Dachau:Die Marionette des Mannes

Dachau: In der Interventionsstelle bei häuslicher Gewalt, die Susann Haak-Georgius leitet, werden Betroffene betreut.

In der Interventionsstelle bei häuslicher Gewalt, die Susann Haak-Georgius leitet, werden Betroffene betreut.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Beziehungen mit Narzissten können für Frauen zum Albtraum werden

Von Angelika Aichner, Dachau

Sehr selten, eigentlich nur an einem Tag im Jahr, wird ein Problem betrachtet, vor dem viele sonst ganz gerne die Augen verschließen. Für gewöhnlich ist das der 25. November, der internationale Tag gegen Gewalt an Frauen. Initiiert 1981, werden an diesem einen Tag Tüten verteilt, auf denen "Gewalt ist nicht tragbar" oder "Gewalt kommt nicht in die Tüte" geschrieben steht. Es werden Filmvorführungen und Vorträge organisiert und Menschenketten gebildet. An diesem einen Tag geht das Thema alle an, tags darauf nur noch die, die betroffen sind.

In diesem Jahr organisierte die Dachauer Interventionsstelle bei häuslicher Gewalt (DISTEL) bereits zwei Wochen vor dem internationalen Aktionstag einen Fachvortrag. Die Psychotherapeutin Bärbel Wardetzki referierte im großen Sitzungssaal des Landratsamtes über "Eitle Liebe - wie narzisstische Beziehungen scheitern und gelingen". Das Thema interessiert nicht nur viele - an die achtzig Leute waren da -, es betrifft auch viele. Alleine in diesem Jahr wurden in der DISTEL bisher 109 Beratungsgespräche geführt, im vergangenen Jahr waren es 130. "Dabei sind nicht alle Klientinnen erfasst worden", berichtet die Leiterin der Interventionsstelle, Susann Haak-Georgius, "da die betroffenen Frauen keine Beratung aus Angst vor weiteren Verletzungen wollten." Die sechs Plätze im örtlichen Frauenhaus sind für gewöhnlich belegt. Von häuslicher Gewalt betroffen sind vorwiegend Frauen zwischen 18 und 70 Jahren - unabhängig von ihrer sozialen Schicht und ihrer Herkunft. "Es beginnt in der Regel immer mit psychischer Gewalt, die dann zu körperlicher, sexueller oder sozialer Gewalt führt", sagt Haak-Georgius. Die meisten der betroffenen Frauen wenden sich allerdings erst dann an die Beratungsstelle, wenn es zu körperlichen Übergriffen kommt.

Viele, die nicht betroffen sind, stellen häufig die Frage nach dem Warum. Nicht nur warum jemand erniedrigt oder schlägt, sondern auch warum sich jemand, der von seinem Partner erniedrigt und geschlagen wird, nicht trennt. Für Außenstehende wäre eine Trennung die logische Konsequenz. Doch so einfach ist es nicht - manche Opfer sind nämlich von ihren gewalttätigen Partnern abhängig. Diese Abhängigkeitsstrukturen erklärte Bärbel Wardetzki in ihrem Vortrag über narzisstische Liebesbeziehungen. Der Begriff Narzissmus meint die Selbstverliebtheit eines Menschen. Das müsse zunächst nicht negativ sein, sagt Wardetzki, weil narzisstische Menschen über ein gesundes Selbstwertgefühl verfügen. Negativ wird Narzissmus dann, wenn die betroffene Person nur darüber verfügt, indem sie andere Menschen, oft den Partner, kleinmacht.

Narzisstische Beziehungen kranken laut Wardetzki daran, dass sich die Partner gar nicht so sehen und auch gar nicht so sehen wollen, wie sie wirklich sind; das heißt natürlich zugleich, dass weder der eine noch der andere so sein kann, wie er tatsächlich ist. Es geht lediglich darum, eine schöne Fassade aufrechtzuerhalten. Und das ist fatal, "weil man sich in einer Beziehung aufeinander beziehen sollte", sagt sie.

Laut Wardetzki setzt sich eine solche Beziehung aus einem Narzissten und einem Komplementärnarzissten zusammen. Narzisstisch ist meist der Mann; er ist egozentrisch, nicht empathisch und interessiert sich so gut wie gar nicht für die Belange des Partners. Frauen sind hingegen meist die Komplementärnarzissten in der Beziehung; sie wollen dem Partner unter allen Umständen gefallen und geben deswegen oft ihre eigene Identität auf - deswegen sind sie auch ein Stück weit von ihm abhängig. Oder, um es vereinfacht zu formulieren: Der Narzisst gibt die Regeln vor, der Komplementärnarzisst hält sich daran. "Und das ist auch eine Form von Gewalt", so Wardetzki. Auch wenn man sie nicht sehen könne. Zunächst könne eine solche Partnerschaft ganz gut funktionieren, sagt sie, weil sich beide gegenseitig ergänzen. Allerdings eskaliert die Situation häufig, wenn die Frau mit ihrer Rolle unzufrieden ist und das dem Partner kommuniziert. An dieser Stelle wird aus der psychischen häufig körperliche Gewalt, weil der Mann gekränkt ist und damit nicht umgehen kann.

"Gelingen kann eine solche Beziehung nur dann, wenn beide bereit sind, miteinander zu sprechen, etwas von sich preisgeben und dem anderen zuhören", erklärt Bärbel Wardetzki. Gelingt das nicht, sollte eine Trennung erwogen werden - weil die Frau ansonsten die Marionette des Mannes bleibe.

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