Journalismus:Das Gespenst der völkischen Ideologie geht um

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„Correctiv“-Reporter Marcus Bensmann appelliert an Medien und Parteien, weniger defensiv mit der AfD umzugehen. (Foto: Robert Haas)

„Correctiv“-Reporter Marcus Bensmann spricht in Dachau über seine Recherchen zur AfD. Rund 250 Menschen kommen ins Thoma-Haus – auch um zu erfahren, was man gegen den erstarkenden Rechtsextremismus tun kann.

Von Alexandra Vettori, Dachau

Was Millionen Menschen vor einem Jahr auf die Straße brachte, füllt auch am Freitagabend den Saal im Thoma-Haus: Mehr als 250 Interessierte kommen, um dem Investigativjournalisten und Correctiv-Reporter Marcus Bensmann zuzuhören und mit ihm zu diskutieren. Die Recherchen von Correctiv, einem gemeinnützigen Medienhaus, haben zu Beginn des vergangenen Jahres zu den größten Demonstrationen in der Geschichte der Bundesrepublik geführt, auch in Dachau gingen Tausende auf die Straße, um gegen Rechtsextremismus und für Demokratie ein Zeichen zu setzen.

Im Januar 2024 veröffentlichte Correctiv die Reportage „Geheimplan gegen Deutschland“. Darin ging es um ein Treffen von Neonazis, hochrangigen AfD-Politikern und Geschäftsleuten in einer Villa bei Potsdam. Die Teilnehmer sollen demnach mit dem österreichischen Rechtsextremisten Martin Sellner die Möglichkeiten zur Vertreibung von Millionen Menschen mit Migrationshintergrund diskutiert haben. Das Schlagwort, unter dem Sellner und andere Rechtsextremisten diese Pläne seit Jahren zusammenfassen, lautet: „Remigration“.

„Wir warten nicht, bis uns ein Stick zugespielt wird“

Die Bestandteile des Journalisten-Krimis: Eine detektivische Recherche, ein in der Villa eingeschleuster Reporter und ein Saunaboot, von dem aus die Journalisten Teilnehmer des rechtsextremen Vernetzungstreffens bei An- und Abfahrt und bei Pausen an den Fenstern fotografierten.

Marcus Bensmann war an der Recherche beteiligt. „Wir warten nicht, bis uns ein Stick zugespielt wird“, erklärt er im Thoma-Haus den Hergang der Recherche. Mit ihm auf dem Podium sitzen Thomas Radlmaier, Leiter der Dachauer Lokalredaktion der Süddeutschen Zeitung, SZ-Redakteurin Jessica Schober und Fabian Handfest, Co-Sprecher des Runden Tisches gegen Rassismus. Zusammen mit der gemeinnützigen Initiative „Änderwerk“ hat der Runde Tisch gegen Rassismus den Abend organisiert.

Auf der Bühne sitzen (v. l.) Thomas Radlmaier, Marcus Bensmann, Fabian Handfest und Jessica Schober. (Foto: Robert Haas)
Rund 250 Interessierte hören den Ausführungen von Correctiv-Reporter Marcus Bensmann zu. (Foto: Robert Haas)

Wie aktuell das Thema ist, zeigen die Umfragen für die Bundestagswahl in vier Wochen: Demnach liegt die in Teilen rechtsextreme AfD bei gut 20 Prozent. „Es geht ein Gespenst um in Europa, und es ist nicht das Gespenst des Kommunismus. Es sind die Wiedergänger der völkischen Ideologie“, stellt Marcus Bensmann fest.

Einer der Referenten bei dem Treffen in Potsdam war der österreichische Rechtsextremist Martin Sellner. Der ideologische Kopf der Identitären Bewegung warb schon davor in sozialen Medien und einem Buch für seine „Remigrationsstrategie“. Sellners rassistischem Theoriekonzept zufolge sollen sich Kulturen nicht vermischen. In der Konsequenz müssten fremde Kulturen in einem Land systematisch zurückgedrängt werden.

Was die Menschen vor einem Jahr aufgerüttelt habe, sei die Überschreitung der Grenze zwischen Konservatismus und völkischem Denken gewesen, so Bensmann. Es sei eben nicht nur um die „Remigration“ von abgelehnten Asylbewerbern gegangen, sondern auch von – hier zitiert er Sellner – „nicht assimilierten Staatsbürgern“. Organisiert habe das Treffen ein ehemaliger Zahnarzt, der seit den 1970er-Jahren in der rechtsextremen Szene tätig ist. Dieser habe, so Bensmann, schon bei der Begrüßung betont, „Remigration“ sei die wichtigste Frage. Sie entscheide, „ob wir als Volk im Abendland noch überleben oder nicht“.

