Süddeutsche Zeitung

Dachau:Die Altstadt im Wandel

Mit der Einführung der "Dachauer Liste" vor rund zehn Jahren hat es sich die Stadt Dachau zur Aufgabe gemacht, den Einzelhandel zu schützen. Trotzdem müssen immer mehr Geschäfte schließen. Ein Erklärungsversuch

Von Sophie Kobel, Dachau

Mit dem Einführen der "Dachauer Liste" setzte die Stadt vor rund zehn Jahren ein klares Zeichen. Sie schützt den inhabergeführten Einzelhandel und soll ihm Investitionssicherheit geben. Schuhe, Lederwaren, Spielwaren, Bücher, Textilien, Bekleidung, Uhren, Schmuck. Läden, in denen diese Produkte verkauft werden, haben in Gewerbegebieten nichts zu suchen. Vielmehr sollen sie der Innenstadt besondere Attraktivität verleihen. Das Konzept hat jedoch seine Tücken: Denn zwar ist bei allen neuen Gewerbegebieten seit 2014 kein Einzelhandel vorgesehen, "allerdings gilt die Liste nicht für Bestandsgebiete, und früher gab es noch keinen Ausschluss des Einzelhandels", erklärt der Dachauer Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD). Wie also hat sich die Dachauer Altstadt in den vergangenen Jahren verändert?

"Mir ist sehr bewusst, dass es dem Einzelhandel nicht gut geht. Wir telefonieren mit Eigentümern, sobald wir sehen, dass es Leerstand gibt. Aber meistens sind Nachfolger bereits in Sicht und die Mietverträge schon geschlossen", sagt Oberbürgermeister Hartmann. So war es auch bei der Buchhandlung Wittmann, die Ende Mai nach Jahrzehnten im Herzen der Dachauer Altstadt schließt. Auch hier wird "vermutlich eine Art von Büronutzung, eine Kanzlei oder Ähnliches" einziehen, sagt Robert Danzer vom Dachauer Amt für Wirtschaftsförderung.

Es sind wieder zwei Räumlichkeiten mehr, die keine Laufkundschaft anziehen und nicht zu einer pulsierenden Altstadt beitragen. Stattdessen blockieren sie ein attraktives, altes Gebäude für potenziellen Einzelhandel. Es zeigt deutlich: Nur den Leerstand zu verhindern, reicht nicht. Wo es vor 20 Jahren drei Bäckereien, drei Metzgereien, ein Geschäft für Haushaltswaren, ein Kaufhaus und eine Drogerie gab, ist es heute nahezu unmöglich, für den täglichen Bedarf einzukaufen.

Stattdessen stehen die Dachauer vor immer mehr Schaufenstern mit gräulichen Lamellen, vor denen Immobilienbüros ihre Objekte präsentieren. Daneben eröffnen zahlreiche Kosmetik-Studios und Architektur-Büros ihre Filialen. Es braucht keinen geschulten Blick, um zu erkennen: Die Dachauer Altstadt hat sich sehr verändert. Doch die aktuelle Lage mit dem häufig genutzten Begriff "Altstadtsterben" zu betiteln, wäre falsch. Denn immer mehr Bars und Restaurants siedeln sich an und sorgen für mehr Leben auf den Straßen, zumindest abends.

"Meine Wahrnehmung ist, dass die Altstadt sich sehr positiv entwickelt hat. Als ich vor 15 Jahren meinen Job begonnen habe, war es eine schwierige Situation", sagt Tobias Schneider, der Dachauer Kulturamtsleiter. Mit Projekten wie dem Musiksommer oder mehr Veranstaltungen im Thoma-Haus versuchte man in der Kulturszene, die Altstadt attraktiver und bekannter zu machen. "Die Lage ist viel besser, seit ein paar Jahren habe ich das Gefühl, auch junge Leute gehen abends gerne wieder in die Altstadt", sagt er. Und auch eine Möglichkeiten, für den alltäglichen Bedarf einzukaufen, sorgt für Hoffnung. Unter dem Rübsamen Kaufhaus wird schon bald eine Supermarkt-Kette ihre Filiale eröffnen. Zu verdanken haben das die Dachauer jedoch nicht der Stadt. "In dem Fall hat der Eigentümer die Idee selbst vertreten. Das war ein Glücksfall", sagt Robert Danzer.

