Dachau:Die Stadt und ihr Kirchturm

Nachdem die Kommune für die Sanierung des Wahrzeichens der Altstadt nur 5000 Euro bei Kosten von 1,4 Millionen Euro zuschießt, hat Gästeführerin Anni Härtl das Verhältnis von Kommunalpolitik und Sankt Jakob historisch eingehend erforscht

Von Wolfgang Eitler, Dachau

Der Kirchenturm von Sankt Jakob ist saniert. Das Gerüst ist rechtzeitig zu Weihnachten weg. Aber die Debatte im Dachauer Stadtrat, ob und wie er sich an den Kosten für das Wahrzeichen der Altstadt beteiligen soll, ist nicht vergessen. Zur Erinnerung: Der Pfarrverband hatte die Stadt um Unterstützung bei der Renovierung des Kirchturms gebeten, zudem wird die Fassade der Kirche neu gestrichen. Im Haupt- und Finanzausschuss reichten die Vorschläge der Stadträte von null Euro bis 10 000 Euro. Die Verwaltung warnte davor, einen Präzedenzfall zu schaffen. Nach seiner Kalkulation fehlten dem Pfarrverband 85 000 Euro. Zu den Gesamtkosten von 1,4 Millionen Euro trägt der Pfarrverband selbst 423 000 Euro bei, die Erzdiözese 988 000 Euro. Der Stadtrat gab 5000 Euro.

Gästeführerin Anni Härtl hat sich wegen dieser Diskussion mit der Baugeschichte von Sankt Jakob befasst, hat sich ins Archiv begeben und folgenden historischen Vorgang erforscht. Erst seit 1939 hat sich die Stadt komplett aus der Verantwortung für die Altstadt-Kirche herausgezogen. Bis zu diesem Jahr war die Kommunalpolitik immerhin noch dafür zuständig, dass die Kirchturmuhr ordentlich funktionierte. Die Gästeführerin hat der SZ ihre Forschungen zur Baugeschichte von Sankt Jakob und über das angespannte Verhältnis zur Kommunalpolitik nach den Quellen des Kirchenarchiv Nummer 54 bis 23 zur Verfügung gestellt. Daraus ist die Chronologie der Ereignisse entstanden. Es ist noch wichtig zu wissen, dass Dachau 1934 zur Stadt erhoben worden war. Der damalige Bürgermeister Hans Friedrich Eberhard Walter Cramer übernahm die gleiche Position im Herbst 1939 im polnischen Leslau.

Dachau: Die aufwendige Sanierung des Turms der Kirche Sankt Jakob ist abgeschlossen.

Die aufwendige Sanierung des Turms der Kirche Sankt Jakob ist abgeschlossen.

(Foto: Toni Heigl)

6. 2. 1939: Der Bürgermeister von Dachau schrieb an die Pfarrei Sankt Jakob, Stadtpfarrer Pfanzelt: Er und die Ratsherren bieten die Kirchturmuhr als Geschenk der Pfarrei an.

28. 2. 1939: Prälat Friedrich Pfanzelt antwortet, dass nach Rücksprache und Rückfrage mit seiner vorgesetzten Behörde, dem Ordinariat, "es der Kirchenverwaltung aus prinzipiellen Gründen nicht möglich ist, die Kirchenuhr als Geschenk anzunehmen. Mit deutsche Gruß"

9. 3. 1939: Der Bürgermeister der Stadt Dachau schreibt, er habe keinen Grund, die in ihrem Eigentum befindliche Kirchenuhr auf dem Turm von Sankt Jakob weiterhin zu unterhalten und zu betreiben. "Die Stadtverwaltung sieht sich daher veranlasst, über die Kirchenuhr demnächst anderweitig zu verfügen und einer anderen Verwendung zuzuführen. Heil Hitler"

14. 3. 1939: Das Schreiben der Stadt wurde an das hochwürdigste Ordinariat München weitergeleitet mit der Bescheidung der Frage des "Turmuhrgeschenkes". Bisher hat Uhrmacher Rauffer täglich die Uhr aufgezogen und dafür 100 Reichsmark jährlich von der Stadt bezahlt bekommen. Zum Hintergrund: Die Stadt will durch das Geschenk diese Ausgabe einsparen. Im Falle einer Annahme des Geschenkes kann die Pfarrei aber den Uhrmacher Rauffer nicht bezahlen, sondern es müsste bei dem mit dem Mesner abgeschlossen Vertrag auch diese Verpflichtung nachträglich eingesetzt werden. "Die anderweitige Verfügung" des Stadtrats wäre natürlich für ganz Dachau eine missliche Sache, weshalb doch die Annahme des Geschenkes empfohlen würde."

Gästeführerin

Gästeführerin Anni Härtl hat die Geschichte der Streitigkeiten zwischen der Stadt und der Kirche Sankt Jakob wegen des Turms in den Archiven eruiert.

(Foto: Niels P. Joergensen)

16. 3. 1939: Schreiben des Ordinariats:

"1. Nach der Bayerischen Gemeindeordnung ist die Unterhaltung und Bedienung von Uhren, die allgemein sichtbar und vernehmbar sind, eine Pflichtaufgabe der Gemeinden. Die neue deutsche Gemeindeordnung vom 31. 1. 1935 bestimmt, dass die Gemeinden die geschichtliche und heimatliche Eigenart zu erhalten haben. Die Durchführungsverordnung vom 23. 3. 1935 besagt, dass sie die ihr übertragenen Aufgaben weiterzuführen haben.

