Frauenhaus in Dachau:Frauen, die hier leben, müssen sich verstecken

Frauenhaus in Dachau: Für Frauen, die unter der Gewalt ihres Partners leiden, ist der Gang ins Frauenhaus meist der letzte Schritt.

Für Frauen, die unter der Gewalt ihres Partners leiden, ist der Gang ins Frauenhaus meist der letzte Schritt.

(Foto: Ute Grabowsky/imago images/photothek)

Das Dachauer Frauenhaus hat viel mehr Platzanfragen als es Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt aufnehmen kann. Helferinnen erzählen, warum sie ihr Beruf manchmal wütend macht.

Von Carlotta Böttcher, Dachau

Ein kleiner Asphaltweg führt zum Haus. Durch die Eingangspforte sind schon viele Frauen gekommen. Manche mit Kindern an der Hand, andere ohne, manche mit Gepäck, andere nur mit einem kleinen Beutel; alle ohne zu wissen, wie lange sie bleiben würden. Manche Frauen verlassen ihr Zuhause Hals über Kopf, andere kennen die Abläufe des Täters und können ihre Flucht etwas planen. Und dann kommen sie an, in ihrem neuen "Zuhause". Von außen wirkt das Dachauer Frauenhaus wie ein normaler Wohnort. Sieht man genauer hin, fällt auf, dass es an der Pforte kein Eingangsschild gibt, dass keine Namen an der Klingel stehen.

Die Frauen, die hier leben, müssen sich verstecken - vor Männern, die ihnen Gewalt zugefügt haben. Vor denen sie immer noch nicht endgültig in Sicherheit sind.

Im Frauenhaus wohnen zur Zeit fünf Frauen und drei Kinder. Küche, Bad und Wohnzimmer teilen sich die Bewohnerinnen, die Schlafzimmer nur mit ihren Kindern - egal welchen Alters. "Im Frauenhaus lebt man nicht, weil es hier schön ist oder die Gemeinschaft so nett ist. Hier ist man nur, wenn man es wirklich braucht", erklärt Sozialpädagogin Laura Kaufmann, seit September 2021 leitet sie gemeinsam mit Nicola Kaufmann das Frauenhaus Dachau.

Zu wenige Plätze im Frauenhaus

Dieses Jahr gab es bereits 93 Platzanfragen, nur fünf Frauen konnten aufgenommen werden. Muss eine Frau abgelehnt werden, so wird ihr - wenn gewünscht - bei der Suche nach einem anderen Frauenhausplatz geholfen. Das kann im benachbarten Landkreis sein, aber auch in einem anderen Bundesland. "Wir können bei jeder Nachfrage schon zwei oder drei Telefonnummern von anderen Frauenhäusern weitergeben", sagt Kaufmann: "Wir wissen aber nicht, ob dort dann wirklich noch was frei ist." Die längste Zeit, die ein Zimmer im Dachauer Frauenhaus leer stand, waren zwei Wochen. In dieser Zeit wurden alte Möbel renoviert - normalerweise komme so eine lange Zeit mit freiem Platz nicht vor, so die Leiterin.

Frauenhaus in Dachau: Zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen entwirft die Dachauer Künstlerin chalin ein Plakat für das Dachauer Frauenhaus.

Zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen entwirft die Dachauer Künstlerin chalin ein Plakat für das Dachauer Frauenhaus.

(Foto: Frauenhaus Dachau)

Die Kapazitäten sind überall knapp. Laut Sozialministerium gibt es in Bayern derzeit 39 staatlich geförderte Frauenhäuser. Zusammen mit drei nicht-staatlichen Frauenhäusern ergibt das rund 400 Plätze. Die Empfehlung des Europarats ist: ein Frauenhausplatz pro 7500 Einwohner. Demnach müsste es über 1700 Frauenhausplätze im Freistaat geben, sprich 1300 zusätzliche. Im Landkreis bräuchte es nach der Empfehlung statt fünf mindestens 20 Plätze. Kaufmann bestätigt, dass ein gesetzlicher Anspruch auf einen Frauenhausplatz helfen würde, den Anfragen gerecht zu werden.

Nayla Şahin, die eigentlich anders heißt, lebte drei Jahre im Dachauer Frauenhaus, mit ihren zwei Kindern. Sie konnte aus dem gewaltvollen Umfeld fliehen, einen Tag bevor der Täter von seiner Kontaktsperre zurückgekommen wäre. Von den fünf oder sechs Frauenhäusern, die sie kontaktierte, fand sie nur in Dachau einen freien Platz. Inzwischen lebt sie in einer eigenen Wohnung.

