Dachau:Geschichten aus der Steinzeit

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SZ-Chefredakteur Kurt Kister, der in Dachau aufwuchs und sich hier seine ersten journalistischen Sporen verdiente, kehrt als Gast des "5. Effner-Salons" in seine ehemalige Schule zurück.

Von Walter Gierlich

"Die haben das ganz großartig gemacht", sagte SZ-Chefredakteur Kurt Kister über die Interviewer Kaya Dreesbeimdiek und Lukas Bernstein. (Foto: Jørgensen)

"Es hat sich nicht viel verändert", sagte Kurt Kister auf die Eingangsfrage, wie er sich in seiner alten Schule fühle, in der er 1976 Abitur gemacht hatte. Doch da ließ sich der Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung vom äußeren Schein täuschen: Tatsächlich ist das Josef-Effner-Gymnasium (JEG) in den vergangenen Jahren für mehr als 13 Millionen Euro saniert worden, auch wenn man es dem Gebäude kaum ansieht. Da unterscheidet es sich nicht allzu sehr von der gedruckten Zeitung, die die Leser jeden Morgen in der Hand halten. Auch hier gab es in den vergangenen 35 Jahren im Erscheinungsbild vergleichsweise kleine Veränderungen, doch im Herstellungsprozess eine Revolution.

Die revolutionären Umwälzungen in der Kommunikationstechnik sprach denn auch Kister an. Denn als er Ende der Siebziger Jahre in der Dachauer Lokalredaktion der SZ als freier Journalist angefangen hatte, war das Fax der Gipfel der Innovation. Zuvor, so erzählte Kister recht anschaulich, wurden die Manuskripte an der Jakobskirche einem Busfahrer in die Hand gedrückt und an der Endstation Stiglmaierplatz von einem SZ-Mitarbeiter abgeholt. Für die Schüler, die mit dem Smartphone aufwachsen, muss das klingen wie Geschichten aus der Steinzeit.

Kister war Gast im "5. Effner-Salon", einer Veranstaltungsreihe mit prominenten Absolventen der Schule. Unter anderem waren der Schriftsteller Feridun Zaimoglu und der frühere Eiskunstlaufweltmeister Hans-Jürgen Bäumler schon da. Diesmal handelte es sich um eine Kooperation mit einem Praxis-Seminar, das nicht nur die Veranstaltung organisiert hatte, sondern mit Kaya Dreesbeimdiek und Lukas Bernstein auch die Interviewer stellte. Gut 150 Besucher waren trotz herrlichen Biergartenwetters in die Aula des JEG gekommen, um dem Chefredakteur von "Deutschlands bester Zeitung" (Kister) zuzuhören, was er über seine Kindheit und Jugend in Dachau, Anekdoten und Erinnerungen an gute und weniger gute Lehrer aus der Schulzeit, seine berufliche Karriere bei der SZ und die Zukunft des Zeitungsgewerbes zu berichten hatte.

"Zu meiner Zeit - das klingt, wie wenn der Opa von Stalingrad erzählt - war Dachau noch stark von seiner Vergangenheit geprägt", sagte er. Über das KZ sei "höchst ungern" gesprochen worden, erzählte der in einer Sozialwohnung in Dachau-Ost aufgewachsene Kister. Dabei habe man keine andere Chance gehabt, als sich dem zu stellen, wenn man in Dachau groß geworden sei. Gegenüber der Wohnung seiner Eltern habe ein ehemaliger SS-Offizier und KZ-Kommandant gewohnt, auf der anderen Seite ein früherer polnischer KZ-Häftling. Heute habe sich Dachaus Verhältnis zur Vergangenheit geändert: "Es ist ein guter Fortschritt."

Abitur, Bundeswehr, Freier Mitarbeiter der SZ, Journalistenschule und dann 1983 der ersehnte Redakteursposten. Im Schnelldurchlauf hakte Kister seine berufliche Karriere ab, in der er seine Zeit als USA-Korrespondent besonders heraushob. Zum Schreiben komme er als Chefredakteur kaum noch, bedauerte er: "Ich bin leider ein Manager geworden." Aber bisweilen kann er nicht umhin, in die Tasten zu hauen und etwa ein Streiflicht zu schreiben. Als er eines vom Mai 2012 über die Verschiebung der Berliner-Flughafeneröffnung vorlas, bogen sich die Zuhörer vor Lachen. Über die Zukunft der Zeitung äußerte Kister sich optimistisch. Offen bleibe jedoch, ob sie nicht endgültig zu einem elektronischen Medium werde. Vom Beruf des Journalisten würde er jedenfalls niemandem abraten, der ihn ergreifen wolle.

Nachdem Hans Blume mit seinem Schülerorchester den Effner-Salon musikalisch unterhalten hatte, ließ Deutschlands bester Nachwuchs-Schlagzeuger, der zweifache Jugend-musiziert-Sieger Christian Benning, die Veranstaltung furios ausklingen: mit einem Trommelsolo, das den passenden Namen "Tornado" trug.

© SZ vom 13.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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