2. Es ist nicht festgestellt, ob die Kirchenuhr tatsächlich Eigentum der Stadtgemeinde sei.

3. Für die ,anderweitige Verfügung' hätten Regierung und Landesamt für Denkmalpflege ein Wort mitzureden."

25. 3. 1939: Schreiben des Ordinariats ging an den Dachauer Bürgermeister Hans Friedrich Eberhard Walter Cramer.

13. 5. 1939: Schreiben des Bürgermeisters Cramer an Landrat. Die Kirchturmuhr wurde 1887 von der damaligen Marktgemeinde Dachau "zum Preis von 1 375,00 RM" (Reichsmark, Anm. d. Red.) beschafft. Unterhalt und Kosten des Aufziehens trug seither die Gemeinde Dachau. Bürgermeister Cramer ist der Ansicht, dass der Unterhalt der Turmuhr nicht mehr zu seinen Pflichtaufgaben gehört. Schließlich gebe es mehrere Uhren wie am Turm der Papierfabrik. Deswegen bot er die Kirchturmuhr der Pfarrgemeinde "als Geschenk" an: "Ich habe nun die Absicht, den weiteren Unterhalt der Turmuhr einzustellen, falls die Kirche diese nicht übernimmt, sie ausbauen zu lassen."

Dachau: Schon im Jahr 1939 stritt die Stadt Dachau mit der Kirche Sankt Jakob wegen des Turms und der Kosten für die regelmäßige Wartung der Kirchtrumuhr.

Schon im Jahr 1939 stritt die Stadt Dachau mit der Kirche Sankt Jakob wegen des Turms und der Kosten für die regelmäßige Wartung der Kirchtrumuhr.

(Foto: Toni Heigl)

27. Mai 1939: Schreiben von Pfarramt an Ordinariat: Die Kirchenverwaltung wäre bereit, die "Schenkung" anzunehmen, Kirchenuhr ist tadellos erhalten, Mesnervertrag für "Uhraufziehen" soll oberhirtlich genehmigt werden.

31. 5. 1939: Schreiben des Ordinariats an Pfarramt Sankt Jakob: "Die Übernahme der Turmuhr in das Eigentum von Pfarrkirchenstiftung und das Uhraufziehen in den Dienstvertrag des Mesners" wird akzeptiert.

5. 6. 1939: Schreiben an das Landratsamt: Nach den Verhandlungen mit der vorgesetzten Behörde übernimmt die Pfarrkirchenstiftung die Turmuhr ab 1. 7. 1939

27. 6. 1939: Schreiben des Bürgermeisters an Pfarrkirchenstiftung. Schenkung der Uhr von Stadt an Pfarrkirchenstiftung mit Wirkung vom 1. 7. 1939

30. 6. 1939: Schreiben von Pfarrer Pfanzelt an Bürgermeister. Die unentgeltliche Übernahme wird bestätigt. "Wenn auch diese Schenkung der Kirchenstiftung selbst für die Zukunft dauernde Lasten bringt, möchte ich doch dem Herrn Bürgermeister verbindlichen Dank aussprechen und hoffe, dass die Pfarrkirchenturmuhr auch unter dem neuen Besitzer ganz Dachau nur glückliche Stunden bis in fernste Zukunft schlagen möge."

20. 6. 1951: Die Uhrdebatte taucht in den Unterlagen des Archivs erst wieder nach dem Krieg auf: Pfarrer Pfanzelt schreibt an den Stadtrat Dachau: "Das Aufziehen der Turmuhr wurde bis zu Hitlerszeiten von der Stadtgemeinde an den Herrn Uhrmacher Rauffer vergütet. Als der Bürgermeister die Vergütung ablehnte, hat auch Herr Rauffer das Aufziehen der Turmuhr abgelehnt, so dass der Mesner mit dieser Aufgabe beauftragt werden musste. Die Kirchenverwaltung Sankt Jakob hat nun einstimmig beschlossen, an den verehrlichen Stadtrat das Ersuchen zu stellen, die alte Verpflichtung wieder zu übernehmen und dem jeweiligen Stadtpfarrmesner für das tägliche Aufziehen einen Pauschalbetrag von 100 Mark pro Jahr zu genehmigen. Die Turmuhr steht nach allgemeiner Ansicht im engsten Interesse der ganzen Stadtgemeinde."

28. 6. 1951: Schreiben von Bürgermeister Deichl an Stadtpfarramt. Deichl weist auf die Schenkung der Stadt an die Pfarrei am 1. 7. 1939 hin: "Die Stadt ist aber bereit, ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und jederzeit widerrufbar für den Betrieb und die Unterhaltung der Turmuhr einen jährlichen Zuschuss von DM 100 ab dem Rechnungsjahr 1951 zu leisten."

Um das Defizit des Pfarrverbands zu verringern, veranstaltet Anni Härtl am Freitag, 20. Januar 2017, 21 Uhr, eine Kirchennachtführung mit Orgelmusik und Trompete in Sankt Jakob.

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