"Ich komme jetzt wieder alleine zurecht."

Fragt man Şahin, wie es ihr dort geht, findet sie große Worte: "Hier ist es super, ich bin glücklich, fühl mich wie neu geboren." Und weiter: "Ich bin hier viel ruhiger, es sind nicht die ganze Zeit Leute da und meine Kinder haben eigene Zimmer." Die Zeit nach dem Umzug sei schwierig gewesen. Die Angst war groß, dass ihr Ex-Mann sie finden würde, sie machte oft die Jalousien runter, sorgte sich, wenn die Tochter allein zu Hause war. Inzwischen sei sie mehr zur Ruhe gekommen, habe die Wohnung fertig eingerichtet, freue sich, endlich wieder Besuch empfangen zu können - im Frauenhaus ging das nicht. Auch ihre Tochter hätte inzwischen verstanden, dass "die Wohnung für uns ist", sie lädt Besuch ein, auch mal eine Freundin über Nacht. Şahin sagt: "Ich habe langsam verstanden, dass ich es geschafft habe. Ich komme jetzt wieder alleine zurecht."

Und wenn sie doch einmal Hilfe braucht, etwa beim Formulieren einer E-Mail, dann helfe ihr Kaufmann, sie sei weiterhin eine gute Unterstützung. Ein wenig Sorge bereite ihr nur, dass die derzeitige Wohnung nur eine Übergangslösung ist. Das Frauenhaus hat die Sozialwohnung mit der Stadt Dachau angemietet - allerdings nur für zwei bis drei Jahre, dann soll das Haus abgerissen werden.

Frauenhaus in Dachau: Laura Kaufmann ist Sozialpädagogin und leitet das Frauenhaus Dachau gemeinsam mit Nicola Kaufmann.

Laura Kaufmann ist Sozialpädagogin und leitet das Frauenhaus Dachau gemeinsam mit Nicola Kaufmann.

(Foto: Toni Heigl)
Frauenhaus in Dachau: "Wir lassen dieses Thema nicht hinter verschlossenen Türen" ist auf fünf Litfaßsäulen in Dachau zu lesen. Entworfen wurden die Plakate von der Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt.

"Wir lassen dieses Thema nicht hinter verschlossenen Türen" ist auf fünf Litfaßsäulen in Dachau zu lesen. Entworfen wurden die Plakate von der Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt.

(Foto: Toni Heigl)

Kaufmann meint, es sei für alle Bewohnerinnen schwierig, nach dem Aufenthalt im Frauenhaus bezahlbaren und freien Wohnraum zu finden. Andere Frauenhäuser hätten dafür ein "Second Stage"-Modell, also Wohnraum, der von den Frauenhäusern selbst angemietet wird und für Frauen nach ihrem Auszug zur Verfügung steht. In Dachau konnte das Projekt nicht umgesetzt werden, da weder bezahlbarer Wohnraum noch Personal für die enge Nachbegleitung, die dieses Modell fordert, gefunden wurde.

"Der hat drei Kinder, das ist so brutal"

Das Frauenhaus ist meist der letzte Schritt für Frauen, die von Gewalt betroffen sind. Wie viele Frauen es im Landkreis sind, ist schwer zu sagen: Vergangenes Jahr hat die Polizei Dachau 148 Fälle registriert, die Dunkelziffer werde viel höher eingeschätzt. Für dieses Jahr liegen noch keine verifizierten Zahlen vor, berichtet Polizeihauptkommissar Günther Findl. Der Trend der bisher erfassten Straftaten sei leicht rückläufig, das könne sich aber in den letzten Wochen des Jahres noch ins Negative verändern. Dazu kommt, dass sich manche Frauen mit ihrer Gewalterfahrung nicht an die Polizei wenden, sondern eine Anlaufstelle suchen, bei der sie anonym beraten werden. Eine Statistik aller Anlaufstellen wird nicht geführt, das ist aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht möglich.

