Dachau:Dem Vergessen entrissen

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Auch sieben Jahre nach seinem Tod hat die Stadt noch keine Idee, wie der ehemalige KZ-Häftling Nikolaus Lehner gewürdigt werden soll, der nach der Befreiung in Dachau blieb.

Walter Gierlich

Der Pavillon im Garten des Dachauer Jugendgästehauses ist jetzt nach Nikolaus Lehner benannt, dem einzigen jüdischen KZ-Häftling, der nach der Befreiung dauerhaft in Dachau blieb, wo er im Jahr 2005 im Alter von 81 Jahren starb. (Foto: © joergensen.com)

- "Mitten im Land der Täter: Juden in Deutschland", so lautete der Titel des 13. Dachauer Symposiums zur Zeitgeschichte über "Alltag und Erfahrung nach der Shoah", das nach zwei Tagen am Montag zu Ende gegangen ist. Zu jenen Juden, die in Deutschland, dem Land der Täter gebelieben sind, gehörte der in Siebenbürgen geborene Nikolaus Lehner, der nach 1945 in Dachau, dem Ort seiner KZ-Haft, bis zu seinem Tode 2005 geblieben ist. Seinem Andenken war das diesjährige Symposium gewidmet, an dem auch seine Witwe Rosa und die beiden Töchter mit ihren Männern teilnahmen. Im ersten Referat der Tagung erinnerte die langjährige KZ-Gedenkstättenleiterin Barbara Distel an Lehner und zitierte aus dem Nachruf der Dachauer SZ vom 12. Oktober 2005: "Es ist Zeit, dass auch Dachau sich in angemessener Weise vor ihm verbeugt." Und Distel schloss ihren Konferenzbeitrag mit den Worten. "Darauf warten wir immer noch."

Rund 80 Personen nahmen am 13. Dachauer Symposium im Max-Mannheimer-Studienzentrum im Jugendgästehaus teil. Erstmals hatte es die im Landkreis Dachau aufgewachsene Historikerin Sybille Steinbacher, Professorin für Zeitgeschichte an der Universität Wien, organisiert. Sie war es auch gewesen, die mit der Veranstaltung an Nikolaus Lehner erinnern wollte, den sie selbst seit ihrer Studentenzeit gut gekannt hatte.

Was Lehner, den Barbara Distel als Zeitzeugen, Aufklärer und Mahner bezeichnete, durch unermüdliches Wirken geschafft und was Dachau ihm zu verdanken hatte, machte sie gleich zu Beginn ihres Referats deutlich: "Ohne das Engagement Nikolaus Lehners gäbe es dieses Haus nicht." Er sei zwar nicht der einzige, aber der erste gewesen, der schon 1980 eine Jugendbegegnungsstätte in Dachau gefordert hatte, sagte sie. Distel zeichnete den Lebensweg Lehners nach, der als 20-Jähriger im Dezember 1944 mit Tausenden anderen Gefangenen in einen Zug gepfercht in Dachau ankam. Seine Familie wurde bis auf einen Bruder in Auschwitz ermordet. Er selbst wurde bei der Ankunft in Dachau nicht als Jude unter seinem richtigen Namen, sondern als Ungar Nikolaus Lehner registriert. "So hat meint Vater überlebt, aber nicht sein Name", sagte seine Tochter Juliana Alon, die beim Symposium eine kurze, aber umso bewegendere Rede hielt.

Sie habe eine unbeschwerte Kindheit gehabt, aber es immer bedauerlich gefunden, dass sie keine Großeltern, keine Tanten und Onkel hatte, "die mir auch etwas zum Geburtstag schenkten". Ihren Vater habe sie" oft mit abwesendem Gesichtsausdruck und nach innen gekehrtem Blick erlebt. Er schien ganz weit weg ", sagte Alon, die als Psychotherapeutin in Köln arbeitet. "Zu frisch, zu nah, zu wund war das Schreckliche", so heute ihre Erklärung, warum die Überlebenden lange nicht darüber sprechen konnten, warum ihr Vater oft "in versteinertes Schweigen" versank.

Lehner wollte eigentlich in die USA auswandern, doch nur sein einziger überlebender Bruder erhielt ein Visum. Er baute in Dachau, das er laut Distel eigentlich nur als Provisorium betrachtet hatte, eine Firma auf. "Sperrholz Lehner war bald ein angesehener Betrieb, aber über seine Erfahrungen konnte er in Dachau mit niemandem reden", betonte Distel. Erst nach der Ausstrahlung der amerikanischen Fernsehserie "Holocaust" 1979 war es für Lehner möglich. Von da engagierte er sich unermüdlich für die Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte, setzte sich gemeinsam mit dem damaligen Direktor des Josef-Effner-Gymnasiums, Johann Waltenberger, schon 1980 für ein Haus der Begegnung ein, das erst 18 Jahre später nach heftigem Widerstand aus der CSU eröffnet wurde.

Lehner habe immer das Gespräch mit der Jugend gesucht, erklärte Distel. Da passt es, dass nun junge Menschen, wenn sie ins Jugendgästehaus kommen, in einem Pavillon tagen können, der den Namen Nikolaus Lehners trägt. Es könnte ein Anstoß für die Stadt sein, ihrerseits Lehner angemessen zu würdigen, meinte Klaus Schultz, Mitglied im Stiftungsbeirat des Jugendgästehauses.

© SZ vom 13.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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