorchester, bei dem die Blechbläser dominieren, dazu Klavier, Harmonium und Schlagzeug. Dabei setzte er, im Vergleich zu Orff oder Strawinsky, Klavier und Schlagzeug relativ bescheiden ein. Die "Tonsprache" von Honeggers "König David" ist nach heutiger Hörerfahrung mit Werken der musikalischen Avantgarde sehr gemäßigt modern, aber im Vergleich mit dem, was das Dachauer Publikum bisher von seinen großen Chören, auch von der Chorgemeinschaft gewohnt war, doch absolut neu.

Das Stammpublikum der Dachauer Liedertafel-Konzerte ist ohnehin schon sehr geschmolzen. Denn früher war der Festsaal des Dachauer Schlosses bei diesen Konzerten immer zweimal ausverkauft; jetzt war der Vorstand mit einem nur relativ gut besuchten Konzert zufrieden. Die Besucher aber, die so mutig waren wie der neue Dirigent Hermanutz, sich einem Konzert mit mutmaßlich moderner Musik auszusetzen, waren schließlich hellauf begeistert und reagierten mit stürmischem Beifall. Die heftigste Beifallswelle galt dem Dirigenten, der in den Proben bereits seinen für ihn neuen Chor begeisterte und jetzt auch das Dachauer Publikum gewinnen konnte. Er ist - das zeigte sich bei seinem Debüt in Dachau - schlagtechnisch versiert und hat Chor und Orchester gleichermaßen gut in der Hand.

Das Orchester bestand, bis auf den großartig als Korrepetitor bewährten Josef Reichl an Klavier und Harmonium, aus Mitgliedern des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, also Münchner Spitzenmusikern, die es jedem Dirigenten leicht machen. Der Chor aber hatte Ungewohntes und damit für ihn Schwieriges zu singen. Eine ganz große Herausforderung war im zweiten Teil des Oratoriums mit einem Festgesang und einer großen Szene für Erzähler, Sopran und Chor "Tanz vor der Bundeslade" zu bestehen. Die Liedertafel Dachau bestand glänzend. Ebenso zeichneten sich die Solisten aus: Alice Fuder (Sopran), Merit Ostermann (Mezzosopran) und Bernhard Schneider (Tenor).

Ein Kabinettstück der sprachlichen Vortragskunst lieferte Ingrid Zellner als Sprecherin der "Hexe von Endor". Sie stellte die von Honegger als Melodram gestaltete Szene einer Geisterbeschwörung als äußerst gefährliche Gratwanderung zwischen Leben und Tod dar. Der beschworene Geist des Propheten Samuel erscheint tatsächlich und weissagt die Niederlage der Israeliten gegen die Philister und den Tod ihres Königs Saul, worauf David König der Israeliten wird. Damit sind wir mitten im Alten Testament und in den biblischen Geschichten, die Claus-Peter Damitz leider über Mikrofon und dröhnend laut eingestellte Lautsprecher erzählte. Eigentlich sind sie abstoßend. Egon Friedell sagt aber über David: "Die vielen Lumpereien und Rohheiten, die er im Lauf seines Lebens begangen hat, wirken durchaus menschlich und verständlich, wenn man sich als ihren Träger den halbbarbarischen Häuptling eines antiken Raubstaats vorstellt." Gott selbst erscheint im Zwielicht. Er begünstigt den ehebrecherischen David und lässt sich auch noch von Davids Gelöbnis, ihm einen prächtigen Tempel zu bauen, bestechen. David darf zuletzt sogar das Erscheinen des Messias voraussagen, was Honegger mit einem christlichen Choral in der Art von Johann Sebastian Bach im Orchester und einem großen Chor-Halleluja musikalisch ausdeutet.

Jetzt jubelte das Publikum und hätte dem Chor der Liedertafel und seinem neuen Dirigenten wohl am liebsten mit einem "Halleluja" geantwortet.

© SZ vom 20.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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