Deutsch-Polnische Kulturtage:Annäherung im Schatten der großen Politik

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Dachaus Landrat Stefan Löwl und Andrzej Skrzypiński (rechts), Landrat von Oświęcim, kennen sich schon lange. Hier sind sie bei den Feierlichkeiten aus Anlass des Jahrestages der Befreiung des KZ Auschwitz im vergangenen Jahr zu sehen. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Beziehungen zwischen Berlin und Warschau haben sich weiter verschlechtert, aber die Landkreise Dachau und Oświęcim halten unbeirrbar an ihrer Partnerschaft fest und engagieren sich für mehr Verständigung. In dieser Woche beginnen die Deutsch-Polnischen Kulturtage.

Von Helmut Zeller, Dachau

Auf die „Magic Moments“ kommt es an. Sie können eine zerrüttete Beziehung noch retten, behaupten Paartherapeuten. Aber weiß man das in Berlin und in Warschau? Von magischen Momenten war in der deutsch-polnischen Beziehung seit dem Regierungswechsel in Warschau vor einem Jahr jedenfalls kaum etwas zu spüren, schon gar nicht von einem Neustart, auf den viele hofften, nachdem der proeuropäische Premier Donald Tusk mit seiner Mitte-Links-Koalition die Regierung der rechtsnationalistischen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) abgelöst hatte.

Er habe, sagt der Dachauer Landrat Stefan Löwl (CSU), schon erwartet, dass Berlin und Warschau gemeinsam neue Akzente setzen würden. „Aber von Berliner Seite ist wenig gekommen. Die Polen sind enttäuscht.“ Und die vierten Deutsch-Polnischen Kulturtage in Dachau, die an diesem Donnerstag, 21. November, beginnen, sind in das Gravitationsfeld der großen Politik geraten.

„Es kommt auf das Zwischenmenschliche an“

Die Wahlniederlage der PiS hatte in Dachau die Hoffnung auf eine noch stärkere Zusammenarbeit mit dem Partnerlandkreis Oświęcim genährt. So kam es nicht. Dennoch, die Macher auf beiden Seiten lassen sich von den politischen Verwerfungen kein bisschen entmutigen. Der polnische Landrat Andrzej Skrzypiński von der proeuropäischen Bürgerplattform und sein deutscher Kollege Stefan Löwl freuen sich auf das Jahr 2025, wenn die kommunale Partnerschaft in das zehnte Jahr ihres Bestehens geht. Bernadette Czech-Sailer, Herz und Motor der anstehenden Kulturtage, sagt: „Es kommt auf das Zwischenmenschliche an.“ Nicht die Politik, sondern die Menschen prägten die Beziehung beider Länder, so die gebürtige Polin, die seit 30 Jahren im Landkreis lebt. Die Kulturtage als zentrales Projekt der Partnerschaft richten sich vor allem auch an die etwa 2200 Polen, die im Landkreis Dachau leben.

Erinnerungskultur
:"Diese Freundschaft ist eine meiner wichtigsten Aufgaben"

Seit Andrzej Skrzypiński im Herbst 2021 zum Landrat von Oświęcim gewählt wurde, hat sich sein Blick auf die Bedeutung der Landkreispartnerschaft zu Dachau verändert. Ein Gespräch über Solidarität, politische Stimmungen und den Umgang mit der Geschichte.

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Doch klar ist, dass die Kulturtage nicht in einem unpolitischen Raum über die Bühne gehen. Ausgerechnet der proeuropäische Tusk hat angekündigt, dass er das europäische Asylrecht für Geflüchtete, die über die Grenze zu Belarus ins Land kommen, zeitweise aussetzen will – und damit Menschenrechtsaktivisten auf beiden Seiten der Grenze schockiert. Tusk steht unter Druck. In der Präsidentenwahl 2025 will er einen Kandidaten aus seinem politischen Lager durchbringen. Der jetzige Präsident Andrzej Duda ist ein Verbündeter der PiS und blockiert durch seine Vetopolitik alle Reformen der Tusk-Regierung. Bei der breiten Masse aber kann der Premier nur durch eine restriktive Migrationspolitik punkten.

Filmemacherin wird als Nazi beschimpft

Im Rahmen der Deutsch-Polnischen Kulturtage wird am Samstag, 23. November, in Dachau der Film „Green Border“ von Agnieszka Holland gezeigt: Dieser erzählt die Geschichte einer syrischen Familie im Jahr 2021 und wie unmenschlich die Grenzbeamten auf beiden Seiten der belarussisch-polnischen Grenze mit den Geflüchteten umgehen. Die preisgekrönte Regisseurin wurde unter der PiS-Regierung als Nazi und Verräterin, Zuschauer ihres Films als Schweine beschimpft.

