Mitten in Dachau:Wenn der Postmann tausend Mal klingelt

Mitten in Dachau: Ein Paketzusteller von DHL liefert ein Paket aus.

Ein Paketzusteller von DHL liefert ein Paket aus.

(Foto: Oliver Berg/dpa)

Paketboten sind immer in Eile und manchmal versetzen sie uns in Angst und Schrecken. Über Menschen, die dafür sorgen, dass es uns an nichts mehr fehlt.

Glosse von Gregor Schiegl

In einem Mehrfamilienhaus zu wohnen, hat gewisse Vorteile, vor allem dann, wenn man über und unter sich noch andere Mieter hat. Sie sorgen für eine verlässliche Grundwärme, unliebsamen Besuch bekommt man eher selten. Statistisch werden bevorzugt Bewohner der obersten und der untersten Etagen ausgeraubt. Oben hat der Einbrecher Ruhe, unten hat er den kürzesten Fluchtweg, in der Mitte nur Scherereien. Manchmal wagen sich die Zeugen Jehovas bis in den ersten Stock und wollen mit einem über Gott sprechen. Bewährt hat sich die Methode, sie mit dem Thema Bolognese-Sauce zu konfrontieren: ob man da jetzt Zwiebeln reintut oder nicht. Auch das ist eine Glaubensfrage.

Aber selbst so ein privilegiertes Leben der Mittelschicht zwischen Parterre und zweitem Stock bleibt nicht frei von Anfechtungen. Als es jüngst an der Tür klingelt und man unter grober Vernachlässigung seine Home-Offfice-Pflichten sogleich öffnet, um das von der Gattin sehnsüchtig erwartete Paket mit dem hammerschicken neuen Kleid in Empfang zu nehmen, ist nur ein dumpfes Poltern im Hauseingang zu hören. Im selben Moment schlägt schon die Haustür zu, und eine dunkel gekleidete Gestalt rennt fort. In so einer Situation sucht man instinktiv Deckung hinter dem Türstock, um nicht von der Druckwelle der Detonation ins nächste Stockwerk hinaufgeblasen zu werden. Anders als am Montag ein mit einem Böller präparierten Blumentopf an einer Petershausener Grundschule explodiert der Karton jedoch nicht, der Mann, der es gebracht hat, hat es nur furchtbar eilig. Dem Kleid geht es übrigens den Umständen entsprechend gut.

Ein anderer Tag: Mehrmals klingelt es in kurzen Abständen an der Tür. Gestresste Paketboten bimmeln ja überall, bis sich einer der Bebimmelten im Hause erbarmt aufzumachen. Ist die Bahn frei, pfeffern sie ihre Fracht in den Flur, nicht umsonst spricht man von Postwurfsendungen. Doch diesmal ist gar keine Lieferung angekündigt, außerdem hat man gerade den Hörer am Ohr wegen einer wichtigen Recherche. Während man noch versucht, das Schrillen auszusitzen, wird es einem in immer kürzeren Abständen ins Ohr gedrückt. Bei so einer Dringlichkeit fängt man an zu grübeln, wer da jetzt vor der Tür stehen könnte und wegen was. Hat sich der Nachbar beim Heimwerken den Arm abgesägt und verblutet nun langsam auf der Fußmatte? Haben die Zeugen Jehovas endlich die einschlägige Bibelstelle zur Klärung der Zwiebelfrage gefunden?

Das Gespräch wird höflich unterbrochen, jetzt muss man doch mal nachsehen. Auf dem Weg zur Tür bricht der Klingelsturm ab. Draußen steht ein kleines braunes Paket, adressiert an die eigene Frau, Aufschrift "medizinische Lieferung". Bis zum Abend rätselt man, was für eine schreckliche Krankheit das wohl sein mag, die sie einem verschweigt. "Ach", sagt sie auf behutsame Nachfrage, "das ist doch nur meine Kosmetik. Die kriegt man nur im Online-Handel."

Uns geht's echt zu gut.

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