Dobryy Den, Dachau:Mein Immunsystem sagt "Tschüss"

Dobryy Den, Dachau: Anna Huryn aus Kiew schreibt die wöchentliche Kolumne "Dobryy Den, Dachau" für die SZ Dachau.

Anna Huryn aus Kiew schreibt die wöchentliche Kolumne "Dobryy Den, Dachau" für die SZ Dachau.

(Foto: Illustration: Bernd Schifferdecker)

Anna Huryn ist aus der Ukraine nach Dachau geflohen. Die 22-Jährige berichtet wöchentlich über ihr Ankommen im Landkreis. In der 21. Folge beschreibt sie, wie herausfordernd die medizinische Versorgung im Exil für sie ist.

Kolumne von Anna Huryn, Dachau

Ich nehme meine Gesundheit sehr ernst. Wenn ich mir früher Sorgen um ein körperliches Leiden machte, rief ich in Kiew in einer Privatklinik an und bekam meist einen Termin für den darauffolgenden Tag. Solche Termine muss man in Privatkliniken bezahlen, die Preise variieren nach Beliebtheit der Ärzte. Ein Termin beim Hautarzt kostet mich in Kiew umgerechnet 50 Euro, ein Besuch beim Frauenarzt 20 Euro, inklusive Ultraschall. In Deutschland kann ich mir keine private Krankenversicherung leisten, noch nicht. Die meisten ukrainischen Geflüchteten bekommen die Krankenkassenbeiträge vom Jobcenter bezahlt.

Seitdem ich in Deutschland bin, versuche ich, Arztbesuche zu vermeiden. Immer wenn mich etwas zwickt, schlucke ich lieber Schmerzmittel. Ich dachte ja auch, ich würde bald wieder in die Ukraine zurückkehren. Als ich mich in Dachau beim Landratsamt registrierte, wurden alle ukrainischen Geflüchteten zur AOK geschickt. Ich bekam dort eine Versichertenkarte und ließ sie seitdem meist in meiner Unterkunft.

Die Sprachbarriere in deutschen Arztpraxen ist riesig für mich. Nicht alle Mediziner wollen oder können Englisch sprechen, und ich kenne bei Weitem noch nicht genug deutsche Wörter, um mich im medizinischen Bereich auszudrücken. Außerdem muss man in Deutschland oft Monate auf einen Termin warten - was schrecklich ist, weil man ja meist akut Hilfe braucht.

Mein Immunsystem hat sich in Deutschland weitgehend verabschiedet, es ruft mir "Tschüss" zu. So vieles in meinem Leben und an meinem Körper hat sich geändert: meine Ernährung, das Wetter, sogar der Geschmack des Dachauer Wassers ist anders. Früher in Kiew wurde ich maximal ein Mal im Jahr krank. In Dachau hatte ich schon vier Mal eine schwere Erkältung mit Fieber und lag richtig flach.

Ich traute mich nicht, den Krankenwagen zu rufen

Mein erster Arztbesuch in Deutschland war im Mai, als ich zum Zahnarzt musste, weil mir eine Füllung herausgefallen war. Da war ich wirklich froh, dass ich problemlos Hilfe bekam. Im Winter jedoch bekam ich so starke Rückenschmerzen, dass ich mich nicht mehr bewegen konnte. Ich hatte bis dahin alle Symptome ignoriert und versucht, mich mit Schmerzmitteln zu betäuben. Doch dann konnte ich zwei Tage lang nicht aus dem Bett aufstehen. Heute bereue ich es, dass ich nicht den Krankenwagen gerufen habe - ich habe mich einfach nicht getraut.

Als ich mich endlich aufraffen konnte, mir einen Orthopäden zu suchen, musste ich einen Monat auf einen Termin warten. Als es so weit war, machte mir meine Versichertenkarte einen Strich durch die Rechnung. Sie funktionierte einfach nicht mehr. Ich war total schockiert, dass der Arzt mich einfach wieder zurückschickte und meinte, ich solle meine Krankenkasse kontaktieren.

Einen neuen Termin mit meiner neuen Karte bekam ich erst einen weiteren Monat später. Da habe ich verstanden: Deutschland ist ein Land, in dem Regeln und Ordnung gelten. Aber deshalb muss man ja nicht gleich seine Menschlichkeit vergessen. Es macht mich traurig, dass ich solche Erfahrungen im Gesundheitswesen machen musste, und ich hoffe sehr, dass es anderen besser geht. Gegen das, was alles in mir schmerzt, gibt es wahrscheinlich gar keine Medizin.

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