Dachau:Folgenschwere Begegnung

Weil das Pferd vor einem Traktor scheut, stürzt eine Kutsche um - das Verfahren gegen den Bulldogfahrer wird eingestellt

Von Benjamin Emonts, Dachau

Es ist kurz vor halb zehn Uhr morgens und die Mai-Sonne scheint über dem Dachauer Hinterland. Alois F. (Name geändert), ein forscher Landwirtssohn, macht an diesem Vormittag eine Spritztour mit seinem Traktor, ein Eicher, Baujahr 1984, Einzylinder. An dessen Kotflügeln wehen bayerische Fahnen, auf dem Anhänger steht eine Biertischgarnitur. Etwa 500 Meter vor dem Ortsschild von Kiemertshofen in der Gemeinde Altomünster - die Straße nimmt hier eine leichte Linkskurve und ist wegen der seitlichen Bepflanzung unübersichtlich - kommt dem Jungbauern plötzlich eine Pferdekutsche entgegen. Das Pferd schreckt auf und macht einen Satz nach rechts ins Gelände. Die Kutsche kippt um, ebenso wie das Ehepaar, das sie lenkt. Alois F. hält kurz an. Dann, so sagt er, kommen von hinten die ersten Beschimpfungen. Er fährt davon.

Fast genau ein Jahr später muss sich Alois F. vor dem Dachauer Amtsgericht wegen fahrlässiger Körperverletzung und unerlaubten Entfernens vom Unfallort verantworten. Eine 56-jährige Frau aus München hatte sich bei dem Sturz von der Kutsche Prellungen an den Lendenwirbeln zugezogen. Sie und ihr Mann, der wiederum Sächsisch spricht, werfen dem Traktorfahrer vor, viel zu schnell in der Kurve gefahren zu sein. Bis heute machen der Münchnerin ihre Verletzungen zu schaffen, sagt sie. Und damit nicht genug: "Ich habe jetzt ein Pferd, mit dem nichts mehr anzufangen ist." Und das, obwohl Friesen eigentlich "reine Kutschpferde" sind.

Der Kutschtrainer, der extra aus Lützen in Sachsen-Anhalt angereist ist, belastet den 26-Jährigen vor Gericht: "Für mich wahrnehmbar war eine sehr schnelle Geschwindigkeit. Vielleicht hat er den Gang raus genommen und den Trecker rollen lassen." Überhaupt erweist sich der Mann als echter Traktor-Experte. "Der Farbe nach muss es ein Eicher gewesen sein. Normal fahren die nur 20 Stundenkilometer." Der sichtlich erstaunte Anwalt des Angeklagten zollt Respekt: "Sehr gut."

Damit, dass sein Oldtimer nur sehr langsam fahren kann, argumentiert auch Alois F.. Er erzählt, dass er mit der Feuerwehr extra die Straße für ein paar Minuten abgesperrt habe. Anschließend habe er seinen 16 PS starken Eicher, der übrigens noch mit der Hand angekurbelt wird, ohne einen Gang einzulegen die Straße hinunter laufen lassen. Das Ergebnis: 37 km/h.

"Ich denke, das Pferd hat sich vor dem Traktor erschrocken", erklärt sich der junge Mann den Unfall. "Das Pferd ist nicht für den Straßenverkehr ausgelegt". Nach dem Unfall sei er eine halbe Minute stehen geblieben. Dem Pferd und den von der Kutsche gefallenen Personen sei da bereits geholfen worden. "Wenn ich gewusst hätte, auf was das hinaus läuft, hätte ich der Frau sofort geholfen", sagt der Landwirtssohn.

Seit klar ist, dass er sich vor Gericht verantworten muss, bangt der junge Mann um seinen Führerschein. "Ich wohne auf einem Einödhof, ohne ihn bin ich aufgeschmissen", erklärt er verzweifelt. Amtsrichter Tobias Bauer und die Vertreterin der Staatsanwaltschaft haben ein Einsehen und verzichten auf ein Fahrverbot. Stattdessen wird das Verfahren wegen Geringfügigkeit und gegen eine Geldauflage von 3800 Euro eingestellt.

Alois F. kann damit leben. Seit dem Vorfall habe er seinen Oldtimer nicht einmal aus der Scheune geholt. "I woit'n scho fast wieda verkaffa", sagt er. Auf einen Tadel will Amtsrichter Tobias Bauer dennoch nicht verzichten. "In Zukunft fahren Sie mit dem Ding noch vorsichtiger", mahnt der Vorsitzende. "Gott sei Dank gehören Pferde und andere Viecher noch zu der Gegend dazu, aus der sie herkommen."

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