Musiker Ian Fisher:Der Nomade

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Ian Fisher, 29 Jahre alt, ist Stipendiat der Ruckteschell-Villa. Der Songwriter aus den USA bleibt bis November 2017 in Dachau, gibt Konzerte und veranstaltet Workshops mit Nachwuchsmusikern. (Foto: Toni Heigl)

Singer-Songwriter Ian Fisher floh aus der amerikanischen Provinz. In Dachau berührt er mit seinen Liedern die Seelen der Heimatlosen

Von ANCA MIRUNA DUNGA, Dachau

Bei manchen Menschen stellt sich unweigerlich die Frage, ob sie denn jemals jung waren, obwohl sie noch keine 30 Winter erlebt haben. Es ist ihre tiefgründige, geradezu altersweise Art, sich selbst und die Mitmenschen um sich herum zu hinterfragen. Oder über komplexe (politische) Zusammenhänge zu reflektieren. Und das Ergebnis in zwei Strophen und einem Chorus zu komprimieren und daraus ein wunderbar kluges Lied entstehen zu lassen. Ian Fisher ist so jemand: talentierter Singer-Songwriter aus den USA, 29 Jahre jung und seit Dezember Stipendiat der Ruckteschell-Villa in Dachau.

Der Mann hat viel erlebt, keine Frage. Geboren in Florida, aufgewachsen auf einer Farm in Missouri, wusste er bereits mit 21 Jahren, dass er der Enge der US-Provinz so schnell wie möglich entkommen muss, um geistig zu überleben. "Ich wollte vor dem Bush-Regime weglaufen, Europa erschien wie eine rettende Insel", erzählt er auf deutsch mit sympathischem amerikanischen Akzent. Fisher kam zunächst nach Wien und studierte Politikwissenschaften. Später zog es ihn weiter nach Berlin. Im Gepäck hatte er immer seine Gitarren dabei. Musik hatte ihn ein Leben lang begleitet. Noch vor der Highschool, mit 13 Jahren, spielte er in einer Band. "Zunächst spielte ich Bass, dann wechselte ich auf Gitarre und begann zu singen, weil unser Sänger nicht singen konnte." In den nächsten Jahren folgten dann mehr und mehr Live- Auftritte.

Nach dem Schulabschluss zog es ihn quer durch die USA, er schrieb Hunderte von Songs, spielte in unzähligen Cafés and Bars. Mit 16 kam er zum ersten Mal mit Europa in Berührung: "Typisch Ami, sieben Länder in 20 Tagen." Die erste Erinnerung an Deutschland: Weißwürste in einer Tankstelle. Trotzdem wusste er, dass er wieder kommen wird. Ja, muss. Was er an Deutschland und Dachau denn liebe? "Wissen Sie, die Amerikaner haben in den letzten Jahrzehnten im eigenen Land nie Krieg erleben müssen. Selbst Pearl Harbor war weit weg. Das hat sie auf einer unguten Art oberflächlich und intolerant werden lassen." Dann schimpft er über die "fucking American car culture", der für Amerika typischen Art, alles mit dem Auto erledigen zu müssen. Das isoliere die Menschen, lasse sie nicht mehr über den Tellerrand blicken. Quer durch das riesige Land seien alle Vororte seelenlos und bedrückend uniform: Kettenrestaurants, Kettenläden und damit eine "Kettendenkart". In Deutschland habe er gesehen, zu wie viel Tiefgründigkeit richtige Fragen und (Selbst) -Reflexion führen könnten. Auf seinem neusten Album "Koffer" gibt es den Song Candles for Elvis. Darin versucht Fisher, die Denkart jener Menschen zu begreifen, die verblendet Idole anbeten. Der Song sei bereits viele Jahre alt, und doch aktuell. "Wenn ich ihn heute spiele, denke ich an verlorene Seelen, die voller Hass und blinder Wut Demagogen wie Trump, Putin, Erdogan oder Hofer nacheifern."

Natürlich sei auch hier nicht alles Sonnenschein. In seinem deutschsprachigen Song "Koffer" rechnet er mit Berlin und der humorlosen Hipsterbewegung ab. "Du machst mich leer, aber Du hältst mich fest...Du bist lahm geworden, gentrifiziert... Ich hab nur einen Koffer in Berlin." Die Antwort auf Marlene Dietrich. Im Gegensatz zu ihr hat Fisher glücklicherweise nichts, außer einen Koffer in Berlin, und er kann der Hauptstadt bald entkommen.

Der Musiker sagt über sich, er sei ein Country-Sänger ohne country, heimatlos sozusagen. Mehr als 1000 Konzerte hat er in seinem Leben gegeben. Allein 2016 waren es fast einhundert Auftritte, quer durch Europa. Wenn man die Reisetage einrechnet, war Fischer fast ein Jahr lang auf Tour. So ein Nomadenleben fordert seinen Tribut. Viele seiner Texte lassen erahnen, dass es nicht einfach ist, Beziehungen zu halten. Das melancholische "Thinkin about it" erzählt vom ewigen Unterwegssein, wie er in klischeehafter Manier seine Cowboy-Songs zum Besten gibt. Und dann lernt er jemanden kennen, der ihn die Luft anhalten lässt, an einem Ort, wo er nicht länger als einen Tag verweilen kann. Aber welche Worte wählt man, wenn man nur ein Eintagsliebender ist?

Jetzt ist er erst einmal angekommen. Bis November 2017 wird er Dachau und die Ruckteschell-Villa sein Zuhause nennen. Ian Fisher plant Konzerte vor Ort, ebenso wie Workshops mit Nachwuchsmusikern. Seine Freundin hat gerade angefangen, in München Regie zu studieren. Zumindest für eine Weile muss er nicht darüber nachdenken, was mit der Liebe passiert, wenn er weiterziehen wird. Es gibt anderes Wichtiges auf der Welt, über das sich vortrefflich ein neuer Song schreiben lässt.

© SZ vom 31.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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