„Blank geputzte Begriffe“

Freilich sprechen Akteure der Neuen Rechten nicht von „Deportation“ oder „Vertreibung“, sie verwenden euphemistische Ausdrücke wie „Ethnopluralismus“, „Remigration“ oder „ethnokulturelle Identität“, die vor einem „Bevölkerungsaustausch“ geschützt werden müsse. „Das sind die blank geputzten Begriffe der völkischen Ideologie. Die Idee – das Eigene und das Fremde – die ist dieselbe“, so Bensmann. Eine Gemeinschaft bestehe danach nur aus dem „Eigenen“ mit gleicher Kultur, Herkunft und Religion, das „Fremde“ müsse verdrängt werden. Dabei entspreche die Idee der Homogenität nirgends auf der Welt der Realität, merkt der Journalist an, der jahrelang als freier Journalist in Zentralasien arbeitete: „Das könnte ich mir nur in Nordkorea vorstellen. Die Idee ist absurd, aber es ist eine Erzählung, die die Menschen triggert.“

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Für die Reportage über das Potsdam-Treffen hat Correctiv nicht nur viel Zuspruch und Medienpreise erhalten. Es folgten auch Diffamierungsversuche aus dem rechtsextremen Milieu. Teilnehmende des Treffens zogen vor Gericht, auch wegen Berichten anderer Medien – etwa der Tagesschau – über das Potsdam-Treffen. In Details bekamen manche recht, die Kernaussagen der Recherche blieben aber unangetastet. So dürfen etwa Begriffe wie „Deportation“ oder „Massenausweisung“ nicht mehr für die Beschreibung der Inhalte des Treffens verwendet werden.

„Dagegenhalten, argumentieren, draußen, in der Bahn, in der Arbeit“

Daneben, so bringt SZ-Journalist Thomas Radlmaier auf dem Podium an, habe es auch journalistische Kritik an der Correctiv-Reportage gegeben. Das Medienmagazin Übermedien und zuletzt auch die Wochenzeitung Die Zeit monierten, dass die Correctiv-Journalisten zu wenig Belege über die Inhalte des Potsdam-Treffens etwa durch Zitate geliefert hätten. Stattdessen hätten sie zu viel in die Aussagen der Teilnehmer hineininterpretiert. Was die handwerkliche Kritik anbelange, könne er damit leben, sagte Bensmann. Dass die genannten Medien aber „diesen völkischen Hintergrund unter den Tisch fallen lassen, das halte ich für fatal“. Entscheidende Fragen hat er vor Kurzem noch einmal in einer Zusammenfassung beantwortet.

Wie SZ-Redakteurin Jessica Schober betont, sei der Begriff „Remigration“ inzwischen salonfähig geworden – die AfD hat ihn in ihr Wahlprogramm mitaufgenommen. Das räumt auch Bensmann ein. Dank der Correctiv-Recherchen sei es aber wenigstens nicht wie geplant „subkutan in die Bevölkerung injiziert“ worden, es werde darüber diskutiert. Für Fabian Handfest ist der Begriff „ein ganz klarer Angriff auf die Erinnerungskultur“. Er appelliert: „Dagegenhalten, argumentieren, draußen, in der Bahn, in der Arbeit. Es ist wichtig, Gespräche zu führen.“

Ein Appell und Medien und Politik

Bei der anschließenden Diskussion mit dem Publikum gibt es viele Redebeiträge und Fragen. „So wichtig wie es ist, zu dechiffrieren, so wichtig ist es auch, zu fragen, warum die Rechte so großen Anklang findet“, meint ein Mann und listet mehrere Probleme auf, etwa Wohnungsnot und Armutsrisiko. Dem stimmt Bensmann zu. Die AfD habe es geschafft, zu suggerieren, „dass die Idee der Homogenität die Antwort auf alle Fragen ist“.

Bensmanns appelliert an Medien und Parteien, sich weniger defensiv mit der AfD auseinanderzusetzen, sie mehr mit deren Ungereimtheiten und fehlenden Lösungsansätzen zu konfrontieren. Auch den Beginn des Verbotsverfahrens hält er für wichtig. Es sei nun einmal ein großer Unterschied zwischen einer geordneten Einwanderung und „Remigration“. Eines dürfe man bei aller Sorge aber nicht vergessen: „Die AfD sagt immer, sie spreche für das Volk. Aber sie hat 20 Prozent. Das Volk, das sind die 80 Prozent.“

Marcus Bensmann hat die Erkenntnisse seiner Recherchen zur AfD in einem Buch vereint: „Niemand kann sagen, er hätte es nicht gewusst. Die ungeheuerlichen Pläne der AfD.“ Verlag Galiani Berlin. 255 Seiten. 22 Euro.

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