Trickfilm:Herr Gobel hat eine Idee

Trickfilm: Mit viel Liebe zum Detail hat Tim Stainer vom Effner-Gymnasium das Wohnzimmer und die Beatmungsmaschine des Erfinders Herrn Gobel gestaltet.

Mit viel Liebe zum Detail hat Tim Stainer vom Effner-Gymnasium das Wohnzimmer und die Beatmungsmaschine des Erfinders Herrn Gobel gestaltet.

(Foto: Toni Heigl)

Der 18-jährige Tim Stainer hat im P-Seminar am Dachauer Josef-Effner-Gymnasium einen aufwendigen Trickfilm produziert. Dabei war ähnlich viel Einfallsreichtum gefragt wie bei seinem Knetgummi-Helden, der seine am Coronavirus erkrankte Frau retten will.

Von Jacqueline Lang, Karlsfeld

Herr und Frau Gobel schauen fern, es läuft die Tagesschau. "Deutschland steht vor dem zweiten Lockdown", erklärt die Nachrichtensprecherin, als Frau Gobel, die dick eingepackt in einem Bett liegt, zu husten beginnt. Herr Gobel legt die Fernbedienung aus der Hand, um seiner Frau über die Stirn zu streichen. Im Fernsehen ist von hohen Infektionszahlen die Rede, von überfüllten Krankenhäusern und fehlenden Beatmungsmaschinen. Herr Gobel schaltet den Fernseher aus und schlurft aus dem Raum. Wenige Einstellungen später sieht man Herrn Gobel in seiner Werkstatt, er arbeitet an einem Beatmungsgerät für seine Frau. Denn, das wird auch ohne Dialoge klar: Frau Gobel ist an Covid-19 erkrankt und bekommt nur noch schwer Luft.

In Wirklichkeit ist Frau Gobel nicht krank und Herr Gobel kein genialer Erfinder, der in kürzester Zeit eine Beatmungsgerät entwickelt, das seine Frau am Leben erhält. Herr und Frau Gobel sind nicht einmal echte Menschen, sie sind nur etwa zwölf Zentimeter groß und aus Knetmasse gefertigt. Sie sind die Hauptfiguren im Kurzfilm "Apollon" - so heißt die Erfindung von Herrn Gobel - erschaffen von Tim Stainer, einem 18-jährigen Karlsfelder Schüler.

Trickfilm: Der Schüler und Trickfilmer Tim Stainer.

Der Schüler und Trickfilmer Tim Stainer.

(Foto: Toni Heigl)

Entstanden ist der siebenminütige Stop-Motion-Film in einem P-Seminar, das Tim am Josef-Effner-Gymnasium (JEG) die vergangenen zwei Jahre besucht hat. Ziel dieser Seminare ist es, die Schüler bei ihrer Berufswahl zu unterstützen, praktisch und theoretisch. Tim hatte sich für das Seminar "Trickfilm" von Kunstlehrer Oliver Winheim entschieden. Nach ersten Gehversuchen war die Aufgabe, einen eigenen Film zu produzieren. Als einziger von insgesamt zwölf Teilnehmern entschied sich Tim für das Thema Corona. Und das, obwohl im März 2020 noch gar nicht abzusehen war, dass die Coronakrise im Herbst desselben Jahres noch das alles beherrschende Thema sein würde, geschweige denn, dass auch in Deutschland die Zahl der freien Intensivbetten einmal nahezu ausgeschöpft sein würde.

Die Frage, ob Tim sich für dieses ernste Thema entschieden hat, weil er selbst Erfahrungen damit gemacht hat, was das gefährliche Virus anrichten kann, liegt auf der Hand. Tatsächlich, so sagt Tim im Videocall, sei es ihm vor allem um die Erfindung gegangen, damit habe alles angefangen. Die Story seines Films sei dann "im Prozess" entstanden, sagt Tim. Das Prinzip: Trial and Error. Ausprobieren, Fehler machen und daraus lernen. Insgesamt hat es von der ersten groben Idee bis zur Fertigstellung des Films ein Dreivierteljahr gedauert. "Vor allem für die erste Minute habe ich ewig gebraucht, danach hatte ich den Dreh raus", sagt Tim.

Trickfilm: Viel Detailarbeit steckt in der Knetgummi-Figur Herr Gobel.

Viel Detailarbeit steckt in der Knetgummi-Figur Herr Gobel.

(Foto: Privat)

Stop-Motion, so nennt sich eine Filmtechnik, bei der durch aneinandergereihte, einzelne Bilder die Illusion von Bewegung erzeugt wird. Herr Gobel etwa läuft mithilfe einer Angelschnur, die an seinem Körper befestigt ist. Ein wenig hölzern sieht das aus, aber genau dieses nicht ganz Perfekte macht den Reiz dieser Technik aus. Und einfach ist sie keineswegs, denn sie erfordert neben viel Liebe zum Detail auch Improvisationstalent und Mut zur Lücke: Zunächst wollte Tim die Münder und Augenbrauen der Gobels nicht im Backofen brennen, um durch unterschiedliche Formen die Ausdrucksformen der Mimik besser darzustellen zu können. Doch weil die Lampe zu heiß war, die das Set ausleuchtete, schmolz die Knete und verlief. Deshalb sehen Herr und Frau Gobel nun stets ein wenig verdutzt aus.

