Dachau:"Wir machen wieder die gleichen Fehler"

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Die Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete in der Krautgartenstraße in Hebertshausen. (Foto: Toni Heigl)

Bürgermeister, Landrat und Asyl-Experten sehen den Landkreis an der Belastungsgrenze bei der Aufnahme von Geflüchteten. Die Helferkreise wehren sich gegen Forderungen eines Aufnahmestopps und werben für kreative Lösungen.

Von Carlotta Böttcher und Thomas Radlmaier, Dachau

Landrat, Bürgermeister, Vertreter von Caritas, Jobcenter, Polizei und kommunalen Verwaltungen - sie alle sind vor dem Hintergrund neu ankommender Geflüchteter im Landkreis Dachau alarmiert und fordern Bund und Freistaat auf, endlich zu handeln. Derzeit weist die Staatsregierung dem Landkreis alle zwei Wochen neue Geflüchtete zu. Doch es gibt zu wenige Unterkünfte, um die Menschen kurzfristig unterzubringen. Andererseits fehlt es in Behörden und Kommunen an Kapazitäten, um die Asylsuchenden in den nächsten Monaten zu integrieren. Gleichwohl sprechen sich die Helferkreise explizit gegen einen "Einwanderungsstopp" aus. Sie wehren sich gegen eine Das-Boot-ist-voll-Rhetorik und werben darum, kreative Lösungen für das Problem zu finden.

Die vorhandenen Unterkünfte sind nach Angaben des Landratsamtes fast vollständig belegt. Die Behörde arbeite daran, weitere Unterkünfte anzumieten, könne aber die "zumindest temporäre Belegung von Turnhallen oder anderen Notunterkünften" nicht ausschließen, heißt es in einer Pressemitteilung. Über die Weihnachtsfeiertage sei es gelungen, eine größere Unterkunft in Vierkirchen anzumieten. Diese biete ab Mitte bis Ende Februar vorerst circa 80 Plätze. "Was allerdings nicht einmal die aktuelle Zuweisungszahl für einen Monat abdeckt", so das Landratsamt. Deshalb plane man die Schaffung 350 weiterer Plätze in neuen Containeranlagen in Dachau und Markt Indersdorf. Auch die Anmietung weiterer Bestandsobjekte werde forciert.

"Es erschüttert mich total, dass die Mitteilung nun so ausgesendet wurde."

Wegen der angespannten Lage berief Landrat Stefan Löwl (CSU) erstmals nach 2015/16, als der Landkreis zuletzt viele Asylsuchende gleichzeitig unterbringen musste, den "Runden Tisch zum Thema Asyl im Landkreis Dachau" zu einer Sitzung im Landratsamt ein. 45 Experten, darunter Bürgermeister und Sprecher von Helferkreisen, nahmen an dem Treffen teil. "Die nun konkret drohende Überforderung der örtlichen Integrationsfähigkeit mit allen negativen Auswirkungen auf Landes- und Bundesebene" sei bei den verantwortlichen Stellen nicht präsent, teilte das Landratsamt im Anschluss an das Treffen mit.

Vierkirchens Bürgermeister Harald Dirlenbach (SPD) betonte, dass insbesondere die Kommunen nach der Erstaufnahme der Geflüchteten gefordert seien. "Wir sind dafür zuständig, dass sich die Menschen auch hier im Landkreis integrieren können", so Dirlenbach. Dazu brauche es Wohnungen, ehrenamtliche Helferkreise, Betreuungsplätze in Kitas und Schulen, Arbeitsplätze, Sprachkurse und vieles mehr. "All diese Parameter sind endlich und wir haben sie inzwischen nahezu ausgeschöpft." Das Landratsamt schätzt, dass für Geflüchtete, die schon seit Jahren im Landkreis leben, 650 Wohnungen fehlen. Viele von ihnen müssen weiter in Gemeinschaftsunterkünften oder Obdachlosenheimen wohnen.

"Wir können uns in der Welt nicht vor der Flüchtlingsthematik verschließen."

Richard Reischl (CSU), Bürgermeister von Hebertshausen, wird vom Landratsamt so zitiert: "Die Regierung hat aus der Flüchtlingswelle 2015 nichts gelernt. Heute machen wir wieder die gleichen Fehler." Die Asylverfahren würden zu lange dauern und die Integration durch knappen Wohnraum und fehlende Betreuung erschwert. Auch Indersdorfs Bürgermeister Franz Obesser (CSU) sagte laut Landratsamt: "Wie helfen, wo wir können, aber eben auch nur so viel, wie wir können. Und in einigen Bereichen, insbesondere Wohnen und Kinderbetreuung, können wir Gemeinden nicht mehr."

Nach dem Treffen des "Runden Tisches" mit 45 Anwesenden verschickte das Landratsamt am Freitag eine Pressemitteilung, die nun bei den Mitgliedern der Helferkreise Irritationen hervorruft. Zwischen den Zeilen lassen sich in dem Schreiben zwei Botschaften erkennen: Der Landkreis kann nicht mehr Geflüchtete aufnehmen, und vor allem die Bundesregierung ist nun in der Pflicht, Unterstützung zu leisten. In der Pressemitteilung wird auch Joachim Jacob, Sprecher der Helferkreise im Landkreis Dachau, zitiert: "Die Lage ist dramatisch, und wir fühlen uns von Berlin nicht ausreichend wahrgenommen. Berlin muss handeln."

Helferkreise fühlen sich übergangen

Doch wie Peter Barth vom Helferkreis Hebertshausen auf Anfrage der SZ Dachau mitteilt, wollten die Helferkreise der Pressemitteilung des Landratsamts nicht zustimmen und haben um Aufschub bis Sonntag gebeten, um sich intern zu beraten und eine Stellungnahme zu formulieren. "Es erschüttert mich total, dass die Mitteilung nun so ausgesendet wurde", sagt Barth. "Mit dieser Pressemitteilung signalisieren wir der Gesellschaft: Wir bewältigen das Flüchtlingsproblem nicht mehr. Und das stimmt nicht."

Die Helferkreise würden erkennen, dass die Gemeinden in Not seien. "Aber wir sprechen uns dezidiert gegen einen Einwanderungsstopp oder eine Obergrenze aus." Es braucht kreative Ideen, konstruktive Beiträge, um das Problem lösen zu können. "Wir können uns in der Welt nicht vor der Flüchtlingsthematik verschließen, sie wird uns immer weiter beschäftigen."

Es ist nicht das erste Mal, dass es zwischen dem Landratsamt und den Helferkreisen zu Konflikten kommt. Zuletzt hatten die Asylhelfer dem Landratsamt und Landrat Stefan Löwl (CSU) schwere Vorwürfe wegen seiner restriktiven Abschiebepolitik gemacht.

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