Selbst die Initiative in der Altstadt zu ergreifen, das hatte die Stadt Dachau vor mehr als zehn Jahren probiert. Eine sogenannte City-Managerin sollte damals den Branchenmix in der Innenstadt auffrischen und so für mehr Lebendigkeit in den Straßen sorgen. Doch das Projekt lief nicht gut. "Das hat einfach nicht funktioniert, weil Beteiligten selbst mit der Kooperation nicht zurechtgekommen sind", sagt Danzer. Aber, und darum sei man als Stadt sehr froh, es gebe ja inzwischen Initiativen wie "Dachau handelt" oder "LAD - Leistung aus Dachau", in denen sich Gewerbetreibende selbst zusammengefunden haben. Das scheint auch notwendig zu sein, denn ein konkretes Konzept vonseiten der Stadt gebe es momentan nicht, so Danzer. Für Jochen Neuwirt, Besitzer des Bekleidungsgeschäfts "Down Town" und Mitglied bei Dachau, ist dieses geringe Engagement enttäuschend: "Wenn wir als Läden auf die Stadt warten würden, gäbe es viele von uns schon seit einer Weile nicht mehr." Die Laufkundschaft werde weniger, und das, obwohl abends immer mehr los sei auf den Straßen. "Aber wenn ich tagsüber im Verkehrschaos versinke und ständig in Büros oder in Schaufenster voller Alarmanlagen schaue statt in Cafés oder Läden, macht Bummeln wenig Spaß."

Ab Juni verschwindet ein weiteres Geschäft: Die Modeboutique "Bella Moden" in der Augsburger Straße schließt ihre Türen für immer. Der Grund: Kündigung wegen Eigenbedarfs. Für Besitzerin Bozena Bachmatiuk-Stupka ist es keine leichte Zeit. Sie hat sich über die Jahre einen Namen gemacht, die Kundinnen kamen bis aus München zu ihr in den Laden. "Auch wenn in der Altstadt sonst wenig los war und alle immer mehr ins Einkaufcenter gefahren sind, habe ich es hier geliebt", erzählt sie. Ihr Geschäft woanders in Dachau zu öffnen, kommt für sie daher nicht infrage: "Mein Herz hängt an diesem Ort und nicht woanders." Mehr als 25 Jahre erlebte Bachmatiuk-Stupka den Wandel in der Dachauer Altstadt mit. Sah, wie ein Geschäft nach dem anderen ein- und wieder auszog. Jetzt werden die Wände zwischen ihrem Geschäft und dem Laden nebenan durchgebrochen und zusammengelegt, Büros werden dort einziehen.

Auch Alma Hodziz hat die Veränderung in ihrer Straße mitbekommen. Sie hat ein paar Meter weiter im Oktober den "Herrenausstatter Rauffer" übernommen. Sie sagt: "Ich hab das Gefühl, oftmals werden Kanzleien oder Immobilienbüros bevorzugt, weil die Mieteinnahmen sicherer scheinen. Das ist purer Egoismus und macht den Einzelhandel weiter kaputt." Sie selbst habe zuvor in der Münchner Innenstadt gearbeitet, dort gab es klare Vorschriften, und Büros waren in den oberen Geschossen angesiedelt. "Wir brauchen auch in Dachau den Platz für Gründer." Denn den regionalen Bedarf für Einzelhändler gebe es, da ist sie sich sicher.

Das bestätigt auch Danzer von der Wirtschaftsförderung: Es gebe durchaus Händler, die mit spezifischen Sortimenten auf die Stadt zukämen. "Zum Beispiel vegane Anbieter, Kaffeeröstereien oder Natur-Labels. Wir können aber in die Wahl der Vermieter nicht stark eingreifen, es gibt dort schließlich eine Gewerbefreiheit." Man dürfe die Nutzungsmöglichkeiten deshalb nicht zu sehr einschränken. Trotz allem ist Danzer aber vor allem eines: zufrieden mit der bisherigen Entwicklung der Altstadt.

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Quelle:
SZ vom 01.06.2021
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