Auch die Geräuschkulisse aufzunehmen hatte so seine Tücken. Wer denkt, für Hämmergeräusche reiche es einfach, ein paar Mal mit einem echten Hammer zuzuschlagen, liegt falsch. "Das hat überhaupt nicht geklungen wie ein Hammer", erzählt Tim. Viel authentischer hört es sich an, wenn man mit den Händen klatscht. Die Schweißgeräusche sind echt - Arbeitskollegen von Tims Papa haben sie in ihrer Werkstatt bei MAN für ihn aufgenommen - dafür sind die Funken, die beim Schweißen sprühen, die einer abbrennenden Wunderkerze. Diese Szene war auch die einzige kurze Frequenz, die er "richtig" filmen musste, damit die Funken wirklich durch die Luft fliegen, verrät Tim.

Trickfilm: Um die Figuren mit Stop-Motion-Technik zum Leben zu erwecken, bedarf es akribischer Tüftelei.

Um die Figuren mit Stop-Motion-Technik zum Leben zu erwecken, bedarf es akribischer Tüftelei.

(Foto: Privat)

Das Bühnenbild - obwohl sehr klein - ist sehr detailreich angelegt. "Wenn die Requisiten nicht da sind, kommt einem der Raum leer vor", sagt Tim. Deshalb hat er winzige Steckdosen, ein Bücherregal, einen Fernseher und Werkzeuge gebastelt. Das Gemälde im Wohnzimmer ist in Wahrheit Teil einer Postkarte, der Spiegel ist aus Alufolie, das Endstück des Beatmungsgerätes "Apollon" ist ein Fahrradflicken. Weil er viel mit dem gearbeitet hat, was ohnehin zuhause beziehungsweise in der Werkstatt seines Vaters herumlag, ist der Film am Ende überhaupt nicht kostspielig gewesen. Teuer gewesen sei eigentlich nur das Profi-Schneideprogramm, das er sich heruntergeladen habe. "Aber das wollte ich ohnehin schon länger mal ausprobieren."

Erfahrung im Filmdrehen und -schneiden hatte Tim bis zu seinem P-Seminar keine. Vieles hat er sich selbst beigebracht, unter anderem durch Youtube-Videos; auch sein Vater hat ihm hin und wieder geholfen. Mit dem Ergebnis ist Tim zufrieden, auch wenn er heute ein paar Dinge anders machen würde, vor allem an den Anfangsszenen hat der 18-Jährige einiges zu bemängeln. "Man sieht aber den Fortschritt", sagt Tim.

Trickfilm: Hier entstand der siebenminütige Stop-Motion-Film, den Tim Stainer im Rahmen des P-Seminars "Trickfilm" schuf.

Hier entstand der siebenminütige Stop-Motion-Film, den Tim Stainer im Rahmen des P-Seminars "Trickfilm" schuf.

(Foto: Privat)

Genau um diesen Lerneffekt ging es auch Oliver Winheim. Tims Kunstlehrer ist beeindruckt von Tims Film, aber auch der seiner übrigen Schüler. "Die Kids haben sich selbst, aber auch mich überrascht", so Winheim. Die Arbeit, die alle in ihre Werke gesteckt hätten, gehe "weit über das normale Schularbeitspensum" hinaus. Die Coronakrise habe dazu sicherlich ihren Teil beigetragen. Vor allem bei Tim habe er das Gefühl gehabt, dass er sich in eine Art "Klausur" begeben habe. Für ihn als Lehrer und Künstler sei es immer wieder schön, "versteckte Talente" fördern zu können.

Dass er sich ohne den Lockdown genauso viel Arbeit gemacht hätte, glaubt Tim nicht. Vor allem die Dreharbeiten seien zwischenzeitlich schon "mühselig" gewesen, weil er immer wieder von vorne anfangen habe müssen. Das Schneiden des Films habe ihm eigentlich am meisten Spaß gemacht, sagt der junge Karlsfelder. Trotz des starken positiven Feedbacks auf sein Erstlingswerk will der Gymnasiast den beruflichen Weg nicht in Richtung Film und Fernsehen einschlagen. Filme drehen als Hobby, das kann er sich schon eher vorstellen - vielleicht sogar einen zweiten Teil von "Apollon".

Im Herbst geht es für ihn aber zunächst einmal ans Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Dort will er in einem dualen Studium in Mannheim und Oberpfaffenhofen Informationstechnik studieren. Einen Studienplatz hat er schon. Die Bewerbung hat er ebenfalls im Rahmen seines P-Seminars geschrieben.

Und wie geht es mit Herrn und Frau Gobel weiter? Die Beatmungsmaschine, die größer als der Erfinder selbst ist, blinkt, unterschiedliche Zahlen leuchten, alles scheint zu funktionieren. Schließlich schließt Herr Gobel seine Frau, die mittlerweile wohl das Bewusstsein verloren hat, an das Gerät an. Durch den durchsichtigen Schlauch fließt Sauerstoff in Form kleiner blauer Knetkügelchen. Langsam werden Frau Gobels Wangen rosig, ihr gespenstisch weißes Gesicht nimmt wieder Farbe an, und sie öffnet die Augen. Am Ende ist ihr Gesicht eher beige als hautfarben - da war Tim wohl ein bisschen zu übermütig mit dem Pinsel - und in der letzten Einstellung sitzen die beiden mit Masken auf dem Bett. Herr Gobel hält ein Schild in die Höhe auf dem steht: "Bleib gesund."

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