Die KZ-Gedenkstätte liegt in dichtem Nebel. Nur die oberste Spitze der jüdischen Gedenkstätte, der siebenarmige Leuchter, ragt aus dem weißen Dunst. Der Weg zur Klosterkirche des Karmel Heilig Blut liegt nass in der Morgenkälte da. Nur wenige Menschen haben sich schon versammelt, jetzt, eine Stunde bevor der Festgottesdienst zur Feier des 50. Jubiläums des Klosters beginnt. Eigentlich ist es bereits der zweite: Am Samstag, dem Tag, an dem genau vor 50 Jahren die Klosterkirche geweiht wurde, hat schon der Hausgeistliche Pater Klaus Spiegel mit den Schwestern die Messe zum großen Anlass begangen. Am Sonntag feierten die 17 Karmelitinnen noch einmal - gemeinsam mit Kardinal Reinhard Marx und "mehr Freunden und Gästen", so Priorin Schwester Irmengard, als je zuvor.
In der Kirche ist es kühl, aber einladend. Die Lampen, die von der Holzdecke mit den großen Fenstern hängen, verstrahlen warmes Licht. Man fühlt sich willkommen, aufgenommen, geht nicht in Weite und Pomp verloren. Der Ort lässt einen genau das spüren, was am Ende des Tages als Essenz dieses 50. Jubiläums zurückbleibt: Freundschaft und Versöhnung.
"Dachau bleibt ein verstörender, irritierender Ort", sagt Kardinal Marx in seiner Predigt. Der "Zivilisationsbruch" der nationalsozialistischen Zeit habe viele daran zweifeln lassen, ob "man noch von Gott reden kann, Gott anbeten kann". So habe schon Pater Leonhard Roth, der Häftling im Dachauer KZ und später Seelsorger und Mitglied des Internationalen Dachau-Komitees war, mit der Frage gerungen: "Ist es nicht besser, zu verstummen?" "Wer soll Gerechtigkeit für die Taten von Dachau und Auschwitz herstellen?", fragt Marx noch. Beim Besuch mit anderen europäischen Bischöfen auf dem Schlachtfeld von Verdun, auf dem 120 000 Soldaten aller Nationen ihre Leben ließen, sei ihm die Antwort klar geworden: "Versöhnung und Sühne werden nur möglich, wenn ich mich vom Leid der anderen bewegen lasse, vom Leid des anderen her denke." Genau das, so der Kardinal, leisteten die Schwestern im Karmel Kloster jeden Tag.
Später erzählt der Holocaust-Überlebende Max Mannheimer davon, wie er während seiner Zeit in Auschwitz fast seinen Glauben verloren hätte. Er ist sichtlich gerührt, als er davon berichtet, wie er doch wieder zu Gott fand. Fast versagt ihm die Stimme. Auch Schwester Elija neben ihm fällt es schwer, nicht die Fassung zu verlieren. "Du weißt ja gar nicht, was es für mich bedeutet, hier ein Stück Heimat gefunden zu haben." Das, so erzählt Schwester Elija, habe Mannheimer immer mal wieder über das Kloster gesagt, wenn er zum Mittagessen kam. Viele sind an diesem Sonntag gekommen, um mit den Schwestern zu feiern. Der Besucherraum im hinteren Teil des Klosters ist voll. Die meisten Gottesdienstbesucher sind aus der Kirche mitgekommen, um den "lebendigen Rückblick", wie Schwester Elija es nennt, auf die Geschichte des Klosters mitzuerleben.
Schon am Freitagabend wagten die Schwestern bei einer szenischen Lesung einen Exkurs in die Geschichte. Besser hätte Schwester Elija den Rückblick am Sonntagmittag nicht beschreiben können. Es wird viel gelacht, gewitzelt und bei allem Ernst des Ortes liegt doch immer wieder auch eine Prise Selbstironie in den Worten der Erzählenden. "Ich komme mir vor wie bei Günther Jauch. So etwas ist man als Karmelitin gar nicht gewohnt", sagt Schwester Elija, als sie vor dem vollen Raum die Redner vorstellt. "Urgestein" nennt sie diejenigen, die dann von ihren ganz persönlichen Erfahrungen mit dem Kloster erzählen.
Schwester Magdalena ist aus dem Stammkloster des Karmel angereist. Sie war noch Hilfsarbeiterin beim Bau des Dachauer Klosters. Am 16. Oktober 1963 kam sie mit der Gründerin, Mutter Maria Theresia, und drei anderen Schwestern an. Schwester Enikö war lange selbst Priorin in Dachau. Als 26-Jährige ließ sie ihre Heimat Budapest hinter sich, um dem Karmel beizutreten - in Ungarn war das nicht möglich. Als "fast inneren Druck" beschreibt sie ihren Wunsch. Über Umwege und ohne Deutsch zu sprechen kam sie nach Dachau, ihre Mutter ließ sie unwissend zurück, um sie nicht zu gefährden. Sogar zu einer zweijährigen Haftstrafe wurde sie in Abwesenheit in Ungarn verurteilt, weil sie nach Deutschland ins Kloster ging. "Es war wie ein Traum, als ich aufgenommen wurde. Anfangs dachte ich: Es ist wie ein Film." Albert Eder, "manche nennen mich auch Bruder Albert", arbeitet seit 36 Jahren im Kloster. "36 Jahre mit 17 Frauen, und dann noch eine eigene Frau", richtet er das Wort an Kardinal Marx, "gibt's da keine kirchliche Verdienstmedaille?"
Gabriele Hammermann, Leiterin der KZ-Gedenkstätte, spricht von einer "gelebten und lebendigen Nachbarschaft" mit dem Kloster. Trotz des unterschiedlichen Umgangs mit der Zeitgeschichte bestehe eine persönliche Verbundenheit mit den Schwestern. Die Gemeinschaft und Verbundenheit, in der die Schwestern zusammenleben, fasziniere sie. Auch Pfarrer Björn Mensing von der evangelischen Versöhnungskirche spricht von einer "engen, innigen Verbundenheit" mit dem Kloster. "Eindrücklich" ist ihm in Erinnerung geblieben, wie die Schwestern ihm bei seiner Einsegnung ihren Segen ausgesprochen hätten. Für Diakon Klaus Schulz ist das Kloster "ein Stück Heimat geworden".
Dass die Öffnung der Gitter im Kloster eine Zäsur darstellte, ist an den Geschichten vieler Zeitzeugen spürbar. Von "Courage" spricht Hammermann, und nennt es eine Errungenschaft, dass die Schwestern trotz des entfernten Gitters nicht ihren kontemplativen Fokus verloren haben. Aber auch die Freundschaft ist ein Thema, das immer wieder auftaucht. Pater Ullrich, selbst Karmelit, bringt es auf den Punkt. Das Wort Sühne komme bei den Gründungsheiligen des Ordens gar nicht vor, sagt er. Stattdessen die Freundschaft: "Aus dem Sühnekloster, wie es propagiert wurde, ist ein Kloster der Freundschaft mit Gott und den Menschen geworden. Damit machen die Schwestern einen wesentlichen Aspekt unseres Charismas bekannt."