Süddeutsche Zeitung

Investitionen:Dachauer Unternehmer informieren sich über Tschechien

Der Leiter der Bayerischen Repräsentanz in Prag, Hannes Lachmann, wirbt für wirtschaftliche Investitionen im Nachbarland

Von Tamara Wenger

DachauEs war ein Ereignis, das ein neues Kapitel in der belasteten Geschichte der bayerisch-tschechischen Beziehungen einläutete: Horst Seehofer reiste als erster bayerischer Ministerpräsident im Dezember 2010 zu einem offiziellen Besuch nach Prag, wo er auf den tschechischen Premier Petr Nečas traf. Seehofer blickte erstmals in die Zukunft, nicht in eine von der Vertreibung der Sudetendeutschen geprägte Vergangenheit. Er sprach von Versöhnung - ein Meilenstein in dem Verhältnis zweier Nachbarn, das lange Zeit von Funkstille geprägt war. Die politischen wie auch die wirtschaftlichen Beziehungen des Freistaats zu Tschechien lagen brach, wie "in einem Dornröschenschlaf", sagte der Landtagsabgeordnete Bernhard Seidenath (CSU). Erst durch Seehofers Geste seien sie "aufgeweckt" worden.

Der CSU-Kreisvorsitzende Seidenath hatte den Leiter der Bayerischen Repräsentanz in Prag, Hannes Lachmann, nun nach Dachau eingeladen, der über die aktuellen Entwicklungen in der tschechischen Wirtschaft und die Chancen einer intensiveren Zusammenarbeit sprach. An der Diskussion nahmen unter anderem Landrat Stefan Löwl, der Landtagsabgeordnete und oberbayerische Bauernsprecher Anton Kreitmayr und der Wirtschaftsförderer des Landkreises Dachau, Johann Liebl (alle CSU), teil. Die Entfernung von Dachau nach Frankfurt beträgt in etwa 360 Kilometer. Die gleiche Distanz trennt Prag von Dachau. Doch liege die tschechische Hauptstadt in den Köpfen der meisten wohl viel weiter weg, meinte Seidenath. Im Kontext der Spitzenpolitik spielte der gegenseitige Austausch der Anrainer keine Rolle, es herrschte "Eiszeit", so Lachmann. Seehofers Besuch war ein erster Eisbrecher. Ein zweiter folgte vier Jahre später, als im Dezember 2014 die bayerische Repräsentanz im Herzen Prags eröffnet wurde. "Wir haben eine neue Renaissance erlebt", betont Lachmann. Politisch, wirtschaftlich und kulturell sind Bayern und Tschechien eng verzahnt. 80 Landkreis-, Städte- und Gemeindepartnerschaften gibt es mittlerweile. Das "Centrum Bavaria Bohemia" bei Waidhaus bietet eine Plattform für die bayerisch-tschechische Kulturarbeit. Die Vertriebenenverbände wie die Ackermann-Gemeinde, die sich ohnehin nie unversöhnlich zeigte, aber auch die Sudetendeutsche Landsmannschaft hätten "die Hand ausgestreckt" und "sie wurde auch genommen." Schul- und Hochschulpartnerschaften, Tschechisch-Kurse an Volkshochschulen, zweisprachige Kindergärten in Grenznähe sowie enge wirtschaftliche Kontakte sind Indizien für eine gewachsene Kooperation. "Ein Schaufenster Bayerns in der Tschechischen Republik" möchte die bayerische Repräsentanz in Prag sein, so Lachmann. Als "Koordinierungsstelle" und "Plattform für Projekte und Begegnungen zwischen Menschen" wirkt die Repräsentanz. Als solche vermittelt sie bayerischen Unternehmern, die in Tschechien investieren möchten, wertvolle Kontakte.

Mehr als 3000 bayerische Firmen sind laut Lachmann bereits in Tschechien aktiv. Damit ist der Nachbar für den Freistaat der wichtigste Handelspartner in Mittel- und Osteuropa. Noch wichtiger ist Bayern für Tschechien als drittwichtigster Handelspartner nach Deutschland und der Slowakei. "Es gibt sicherlich noch Potenzial", appelliert Lachmann an die anwesenden Dachauer Unternehmer. Aus bayerischer Sicht gebe es viele Ähnlichkeiten mit der tschechischen Ökonomie, beide blickten auf eine lange Industrietradition zurück. Wichtige Branchen sind aktuell die Kraftfahrzeugindustrie und die gesamte Lieferkette, Militär-und Medizintechnik sowie die Nahrungsmittelindustrie. Allerdings sei Tschechien längst nicht mehr nur eine "verlängerte Werkbank" Europas, eine solide High-Tech-Industrie habe sich etabliert, so Lachmann. Die Qualitätsstandards seien hoch, das Qualifikationsniveau der Beschäftigten ebenfalls. Demgegenüber bewegen sie die Löhne mit einem durchschnittlichen Bruttoeinkommen von 1000 Euro weiterhin auf niedrigem Niveau - ein weiterer Standortfaktor, an dem sich in den nächsten Jahren wohl auch nichts ändern werde. Ein wesentlicher Schwachpunkt, der die bayerisch-tschechischen Beziehungen momentan noch hemmt, ist die vergleichsweise schlechte Infrastruktur, die dringend ausgebaut werden müsse. Vor Korruption sei das osteuropäische Land bei öffentlichen Vergaben auch noch nicht gefeit.

Die tschechische Wirtschaft sei mit einem Anteil von 85 Prozent am Bruttoinlandsprodukt in extremem Maße exportabhängig, erklärte Lachmann. Als Handelspartner würden Länder wie China auch für Tschechien immer attraktiver und liefen Deutschland langsam den Rang ab. Für Bayern heißt das: "dranbleiben", so Lachmann, um einen gemeinsamen Wirtschafts- und Arbeitsraum aufzubauen und vom Knowhow des anderen gerade im Bereich Forschung und Entwicklung zu profitieren.

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SZ vom 03.11.2015
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