Es sind nur wenige Menschen in der Dachauer Altstadt unterwegs an diesem Sonntagvormittag. Nur auf dem Pfarrplatz tut sich etwas, hier hat sich eine kleine Gruppe versammelt. Sie wollen in die Geschichte der angrenzenden Wieningerstraße eintauchen. Um halb zwölf soll der Rundgang beginnen, doch Gästeführerin Brigitte Fiedler will noch etwas warten. "Es kommen noch 60 Leute", sagt sie. Und tatsächlich: Wenige Augenblicke später biegt ein ganzer Schwarm von Menschen um die Ecke. Gut 70 Personen füllen auf einmal den Pfarrplatz. Alle sind sichtlich überrascht über den großen Andrang. Auch Fiedler hatte nicht mit so einem Ansturm gerechnet, als sie die Veranstaltung plante. "Ich bin selbst überrascht", sagt sie.
Anlass der Veranstaltung ist der Weltgästeführertag. Denn vor mehr als 30 Jahren, am 21. Februar 1990, wurde die "World Federation of Tourist Guide Associations" (übersetzt: Weltverband der Gästeführer) gegründet. Jedes Jahr organisieren die Mitgliedsverbände des Weltverbandes rund um diesen Tag ein Gästeführerprogramm. Dabei wird für alle 87 Verbände ein Motto festgelegt, diesmal lautet es "Straßen, Gassen, Brücken, Plätze". Insgesamt sieben Führungen hat der Dachauer Gästeführer-Verein dafür auf die Beine gestellt, sieben geschichtsträchtige Ecken der Stadt werden an diesem Vormittag erkundet.
"Ich nehme etwas, das nicht so bekannt ist."
Darunter ist auch die Dachauer Wieningerstraße. Obwohl sie ein zentraler Teil der Dachauer Altstadt ist, wüssten nur wenige, nach wem die Straße benannt ist, sagt Brigitte Fiedler: "Ich nehme etwas, das nicht so bekannt ist." Sie erklärt, dass die Straße lange Zeit anders hieß. Bis Ende des 19. Jahrhunderts war sie noch die "Hintere Gasse" und "Langgasse". Erst vor rund einem Jahrhundert wurde sie nach Franz Xaver Wieninger benannt. Ein Braumeister, der paradoxerweise nicht einmal aus Dachau stammte.


Wieninger wurde 1775 im Bayerischen Wald geboren, wenige Jahre später zog er mit seiner Familie nach Vilshofen. Ende des 18. Jahrhunderts heiratete er in die Dachauer Brauerfamilie der späteren Brauerei Hörhammer ein. Das Wirtshaus in der Altstadt war so erfolgreich, dass sich 1806 sogar der bayerische König Maximilian I. ankündigte. Er feierte dort seinen ersten Namenstag als König. Eine Gedenktafel im seit Jahren leer stehenden Hörhammerbräu erinnert noch heute daran.
Nicht nur aufgrund seines Gasthofs wurde Wieninger zu einem geschätzten Bürger der Stadt. 1803, sechs Jahre nach seiner Ankunft in Dachau, erhielt er das Bürgerrecht. Noch im selben Jahr wurde er Bürgermeister. Auch auf Landesebene engagierte er sich politisch. Ab 1820 war er Mitglied der Kammer der Landtagsabgeordneten. Denn neben Adeligen und Geistlichen konnten auch Grundbesitzer wie Wieninger in die Kammer aufgenommen werden. Bis 1925 war er dort Mitglied. Als er seinen Grundbesitz an seinen Schwiegersohn übergeben hatte, entließ man ihn.
Franz Xaver Wieninger und seine Frau übergaben Teile ihres Vermögens einer wohltätigen Stiftung und waren auch sonst sozial sehr engagiert. Die Stadt Dachau führt ihn noch heute als "Wohltäter des Alten Marktes".
Die geschichtsträchtige Wieningerstraße
Brigitte Fiedler spricht in ihrer gut 20-minütigen Führung nicht nur über den Namensgeber der Wieningerstraße. Sie erzählt auch, wie sich die Gasse und der angrenzende Pfarrplatz im Laufe der Zeit verändert haben. Damals noch "Hinteres Viertel" genannt, spielte sich rund um den heutigen Pfarrplatz manch Skurriles ab. Besonders mit ihren Erzählungen über die "bösmauligen Metzgerfrauen" sorgt Fiedler immer wieder für Lacher. Sie erzählt auch die Geschichte von Aloys Fleischmann, der 1880 in der Wieningerstraße 22, heute Sitz eines Immobilienbüros, geboren wurde. Fleischmann machte sich durch seine musikalische Begabung als Organist, Dirigent und Chorleiter einen Namen. Noch heute erinnert eine Gedenktafel am Haus an sein Engagement für die musikalische Erziehung der Dachauer Kinder.
Noch eine weitere Hommage findet sich heute in der Wieningerstraße: Ein Hobbybrauer wollte sein Bier zunächst nach der Straße benennen. Da der Name "Wieningerbräu" aber schon vergeben war, musste man sich etwas anderes einfallen lassen, erzählt Brigitte Fiedler. So kommt es, dass es "heute in dieser Straße ein Franz-Xaver-Bier gibt".

