Geflüchtete im Landkreis Dachau:"Wir sind am Ende unserer Kapazitäten"

Geflüchtete im Landkreis Dachau: Noch findet in der Turnhalle in der Steinstraße der Sportunterricht des Josef-Effner-Gymnasiums statt. Bald schon sollen hier wieder Geflüchtete untergebracht werden.

Noch findet in der Turnhalle in der Steinstraße der Sportunterricht des Josef-Effner-Gymnasiums statt. Bald schon sollen hier wieder Geflüchtete untergebracht werden.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Im Landkreis Dachau ist die Flüchtlingssituation zum Jahresende angespannt: Mit jenen Geflüchteten, die an diesem Donnerstag ankommen, sind einmal mehr alle Unterkünfte voll belegt. Landrat Stefan Löwl sieht deshalb keine andere Möglichkeit, als die Menschen wieder in Turnhallen unterzubringen.

Von Ayça Balcı, Dachau

Die Botschaft, die Landrat Stefan Löwl (CSU) am Mittwochvormittag bei einem Pressegespräch überbringt, passt zwar zu Weihnachten, stimmt aber nicht sehr positiv: Es werden Herbergen - genauer Flüchtlingsunterkünfte - gesucht. Und das ziemlich dringend. Wenn an diesem Donnerstag der letzte Bus mit Geflüchteten für dieses Jahr im Landkreis ankommt, tritt das Szenario ein, vor dem man sich im Landratsamt und in den Gemeinden schon seit einiger Zeit gefürchtet hat: Vollbelegung. Wenn die 36 angekündigten Personen auf die Unterkünfte verteilt sind, gebe es im gesamten Landkreis erst einmal keinen weiteren Platz mehr. Die von der Regierung angekündigten Zuweisungen, die seit Mitte Oktober im zweiwöchigen Rhythmus mit je 50 Geflüchteten stattfinden, werden aber auch im neuen Jahr weitergehen. "Wir sind alle am Ende unserer Kapazitäten", sagt Löwl. "Wir schlagen als Kommunen seit November Alarm, aber es ändert sich nichts." Finanziell helfe der Staat zwar, neue Räume anzumieten, nur gebe es kaum mehr welche im Landkreis, die man für Geflüchtete anmieten könne.

Seit Mitte September ist die Zahl der Flüchtlinge, die die Grenzen Deutschlands passieren, massiv gestiegen, die Erstaufnahmeeinrichtungen der Regierung waren schon im Oktober stark ausgelastet. Weil das Dachauer Landratsamt schon damals voraussah, dass die Kapazitätsgrenzen bald erreicht würden, wollte Löwl Turnhallenbelegungen bis zum Ende des Jahres nicht ausschließen. Das Gleiche galt auch für Traglufthallen, die es in den Jahren 2015 bis 2017 etwa in Karlsfeld und Bergkirchen gab. Nun kündigt Löwl zum Jahresende an, dass einige dieser Schritte unausweichlich geworden seien. Voraussichtlich ab Februar werde man die Turnhalle in der Steinstraße in Dachau wieder als Flüchtlingsunterkunft nutzen. Zuletzt wurde sie im vergangenen Frühjahr für die kurzfristige Notunterbringung von Geflüchteten aus der Ukraine genutzt. Inzwischen findet dort wieder Sportunterricht des Josef-Effner-Gymnasiums statt.

Geflüchtete im Landkreis Dachau: In der bisherigen Erstaufnahmeeinrichtung in Hebertshausen sollen Menschen im kommenden Jahr für längere Zeit untergebracht werden.

In der bisherigen Erstaufnahmeeinrichtung in Hebertshausen sollen Menschen im kommenden Jahr für längere Zeit untergebracht werden.

(Foto: Niels P. Jørgensen)
Geflüchtete im Landkreis Dachau: Hochbett an Hochbett: So sieht die Hebertshauser Unterkunft von innen aus.

Hochbett an Hochbett: So sieht die Hebertshauser Unterkunft von innen aus.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Auch der ehemalige Edeka-Markt in der Krautgartenstraße in Hebertshausen, der im Oktober nur als Erstaufnahme für ankommende Flüchtlinge eingerichtet wurde, wird im kommenden Jahr nicht mehr als solche genutzt. Stattdessen sollen dort Menschen für längere Zeit untergebracht werden. Von Traglufthallen im Landkreis ist zu diesem Zeitpunkt noch keine Rede. In der Landeshauptstadt entsteht derweil wieder eine Zeltstadt auf dem Münchner Messegelände. Anfang Januar soll es dort bis zu 2000 Plätze für Geflüchtete geben, falls die anderen Unterkünfte nicht mehr ausreichen.