Die offizielle Interventionsstelle gegen Häusliche Gewalt "Distel" sitzt im Landratsamt, Leiterin ist Susanne Haak-Georgius. Am Telefon ist sie wütend: "Da kommt ein verurteilter Sexualstraftäter auf Bewährung raus, weil er seine Tat zugibt. Der hat drei Kinder, das ist so brutal." Viel machen könne man dagegen nicht in der Interventionsstelle, außer die Frauen unterstützen und stabilisieren, erzählt sie. Manche Betroffene wollen über rechtliche Schritte aufgeklärt werden, andere brauchen Hilfe, um ihr eigenes Konto zu erstellen, wieder andere rufen nur einmalig für eine Beratung an. Mehr als 200 Frauen haben sich in diesem Jahr schon beraten lassen. Haak-Georgius sagt: "Wir holen die Frau da ab, wo sie gerade steht. Und gehen dann das Tempo der Klientin mit."

"Manchmal ist es einfach wichtig, mal lange zuzuhören"

Susanne Seßler weiß, dass sich die offiziellen Stellen im Landratsamt nicht um alle Fälle kümmern können. Sie leitet den Weißen Ring Dachau ehrenamtlich und sagt: "Manchmal ist es einfach wichtig, mal lange zuzuhören. Da haben wir als Ehrenamtliche eine andere Flexibilität als die offiziellen Stellen im Landratsamt".

Anlässlich des Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen wird sich an diesem Freitag auch der Runde Tisch gegen Häusliche Gewalt erstmals seit 2020 wieder treffen, organisiert von Distel. Mit dabei sind Vertreterinnen des Frauenhauses, der Caritas, AWO, des Jugendamtes und Anwälte. Im Vordergrund stünden die Vernetzungsarbeit und die Diskussion über aktuelle Themen, sagt Haak-Georgius, aktuell nehme besonders Cyberkriminalität zu.

Ob diese Arbeit manchmal wütend macht, traurig, verzweifelt? Für Kaufmann ist es sehr schwierig, wenn es um Kinder geht. Denn es fehle bei Ämtern und vor Gericht die Anerkennung, dass es für Kinder genauso schlimm sei, Gewalt an einem Elternteil mitzubekommen, wie wenn sie selbst Gewalt erfahren würden - obwohl es Studien gibt, die das belegen. Manche Kinder müssten bereits eine Woche nach Einzug ins Frauenhaus wieder Umgang mit ihrem Vater haben: "Das macht fassungslos, das ist nicht leicht."

"Es gibt überhaupt keine Sicherstellung, dass das nicht wieder passiert."

Und was passiert mit den Männern, die gewalttätig wurden? "Viele haben keine Einsicht und leugnen, dass sie überhaupt Gewalt ausgeübt haben", sagt Haak-Georgius. Es gäbe Beratungsstellen, Anti-Aggressionstrainings, therapeutische Hilfe - zur Teilnahme müssen sich die Männer jedoch freiwillig entschließen und das beruhe auf Einsicht. Auch Seßler sagt: "Es gibt überhaupt keine Sicherstellung, dass das nicht wieder passiert." Die Justiz kann prophylaktisch nichts tun, sie wird erst aktiv, wenn etwas passiert ist und auch dann bedarf es einer Anzeige. Laura Kaufmann ergänzt, im Frauenhaus würden Betroffene nur selten Anzeige erstatten.

Das Sozialministerium hat einen Drei-Stufen-Plan "Bayern gegen Gewalt" entwickelt. Geplant sei, die Fachstellen für Täterarbeit ab 2023 zusätzlich zu fördern. Betroffene Frauen und ihre Unterstützerinnen werden weiter geschützt: Mit versteckten Frauenhäusern und nicht übersehbaren "Exit"-Buttons auf Internetseiten mit Anlaufstellen, um die Seite schnell verlassen zu können - für den Fall, dass der Täter hereinkommt. Auch eine der Mitarbeiterinnen, die hier zu Wort gekommen ist, will kein Bild von sich in der Zeitung sehen: Zu hoch sei das Aggressionspotential der Täter, zu gefährlich ein Foto für sie und ihre Familie.

Es gibt aber auch Frauenhäuser, die unter offener Adresse zu finden sind, zum Beispiel im Landkreis Fürstenfeldbruck. Solche Frauenhäuser müssen mit einem zusätzlichen Sicherheitskonzept geschützt werden, beispielsweise einem hohen Zaun oder einer extra Pforte. Aber sie zeigen, dass Gewalt an Frauen passiert und das Problem nicht versteckt werden kann. Denn für die Betroffenen ist es nicht nur am 25. November relevant, sondern jeden Tag Realität.

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