Dobryy Den, Dachau:Ein vorübergehendes Abenteuer

Dobryy Den, Dachau: Anna Huryn aus Kiew schreibt die wöchentliche Kolumne "Dobryy Den, Dachau" für die SZ Dachau.

Anna Huryn aus Kiew schreibt die wöchentliche Kolumne "Dobryy Den, Dachau" für die SZ Dachau.

(Foto: Illustration: Bernd Schifferdecker)

Anna Huryn ist aus der Ukraine nach Dachau geflohen. Die 21-Jährige berichtet wöchentlich über ihr Ankommen im Landkreis. In der achten Folge erzählt sie, wie sie Kontakt hält mit den Menschen in ihrer Heimat.

Kolumne von Anna Huryn, Dachau

Die längste Zeit, die ich bislang in meinem Leben getrennt war von meinen Freunden und meiner Familie, war ein Monat. Als Kind fuhr ich oft ins Ferienlager, zum Beispiel in die Karpaten oder auf die Krim, als sie noch zur Ukraine gehörte. Da hatte ich keine Zeit zum Vermissen, ich erlebte jeden Tag Abenteuer. Mal ein halbes Jahr lang von Zuhause weg zu sein, schien mir damals nicht unmöglich - es wäre okay gewesen, wenn ich gewusst hätte, dass mein Zuhause, meine Familie und meine Freunde in Sicherheit sind.

Nun ist der dritte Monat angebrochen, in dem ich sie alle nicht gesehen habe: meinen Vater, meine Großmutter, meine Brüder, Freunde und Kollegen. Es war eine der schwersten Entscheidungen meines Leben zu gehen - vor allem für meine Mutter. Meine Heimatstadt Kiew zu verlassen, war so schmerzhaft und unerträglich, aber vermutlich war es es die einzig richtige Entscheidung in dieser Situation, im Krieg.

Leider gibt es keinen Zaubertrick

Alles, was ich von meinen Liebsten in der Ukraine mitbekomme, erfahre ich übers Handy. Leider erlaubt uns der Bombenalarm sehr oft nicht, unser Gespräch zu beenden. Mein Vater hält sich auf dem Land auf, in einem kleinen Dorf, und als er einige Tage lang keine Netzverbindung hatte, habe ich einfach nur gewartet und gebetet, dass er bald wieder anrufen oder eine Nachricht schicken kann. Ich kann meine Familienmitglieder nicht umarmen, ich kann meine Freunde nicht in unserem Lieblingscafé treffen, ich kann mich nicht mit Kommilitonen für Studienprojekte zusammensetzen, ich kann mich nicht mit Kollegen zum Mittagessen treffen. Es würde die Gefühle in mir nicht wirklich gut beschreiben, wenn ich sagen würde: Es ist hart.

Wie soll man mit dieser Situation umgehen? Leider gibt es da keinen Zaubertrick. Meine Antwort ist: Weiterleben. Ich habe positive Gefühle, wenn mein Vater mir eine patriotische Nachricht schickt und mir versichert, dass bald wieder alles gut sein wird in der Ukraine und ich zurückkehren werde können. Ich lächle, wenn ein 22-jähriger Nachbarsfreund, den ich seit meiner Geburt kenne, mir erzählt, dass Kiew langsam wieder zum Leben erwacht und dass unser Wohnhaus noch steht. Ich werde einen Ort haben, an den ich zurückkehren kann. All die Leute, die während des Krieges in der Ukraine geblieben sind, sind Helden für mich. Ich bin so stolz auf ihren Mut und darauf, dass sie ihre positive Stimmung nicht aufgeben.

Bis vor Kurzem haben ich noch davon geträumt, mal eine Zeit lang in Europa zu leben - aber nicht so, nicht aus diesem Grund. Dennoch mag ich das Sprichwort: "Wenn man die Situation nicht ändern kann, dann muss man seine Haltung ändern." Insofern versuche ich, mir selbst zu versichern, dass dies alles hier bloß eines ist: ein vorübergehendes Abenteuer.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: