Süddeutsche Zeitung

Befreiung des KZ Dachau vor 71 Jahren:"Der Hass auf Juden sitzt tief"

Lesezeit: 2 min

Dana Bloch, Enkelin des Schoah-Überlebenden Abba Naor, kritisiert die Rolle der internationalen Politik im Nahost-Konflikt

Von Benjamin Emonts, Dachau

Ende April 1945 - die Befreiung stand kurz bevor - trieben die Nazis Zehntausende KZ-Häftlinge auf einen Marsch ins Ungewisse. Auch der litauische Jude Abba Naor, der jetzt zum 71. Jahrestag der Befreiung des KZ Dachau am 29. April 1945 spricht, wurde auf einen der Todesmärsche getrieben. Am Dachauer John-F.-Kennedy-Platz, wo heute eine Bronzeplastik an die Opfer dieser Märsche erinnert, schleppte sich der damals 17-Jährige bei Schnee und mit wenigen Fetzen bekleidet wie Tausende andere fast verhungerte und kranke KZ-Häftlinge die Straße entlang. Naor überlebte das Martyrium. Nur deshalb kann 71 Jahre nach dem Massenmord an den europäischen Juden nun seine Enkelin Dana Bloch zu den Überlebenden und anderen Besuchern der Gedenkfeier sprechen. Ihre Feststellung: "Der Antisemitismus herrscht stärker denn je auf der Welt. Es ist ein tief sitzender Hass gegen Juden, vor allem gegen die, die in Israel leben."

Im Fokus ihrer Kritik steht die Haltung der internationalen Politik zum Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern. Die Welt, so lautet ihr Vorwurf, stelle die Fakten des Konflikts so dar, dass sie Hass auf Juden und Israel schürten. Israel wolle man schlicht das Recht absprechen, sich gegen die Mörder unschuldiger Mütter und ihrer Kinder zu wehren. Bloch spricht von Hassgefühlen, Intoleranz und Unverständnis der Politik. 62 Beschlüsse habe der UN-Rat für Menschenrechte seit 2006 gegen Israel gefasst. "Der Rat hat Israel damit öfter verurteilt als den Rest der Welt zusammen", sagt Bloch. Es sei eine "zynische, manipulative, dunkle" Kampagne. Es liege an den Menschen, das zu verändern. "Wir müssen Liebe über Angst, Wissen über Ignoranz, Toleranz und Einfühlung über Hass stellen", sagt Bloch. Ihr Großvater Abba Naor habe sie trotz seines Schicksals immer dazu erzogen, niemanden zu hassen. "Ich wünsche allen Kindern der Welt, dass mein Opa noch in seinem Leben sieht, dass wir alle unseren Nächsten lieben wie uns selbst."

Zuvor hatte auch der Dachauer Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) auf den "erstarkten Rechtsradikalismus und Antisemitismus in Deutschland" hingewiesen. Die Lern- und Erinnerungsarbeit sei vor diesem Hintergrund wichtiger denn je. Die Anwesenheit zahlreicher Überlebender auf den Gedenkfeiern müsse Ansporn zur Verpflichtung sein. "Zur Verpflichtung, dass ihre Geschichte und ihr Vermächtnis in die Zukunft getragen und niemals vergessen wird." Hartmann kritisierte hinsichtlich dieser Aufgabe, dass es an der KZ-Gedenkstätte Dachau an Personal und sogar an Mitteln mangele, den Parkplatz der Gedenkstätte angemessen zu renovieren. Und nicht nur das: "Das Kräutergartenareal liegt immer noch brach, statt mit einer Ausstellung über die Leiden der dort zur Arbeit eingesetzten Häftlinge zu berichten."

Der Archivar der KZ-Gedenkstätte, Albert Knoll, wies erstmals auf einer Todesmarsch-Gedenkfeier auf das Schicksal der homosexuellen Opfer der Nationalsozialisten hin. Etwa 7000 Homosexuelle wurden in Konzentrationslagern interniert und optisch durch einen rosa Winkel gebrandmarkt. Mehr als 60 Prozent von ihnen starben, etliche auch auf den Todesmärschen. "Der Umgang mit Außenseitern und Minderheiten - das ist ein tabuisiertes Thema, mit dem sich auch die Gedenkstätten lange schwer getan haben", betont Knoll. Ein Umdenken habe sich erst in vergangenen Jahren vollzogen.

Die junge Agathe Halmen aus Siebenbürgen, die als Freiwillige für die Aktion Sühnezeichen Friedensdienste arbeitet, glaubt eine Lösung gefunden zu haben, damit sich die schrecklichen Verbrechen der Nazis nicht wiederholen: "Kommunikation, Begegnung, Verständigung." Halmen warnt vor Vorurteilen, die man sich oft leichtfertig zu eigen macht. Dabei sei es gerade die Unterschiedlichkeit der Menschen, welche die Welt "so schön und bunt macht".

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SZ vom 02.05.2016
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