Geplante Unterkünfte werden in absehbarer Zeit nicht fertig

Mit der Ankunft der letzten Zuweisung des Jahres, werden sich in den Asylunterkünften im Landkreis Dachau 1368 Personen befinden. Davon sind lediglich 282 Geflüchtete aus der Ukraine; der Großteil von ihnen ist noch immer privat untergebracht. Bei 407 Personen handelt es sich um sogenannte Fehlbeleger - das sind geflüchtete Menschen, die ein dauerhaftes oder zumindest längeres Aufenthaltsrecht haben, aber trotzdem noch in den Flüchtlingsunterkünften geduldet werden, weil sie hier keine Wohnung finden. Laut Landratsamt kämen mit den aktuellen Zuweisungen nur noch vereinzelt Ukrainer und Ukrainerinnen in den Landkreis, hauptsächlich seien es Geflüchtete aus kurdischen Gebieten in Syrien und der Türkei sowie aus Afghanistan und Pakistan. Für das kommende Jahr rechnet der Landkreis mit 1200 zusätzlichen Geflüchteten.

Das Problem: Die meisten Unterkünfte befinden sich noch in der Planung. In Sulzemoos, Karlsfeld und Vierkirchen seien Unterkünfte in Bestandsobjekten mit insgesamt 300 Plätzen im Gespräch. "Wir hoffen, dass wir zu Ostern damit rechnen können", so der Landrat. Auch neue Containerunterkünfte in Dachau mit weiteren 300 Plätzen seien geplant. Container seien zwar nicht die beste Lösung, aber immerhin besser als Turnhallen, findet Löwl. Jedoch sieht er folgendes Problem: "Die Container werden in Nachbarschaften stehen und das wird noch ein großes Thema werden." Wann die Container aufgestellt und bezogen werden können, ist noch offen. Auch über weitere kleine Standorte sei man im Gespräch; in welcher Form diese Unterkünfte umgesetzt werden, wisse man derzeit ebenfalls noch nicht.

Die Planungen für die Neubau-Unterkünfte in Holzständerbauweise in Altomünster, Odelzhausen, Petershausen, Vierkirchen und in der Dachauer Kufsteiner Straße für insgesamt 225 Personen gingen bisher nur schleppend voran. Mitte Oktober lag nur für das Projekt in Petershausen die Genehmigung vor, die Finanzierung war jedoch noch nicht vom Bayerischen Innenministerium freigegeben worden. Dadurch verzögerte sich der Baubeginn: "Mittlerweile liegt uns eine mündliche Zusage vor", berichtet Löwl. 2023 könne der Bau starten. Allerdings fügt er hinzu: "Die festen Holz-Unterkünfte werden wahrscheinlich nicht mehr nächstes Jahr fertig werden."

"Die Zahlen der Zuweisungen müssen runter."

Angesichts dieser Herausforderungen machen sowohl Löwl als auch der Karlsfelder Bürgermeister Stefan Kolbe (CSU), der die Bürgermeister des Landkreises vertritt, deutlich, dass sie sich mehr Unterstützung vom Bund wünschen. "Wir haben kein Verständnis mehr dafür, dass das auf dem Rücken der Kommunen ausgetragen wird", so Kolbe. Dabei haben die beiden Parteikollegen konkrete Erwartungen: "Die Zahlen der Zuweisungen müssen runter und die Standards müssen sich ändern." Nach dem Königsteiner Schlüssel, der die Erstverteilung der Asylsuchenden im Landkreis regelt, müsse die Gemeinde Karlsfeld eine Quote von 15 Prozent erfüllen - aber befinde sich aktuell bei 26 Prozent. "Der Karlsfelder Wohnungsmarkt ist leer", so Kolbe. Mit der bisherigen Situation in seiner Gemeinde sei er zufrieden gewesen, das sogenannte "Karlsfelder-Modell" - also feste Unterkünfte in Holzständerbauweise - habe sich bewährt. "Wir haben etwas gemacht, das menschenwürdig ist", so Kolbe. Die Traglufthalle wiederum, die von 2015 bis 2017 in der Ohmstraße stand, sei "unsagbar schlecht" gewesen.

Inzwischen hätten sich die sozialen Anspannungen gelöst, unter anderem, weil "man den geflüchteten Familien eine Privatsphäre gegeben" habe. Dass nun wieder Turnhallen als Flüchtlingsunterkünfte genutzt werden sollen, sieht Kolbe deshalb problematisch. Auch müsse man den Bürgerinnen und Bürgern im Landkreis erst einmal erklären, dass ihre Sporthallen wieder gesperrt werden. "Die Menschen kommen erst aus der Coronakrise und jetzt will man ihnen den gemeinsamen Sport nehmen."

Fest steht: Für Kommunalpolitiker wie Kolbe und Löwl ist es eine Gratwanderung, den Bedürfnissen der Landkreisbewohner auf der einen, und den Bedürfnisse der Neuankömmlinge auf der anderen Seite gerecht zu werden. Sicher ist aber auch: Der Bus mit den 36 Geflüchteten, der an diesem Donnerstag ankommt, wird definitiv nicht der letzte gewesen sein.

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