Eine empörte E-Mail erhielt Czech-Sailer auch in diesen Tagen. Sie solle den Film aus dem Programm nehmen, wie könne sie ihn in Deutschland zeigen, schrieb der polnische Absender, der sich auf angeblich viele besorgte Landsleute berief. Czech-Sailer sagt: „Wir wollen niemanden beleidigen. Aber die Unabhängigkeit von Kultur und Kunst sind ein hohes Gut der Demokratie.“ Der Film bleibt im Programm. Es gehe, sagt Czech-Sailer, um ein Nachdenken darüber, wohin die EU in der Migrationspolitik steuere, die belarussisch-polnische Grenze ist nicht ausschließlich eine innenpolitische Angelegenheit, sondern eine Außengrenze der EU.

„Da finde ich keine Worte, da fehlt es einfach an Anstand“

Jenseits aller aktuellen politischen Missstimmungen schwingt in der deutsch-polnischen Beziehung eine weitere Dissonanz mit, die im Umgang mit der Vergangenheit begründet liegt. Die stellvertretende Landrätin Marese Hoffmann (Grüne) ist die Partnerschaftsbeauftragte des Landkreises für die Beziehung mit Oświęcim. „Die schwierige Beziehung“, sagt sie, „besteht darin, dass wir Deutsche offensichtlich bis auf den heutigen Tag unsere Schuld versuchen kleinzureden.“

Der aktuellen Umfrage des Deutschen Polen-Instituts in Darmstadt zufolge gefällt einer wachsenden Zahl von Polen der Umgang der Deutschen mit der Geschichte überhaupt nicht. Beschämend findet Hoffmann das deutsche Angebot auf die jahrelange Forderung Warschaus nach einer Anerkennung des polnischen Leids unter der Nazibesatzung: 200 Millionen Euro für die noch etwa 40 000 Überlebenden des NS-Terrors. „Da finde ich keine Worte, da fehlt es einfach an Anstand“, sagt Hoffmann.

Verblasste Erinnerung

Dem deutschen Massenmord im Zweiten Weltkrieg fielen zwischen fünf und sechs Millionen polnische Staatsbürger zum Opfer; drei Millionen davon waren Juden. Bis zur Befreiung am 29. April 1945 litten mehr als 40 700 Menschen aus Polen im Konzentrationslager Dachau, unter ihnen fast 10 000 jüdische Häftlinge. Von den polnischen Häftlingen wurden in Dachau mindestens 8390 ermordet. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagte in seiner Rede zum 80. Jahrestag des Warschauer Aufstandes am 1. August 1944 in der polnischen Hauptstadt: „Jedes Wort scheint zu schwach für dieses Grauen. Darum möchte ich nur einen Satz sagen. Er kommt aber ganz und gar von Herzen und ist ganz und gar ernst gemeint: Ich bitte, gerade heute und gerade hier, um Vergebung.“

Hoffmann und Czech-Sailer wundern sich darüber, dass in Politik und Medien insgesamt doch eher verhalten des 1. September 1939 gedacht wird, des Tages des deutschen Überfalls auf Polen und den Beginn des Zweiten Weltkriegs. Auch im Landkreis Dachau. Es gebe eigentlich nur Björn Mensing, sagt Czech-Sailer, den Pfarrer der Evangelischen Versöhnungskirche an der KZ-Gedenkstätte Dachau. „Er ist fast der Einzige, der jedes Jahr an die Verbrechen und ihre Opfer erinnert.“

Immerhin die Partnerschaft der Landkreise Dachau und Oświęcim ist mit Leben erfüllt. Etwa durch das deutsch-polnische Fotoprojekt „Gesichter der Stadt – Facetten der Erinnerung“, das 2022 mit einem Austausch zwischen Schülern des Gymnasiums Markt Indersdorf und des Landkreises Oświęcim begann. Damals fotografierten die Teilnehmer die Gedenkstätte in Auschwitz. Im vergangenen April gingen Schüler aus Dachau und Polen mit der Kamera über das Gelände der KZ-Gedenkstätte Dachau. Gegenseitige Besuche, Ausstellungen und die jüngst begründete Schulpartnerschaft zwischen dem Ignaz-Taschner-Gymnasium und dem Stanisław-Konarski-Gymnasium in Oświęcim – die Annäherung kommt voran, auch im Schatten der großen Politik. Landrat Löwl sagt, die Partnerlandkreise „leisten gemeinsame Arbeit und damit einen wichtigen Beitrag zur Völkerverständigung und im Geiste der Freundschaft und des friedvollen Zusammenlebens in Europa“.

Und vielleicht stellen sich bei den Deutsch-Polnischen Kulturtagen in Dachau, etwa beim Konzert der Band Vołosi mit ihrer einzigartigen Mischung aus Klassik und traditioneller Karpatenmusik, auch die magischen Momente ein. Bestimmt sogar.

Informationen zu allen Veranstaltungen der Deutsch-Polnischen Kulturtage finden Interessierte unter www.landratsamt-dachau.de/kulturtage

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