Dachau:Die Sprache wiederfinden

Der Dachauer Psychotherapeut David Althaus und der Pastoralreferent von Mariä Himmelfahrt, Peter Heimann, erzählen in Text und Bild über die Trauer und über die Rückkehr von Angehörigen ins Leben. Eine Ausstellung und ein Buch in der Stadtbibliothek

Von Fam Marie Schaper und Wolfgang Eitler, Dachau

Ein Baum steht auf einer Wiese. Man sieht Gewitterwolken. Ein Sturm zieht auf. Der Wind weht immer heftiger, bis er an der Stabilität des Baumes zerrt. Es brechen Äste ab und die Wurzeln lockern sich. Als der Sturm vorübergezogen ist, hat er den Baum verwüstet zurückgelassen. Es wird dauern, bis seine Wurzeln wieder fest in der Erde verankert sind. So beschreibt David Althaus in seinem Buch "Zeig mir deine Wunde - Geschichten über Verlust und Trauer", wie sich Hinterbliebene eines gestorbenen, geliebten Menschen fühlen. Der Sturm verursacht den Verlust. Und die Zeit ist der Prozess, in dem die Wurzeln sich wieder festigen können.

Zur Eröffnung der Ausstellung von Unfallmarterln in der Stadtbücherei las der Dachauer Psychotherapeut David Althaus aus seinem neuen Buch. Es setzt sich aus sechs Einzelgeschichten zusammen. Als Psychotherapeut begleitet er in seiner Dachauer Praxis schon seit Jahren Menschen, die einen schweren Verlust erlitten haben. Sechs seiner Patientinnen bat er, ihre Trauer in Worte zu fassen und ein Tagebuch über ihre Erlebnisse zu führen. Diese Geschichten hat er durch eigene Einträge ergänzt, in denen er aus der psychotherapeutischen Sicht die Themen Tod, Abschied und Trauer begleitend erörtert.

Dachau: Zahlreiche Marterln erinnern an meist junge Menschen, die bei Verkehrsunfällen ums Leben kamen.

Zahlreiche Marterln erinnern an meist junge Menschen, die bei Verkehrsunfällen ums Leben kamen.

(Foto: Toni Heigl)

Uta W. ist Tierärztin und bringt im Jahr 2010 Zwillingsfrühchen zur Welt, Eileen und Maike. Eileen ist im Krankenhaus, weil es ihr schlecht geht, Maike hingegen lebt schon bei den Eltern. Nach Nächten ohne Schlaf geht Uta vom Krankenhaus heim. Als sie am nächsten Morgen erwacht, ist Maike krank und sie muss den Rettungswagen rufen. Ihre Tochter muss wiederbelebt werden. Uta W. erlebt die Vorgänge um sich herum "wie in Watte gepackt". Maike wird an Beatmungsgeräte angeschlossen und kann ohne diese nicht mehr leben. Die Eltern müssen eine schwere Entscheidung treffen: Sie lassen die lebenserhaltenden Geräte abschalten. Maike stirbt in den Armen ihrer Mutter.

Der Saal ist mucksmäuschenstill. Man hört, wie Zuhörer Taschentücher hervorkramen. Man sieht, wie manchen die Tränen in die Augen steigen. Durch die Klarinettentöne von Roland Prantl wird die Atmosphäre im Raum, eine Art Innehalten, noch greifbarer. Die Mutter spricht von innerer Leere, die sie zunächst keine Trauer fühlen ließ, und sie erzählte Althaus, wie ihre Seele auf "Autopilot" eingestellt war. Sie weinte nicht, bis sie einige Wochen später der Schmerz übermannte. Jetzt bedrückte sie der Schmerz zwar, aber sie fühlte sich dadurch ihrer verstorbenen Tochter ganz nah. Dass die Welt sich einfach weiterdreht, war ihr unbegreiflich. In solchen Momenten durchbricht David Althaus die Erzählpassagen mit eigenen Erklärungen, welche die Zuhörer immer wieder aufatmen und Fassung gewinnen lassen.

Dachau: Als Peter Heimann eines Tages als Relegionslehrer in eine Schulklasse kam, sagte sie ihm, dass er sich mit seinem "Scheißgott" verziehen solle. Ein Schüler war ums Leben gekommen.

Als Peter Heimann eines Tages als Relegionslehrer in eine Schulklasse kam, sagte sie ihm, dass er sich mit seinem "Scheißgott" verziehen solle. Ein Schüler war ums Leben gekommen.

(Foto: oh)

So beschreibt er, dass die Trauer der nahstehenden Angehörigen erst eintritt, wenn die Umwelt schon wieder über den Tod des Verstorbenen hinweg ist und nicht mehr daran denkt. Diese Erfahrung teilt er mit Peter Heimann, dem Pastoralreferenten von Mariä Himmelfahrt, der die Veranstaltung und die Ausstellung in der Stadtbücherei organisiert hat. Der SZ erzählt der 63-Jährige, wie er eines Tages nach einer Beerdigung in der Sakristei saß und sich dachte: "Du gehst jetzt heim und für die Angehörigen des Verstorbenen geht es erst richtig los."

Die Ausstellung mit Fotografien von Unfallmarterln, die an den Rändern von Dachaus Straßen stehen und meistens an junge Menschen erinnern, ist selbst Ergebnis einer Trauerarbeit von Peter Heimann mit einer Familie. Die Mutter des jungen Mannes, der bei einem Unfall ums Leben kam, konnte über ihren Sohn reden; nicht aber der Vater und der Bruder. Deshalb bat er die beiden, Unfallmarterl im Landkreis zu fotografieren. Heimann unterrichtet Religion an Dachauer Schulen und erarbeitete sich gerade pädagogisches Material zum Thema Trauer. Erstmals gelang es den beiden Männern, sich über das Medium der Fotografie zu öffnen. Für Heimann sind diese Fotos ein Zeichen dafür, dass sich die beiden Angehörigen aus ihrer Sprachlosigkeit zu lösen beginnen. Entscheidend ist dabei die Perspektive. Heimann sagt: "Die Bilder sind nicht voyeuristisch." Sie halten eine gewisse Distanz, aber lassen doch Nähe zu. Auf die Frage, wie er die Trauer von Menschen aushält, antwortet Heimann mit dem Auftrag, den gerade die Kirche habe, "sich solchen elementaren Lebenssituationen zu stellen". Seit vielen Jahren begleitet er Angehörige und hat dabei erleben dürfen, "dass das Zutrauen ins Leben zurückkehrt". Oft entstehe bei den Trauernden "eine neue Wertschätzung für das Leben".

Die Ausstellung mit Fotografien von Unfallmarterln ist in der Dachauer Stadtbibliothek zu den üblichen Öffnungszeiten zu sehen. Das Buch von David Althaus "Zeig mir Deine Wunde" ist eben erst im Münchner Beck Verlag erschienen.

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