Dachau:Erinnern für eine friedliche Zukunft

Johanna Mollard aus Frankreich verbringt vier Wochen in der deutschen Partnergemeinde Petershausen. Dort schreibt sie über ein verschwiegenes Kapitel der deutsch-französischen Geschichte

Von Petra Schafflik, Dachau

Am 30. Juli 1944, einem Samstag, trieben deutsche Soldaten auf dem Dorfplatz der französischen Kleinstadt Clermont-en-Argonne alle Männer zusammen. Eine Vergeltungsaktion, am Tag zuvor war es zu einem Kampf zwischen französischem Widerstand und Gestapo gekommen. 100 der Arretierten wurden in Konzentrationslager verschleppt, die meisten dieser Deportierten überlebten nicht. Der damals 48-jährige Marceau Mollard wurde ins KZ Dachau deportiert und von dort ins KZ Mauthausen, wo er im November 1944 starb.

Jetzt steht seine Urenkelin Johanna Mollard im kleinen Sitzungssaal des Landratsamts und erklärt: "Ich will verhindern, dass so etwas wieder passiert. Deshalb engagiere ich mich für die deutsch-französische Freundschaft." Die 20-jährige Französin hält sich nicht zum ersten Mal im Landkreis auf, vielmehr setzt sie sich seit acht Jahren aktiv für die lebendige Partnerschaft zwischen dem französischen Varennes-en-Argonne und Peterhausen ein. Jetzt ist Mollard zu einem besonderen Aufenthalt für vier Wochen nach Petershausen gekommen: Die Geschichte ihres Urgroßvaters wird sie dokumentieren in einem Gedächtnisblatt für das Projekt "Namen statt Nummern".

Gerade die Verbindung der Ortspartnerschaft mit der Gedenkarbeit mache dieses Projekt für den Landkreis spannend, erklärt Landrat Stefan Löwl (CSU), der die Studentin offiziell willkommen heißt. Johanna Mollards Geschichte ist ein Beispiel dafür, wie individuelle Familienerfahrungen mit der Historie Europas eng verbunden sind. Wie sich gerade die junge Generation darum bemüht, die Vergangenheit durch persönliche Berichte letzter Zeitzeugen detailliert zu dokumentieren. Und sich die Jugend dabei gleichzeitig für eine friedliche gemeinsame Zukunft einsetzt. So engagiert sich Johanna Mollard in der französischen Jugendkontaktgruppe für die Partnerschaft zwischen Petershausen und Varennes-en-Argonne, dem Nachbarort ihrer Heimatgemeinde Clermont.

Dabei ging es der jungen Französin anfangs darum, beim Jugendaustausch mit Petershausen ihre Schulkenntnisse der deutschen Sprache in der Praxis anzuwenden. Inzwischen studiert Mollard Sprachen und Wirtschaft an der Universität Nancy, spricht fließend Deutsch, vor allem aber hat sie "viele Freunde hier in Petershausen, wir treffen uns regelmäßig". Die Partnerschaft der nördlichen Landkreisgemeinde Petershausen mit dem lothringischen Varennes entstand bereits 1968 als eine der ersten deutsch-französischen Partnerschaften. Varennes wurde im Ersten Weltkrieg vollkommen zerstört. Noch heute erinnern Soldatenfriedhöfe und Denkmäler an "La Grande Guerre". Doch den Aktiven aus beiden Gemeinden ist es gelungen, gerade durch die aktive Jugendarbeit die Kontakte über die Jahrzehnte lebendig zu halten und weiter auszubauen. Im jährlichen Wechsel besuchen sich die jungen Leute, der Termin des Jugendaustauschs im August "steht bei uns so fest im Kalender wie Weihnachten und Ostern", sagt Lydia Thiel, die auf Petershausener Seite die Partnerschaft mit organisiert. Herzliche Kontakte, echtes Interesse und manche persönliche Freundschaft kennzeichnen heute diese Partnerschaft, die 2018 ihr 50-jähriges Bestehen feiern wird - 100 Jahre werden dann seit dem Ende des Ersten Weltkriegs vergangen sein.

Die Familiengeschichte von Johanna Mollard stellt nun erstmals eine Verbindung der Ortspartnerschaft zum Zweiten Weltkrieg her. Der Überfall vom 30. Juli 1944 und die Deportation der französischen Dorfbewohner in deutsche Konzentrationslager ist ein historisches Ereignis, das in Petershausen bisher vollkommen unbekannt war. "Noch nie hat uns jemand davon erzählt", sagt Lydia Thiel, die in Petershausen die Ortsgeschichte dokumentierte und die örtliche Geschichtswerkstatt leitet. Auch in Clermont-en-Argonne sind die Geschehnisse von 1944 eher ein Tabu-Thema, sagt Mollard. Doch jetzt, wo sie sich bemüht, die persönliche Geschichte ihres Urgroßvaters auszuleuchten, findet sie Zuspruch für ihr Vorhaben.

Ihr inzwischen verstorbener Großvater, der als Sohn des deportierten Marceau Mollard nur überlebte, weil er bei der Selektion am Dorfplatz mit seinen kurzen Hosen gerade noch als Kind durchging, habe Zeit seines Lebens nie viel über den 30. Juli 1944 gesprochen. Seine Ehefrau, die ihre Enkelin jetzt als Zeitzeugin unterstützt, "ist schon ein bisschen stolz und auch froh darüber, dass ich diese Geschichte dokumentiere", berichtet Johanna Mollard. Während ihres vierwöchigen Aufenthalts forscht die Studentin in Archiven, um das Leben von Marceau Mollard möglichst detailliert in einem Gedächtnisblatt zu erzählen. Dieses Dokument wird am 22. März 2016 offiziell in das Gedächtnisbuch für die Häftlinge des KZ Dachau "Namen statt Nummern" aufgenommen.

In Petershausen wird die Arbeit gemeinsam mit der Wanderausstellung "Das Lager und der Landkreis" gezeigt, auch in Mollards Heimat Clermont soll die Biografie präsentiert werden. Vielleicht, so Sabine Gerhardus vom Projekt "Namen statt Nummern", ergebe sich damit auch die Gelegenheit, die Vita anderer Deportierter aus Clermont noch zu dokumentieren. Doch der Aufenthalt von Johanna Mollard ist nicht nur historisches Forschungsprojekt. Die 20-jährige will junge Leute aus Dachau kennen lernen, wird im Josef-Effner-Gymnasium Französisch unterrichten und bei Terminen mit Bezirksheimatpfleger Norbert Göttler einen Eindruck von Oberbayern bekommen. Gemeinsam mit der Petershausener Jugend kehrt sie Anfang August zurück nach Varennes. Dann steht nämlich die jährliche Jugendbegegnung auch in Johanna Mollards Kalender.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: