Kunst:Gefangen im weltweiten Netz

Lesezeit: 2 Min.

Landrat Stefan Löwl ist fasziniert vom Kunstwerk "The Cloud" der deutsch-australischen Künstlerin Gretta Louw. Es erinnert ihn an eines seiner ersten Arbeitsthemen, den Datenschutz

Von Bärbel Schäfer, Dachau

Die Leitungen und Kabel schießen aus der geöffneten Tür des hohen Serverschranks in den Raum, katapultieren sich in Richtung Eingangstür, wo sie den Besucher wie ein Netz umschließen und als Sog zum Zentrum des elektronischen Organismus ziehen. Der krakenartige Server wird durch mehrere Leuchtkästen mit digitalen Collagen ergänzt. Sie beziehen sich auf die neuen Formen zwischenmenschlicher Beziehungen und Kommunikation im Netz. Eine große Collage aus einem Sammelsurium von Bildern aus dem Online-Marketing lehnt sich an barocke Deckenmalerei an. Als ein utopisches Datenparadies verdeutlicht es die unverfrorene Heuchelei dieser zynischen Vermarktung.

Die mehrteilige Installation "The Cloud" der in Berlin lebenden, aus Australien stammenden Künstlerin Gretta Louw ist Teil der KVD-Ausstellung "1984" im ehemaligen Verwaltungsgebäude der MD-Papierfabrik. Das Internet wird als greifbares materielles Gebilde gezeigt, das selbstständig agiert und alles beherrscht. Sie nutzt den alten, originalen Server an seinem ursprünglichen Standort mit all den Kabelsträngen und -verbindungen, um die Macht des World Wide Web zu visualisieren. Die Unausweichlichkeit der Digital- und Internettechnologie verblüfft den Besucher, wirkt aber auch aggressiv.

Landrat Stefan Löwl ist von der Präsenz und Direktheit der Arbeit fasziniert. "Die Vernetzung ist plastisch dargestellt. Sie kommt von allen Seiten, geht von den fetten gelben Kabelsträngen im unteren Teil aus und verzweigt sich dann. Man erkennt erst gar nicht, wo die Kabel herkommen und wohin sie fließen. Das ist Sinnbild der kompletten Vernetzung unserer Welt." Dazu kommt die unsichtbare Macht der Technik. "Man wird angezogen, schlüpft hinein ins Netz. Die Kabel greifen nach einem. So wie das Internet." Und dann nennt Stefan Löwl noch einen dritten Aspekt: "Es erinnert mich an den Film 'Terminator'. Der Mensch wird zur Maschine. Das ist in der virtuellen Welt ein sehr analoges Gefühl."

Das Thema Überwachung und Big Data interessiert den Juristen Stefan Löwl schon von Berufs wegen. In seinen ersten Berufsjahren lag sein Arbeitsschwerpunkt auf dem Datenschutz. Zuletzt auch in seinem Lehrauftrag an der Beamtenfachhochschule in Hof, bevor er im vergangenen Jahr sein Amt als Landrat antrat. Er erklärt, dass seit dem Volkszählungsurteil am 15. Dezember 1983 der Datenschutz in Deutschland als ein Grundrecht verankert ist. Die Geburtsstunde des klassischen Datenschutzrechts lag also ein Jahr vor George Orwells düsterer Vision "1984". Der 1948 erschienene Roman prophezeite den totalen Überwachungsstaat.

Gretta Louw wurde in Südafrika geboren, wuchs in Australien auf und pendelt heute zwischen Australien und Deutschland. Auch in Aufsätzen befasste sich die studierte Psychologin mit der Verknüpfung von Internet und Kunst. Ihre Installation zeigt auch, dass für die überwiegende Mehrheit von uns die Digital- und Internettechnologie schwer zu durchschauen und zu verstehen ist, obwohl unser Leben mittlerweile dicht und unauflösbar damit verwoben ist. Egal, ob wir so leben wollen oder nicht. Stefan Löwl sagt: "Man kommt nicht aus, das Kunstwerk nimmt den Menschen mit."

© SZ vom 24.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: