Dachau:Wir und die anderen

Dachau: Auf dem Dachauer Rathausplatz demonstrieren verschiedene Gruppierungen gegen die Aktionen der sogenannten Spaziergänger.

Auf dem Dachauer Rathausplatz demonstrieren verschiedene Gruppierungen gegen die Aktionen der sogenannten Spaziergänger.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

In Dachau versammeln sich hunderte von Demonstranten gegen den Aufmarsch von Corona-Leugnern und Rechtsextremen. Der Versuch, mit Skeptikern einer Impfpflicht ins Gespräch zu kommen, wird abgeblockt.

Von Helmut Zeller, Dachau

Am Tag darauf postet der rechtsextreme "III. Weg" ein Foto vom Corona-Protestmarsch am Montag. Auch in Dachau wollten sich die Bürger nicht länger auf der Nase herumtanzen lassen, heißt es in dem Post. Und: Auch Mitglieder ihrer Partei sind dabei gewesen. Tatsächlich bekommen es zunehmend viele Dachauer langsam satt. Aber andersherum, als die Rechtsextremen es gerne hätten: Die gut 250 Menschen, die sich am Montag ab 18.30 Uhr vor dem Rathaus in der Altstadt zu einer beeindruckenden Gegenkundgebung versammeln, wollen sich diese unangemeldeten Aufzüge nicht mehr gefallen lassen - immer wieder montags das gleiche Bild. Corona-Leugner, Impfpflicht-Gegner, Verschwörungsgläubige, Rechtsextreme, wie nun dokumentiert ist, aber auch besorgte Menschen ziehen durch die Straßen.

Dieses Mal sind es der Polizei zufolge etwa 300. An die Besorgten wendet sich der Versammlungsleiter der Gegenkundgebung, der Dachauer Grünen-Vorsitzende Martin Modlinger, mit einem Aufruf zum Dialog, um solidarisch durch die Pandemie zu kommen. Wie er betont, unter einer Voraussetzung: "Werft die Nazis raus!" Modlinger appelliert: "Liebe Spaziergänger, schaut Euch genau an, wo ihr da seid, mit wem ihr da lauft. Wenn Ihr nur ehrlich diskutieren wollt, mit welchen Maßnahmen man die Pandemie am besten beendet, und wenn ihr tatsächlich nicht recht wisst, wie ihr zu einer Impfung stehen sollt - kommt, diskutiert mit uns, lasst uns reden auf der gemeinsamen Basis, dass wir doch alle wollen, dass dieser Zustand zu Ende geht."

Schon in der vergangenen Woche hatte der "III. Weg" auf Telegram zur Teilnahme an den Protestmärschen in Dachau aufgerufen. Die rechtsextreme und antisemitische Kleinstpartei wird von Verfassungsschutzbehörden in Bund und Land beobachtet. Sie schließt an die völkisch rassistische Weltanschauung der Nationalsozialisten an. Bereits im Mai 2020 hat der stellvertretende Bundesvorsitzende Matthias Fischer klargemacht, dass es nicht um die Corona-Maßnahmen gehe, sondern darum, "das System" zu bekämpfen.

"Rechts läuft hier nicht nur mit, sondern oft vornweg"

"Es mag sein, dass nicht alle, die mitlaufen, tatsächlich wissen, mit wem und hinter wem sie da laufen", sagt Martin Modlinger. "Wer das organisiert und vor allem wer sich daraus stärkt - Rechte und Rechtsradikale nämlich. Das ist zwar in den Telegram-Gruppen, die das organisieren, offensichtlich - regelmäßig ist da die Rede von der angeblichen jüdischen Weltverschwörung, von der angeblichen Diktatur, und auch sonst trieft es da nur so von Unsinn aus den Netzwerken der AfD und sogar noch schlimmeren Organisationen." Modlinger warnt: "Diese Märsche werden nicht nur andernorts von den Rechtsradikalen vom III. Weg und von den Freien Sachsen und von der Identitären Bewegung koordiniert. Auch hier läuft Rechts und ganz Rechts nicht nur mit, sondern oft vornweg, das wissen wir."

Dachau zeigt an diesem Abend aber auch ein anderes Gesicht: Ein breites Bündnis aus Zivilgesellschaft und Parteien hat eingeladen - darunter Grüne, SPD, Junge Liberale, Bündnis für Dachau und Volt, die Linke und die CSU, der Runde Tisch gegen Rassismus und der Kreisjugendring. Fast von Anfang an waren im Landkreis die illegalen Protestmärsche gegen die Corona-Politik von Gegendemonstrationen begleitet. Am Montag vor drei Wochen hat Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) eine flammende Rede gehalten. Er spricht auch dieses Mal. "Ich schütze meine alten und besonders gefährdeten Menschen nicht, wenn ich auf einen sogenannten Spaziergang gehe; ich leiste keinen Beitrag zur Überwindung der Pandemie, wenn ich wissenschaftliche Fakten ignoriere."

Florian Schiller, CSU-Fraktionssprecher im Dachauer Stadtrat, sagt, es tue gut, vor so vielen gescheiten und vernünftigen Menschen zu sprechen. Den "Spaziergängern" ruft er zu: "Macht die Augen auf, wer da mitgeht, die wollen die Demokratie aushebeln." Neben den 250 Gegendemonstranten auf dem Rathausplatz positionierten sich noch zwei Gruppen am Schrannenplatz und an der Martin-Huber-Treppe, um mit den Corona-Demonstranten ins Gespräch zu kommen. Viele Gespräche werden es nicht werden.

181 Kerzenlichter für die Corona-Toten

Vor dem Rathaus brennen 181 Kerzenlichter - für die bisher an Covid 19 verstorbenen Menschen im Landkreis Dachau und ihre Angehörigen. Man will auch jene ehren, die das Leben in der Pandemie, wie Modlinger sagt, aufrecht erhalten. "Wir sind solidarisch mit den Menschen, die unseren gesamten Gesundheitssektor und die Pflege aufrecht erhalten - im jetzt dritten Jahr und der fünften Welle der Pandemie. Außer ein wenig Klatschen am Anfang haben die nämlich nichts bekommen, und das ist nicht nur eine Ungerechtigkeit, das ist eine Frechheit." Ein weiterer Redner, ein Pfleger des Helios Amperklinikums, muss kurzfristig absagen - wegen der Überlastung im Krankenhaus.

Unangemeldete Protestmärsche fanden noch in Karlsfeld mit 90, in Markt Indersdorf und Altomünster mit jeweils 30 Teilnehmern statt. Die Polizei war mit Beamten des Einsatzzuges Erding im Einsatz. Die Demos seien alle friedlich verlaufen. Mehrmals mussten jedoch Teilnehmer auf die Einhaltung der Mindestabstände hingewiesen werden.

Zur SZ-Startseite
Corona Kundgebungen

SZ PlusDachau
:Die dunkle Welt der "Herzmenschen"

NS-Vergleiche, Reichsbürgerpropaganda und Verschwörungsmythen: Auf Telegram verabreden sich Impfpflichtgegner und Pandemieleugner zu unangemeldeten "Spaziergängen". Geheime Chatprotokolle zeigen, wie sich der Dachauer Corona-Protest radikalisiert.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: