Süddeutsche Zeitung

Kultur in Dachau:"Die Kultur muss weiterleben"

Das "Plug & Play" lockt jedes Jahr Hunderte von Fans ins Thoma-Haus. Das ist diesmal nicht möglich. Stattfinden soll das Bandfestival dennoch - online und live moderiert aus Robert Freudenbergs Wohnzimmer. Über eine Szene, die sich nicht unterkriegen lassen will.

Interview von Gregor Schiegl

Das Plug & Play ist ein jährlich wiederkehrendes Highlight im Dachauer Musikjahr. Das Konzept des Festivals ist so originell wie simpel: Elf Bands spielen in zufällig ausgeloster Reihenfolge, jeder Auftritt dauert exakt bemessene 1111 Sekunden. Das Ganze ist immer eine große Gaudi, die Bands spielen umsonst, das Eintrittsgeld dient lediglich der Deckung der Unkosten durch Technik, Werbung und Organisation. In diesem Jahr steht das 14. Plug & Play an, aber ein Massen-Event wie in den vergangenen Jahren im Thoma-Haus kann man jetzt in der Corona-Pandemie natürlich nicht mehr veranstalten. Stattfinden soll das Plug & Play trotzdem und zwar im Wohnzimmer des Organisators Robert Freudenberg aus Jetzendorf.

SZ: Herr Freudenberg, in den vergangenen Jahren hat immer Rainer Rackl das Plug & Play organisiert. Klären Sie uns doch bitte erst mal auf: Was genau ist Ihre Rolle bei dem Festival?

Robert Freudenberg: Vor 13 Jahren wurde Plug & Play von der Band Just Chanpero und mir ins Leben gerufen. Ich bin sozusagen der Ideengeber und Initiator. Damals hatte ein Freund von mir einen Termin im Thoma-Haus, das Konzert wurde aber abgesagt. Also ist er an mich herangetreten, ob ich dort auftreten würde. Mit Just Chanpero spielen wir schon seit 25 Jahren im Landkreis, aber ich dachte mir, es werden ja wohl kaum 500 Leute zu uns kommen, da muss man sich was anderes einfallen lassen. So ist die Idee mit dem Bandfestival entstanden. Bis zur technisch perfekten Umsetzung war es natürlich ein weiter Weg. Rainer war von Anfang an im Team dabei. Wir sind die drei Musketiere: Rainer Rackl, Wolfgang Kirmair von der Bavaria Technik - unser Tontechniker - und ich. Rainer war schon immer als Musiker dabei, als Tausendsassa, als Allrounder, er ist exzeptionell multifunktionell. Nach sieben Jahren habe ich gesagt, ich höre auf; der Rainer hat es dann weitergeführt. Vergangenes Jahr wollte er eine Weltreise machen, seine Frau erwartete das zweite Kind, daher wollte er sich aus der Organisation zurückziehen und nur noch im Team mithelfen. Der, der den Hut aufhat, der sich um die Fördergelder kümmert und Ansprechpartner ist, das bin jetzt wieder ich.

Wann und wie fiel die Entscheidung, wieder ein Plug & Play aufzulegen - trotz Corona, trotz Lockdown?

Wir haben uns im Sommer erstmalig in unserer Band per Zoom verabredet und später auch mal in kleiner Runde diskutiert. Mir war wichtig, dass ich meine Mitstreiter von Just Chanpero mit im Boot habe, weil ich so was nicht alleine stemmen kann. Wir haben viel diskutiert, es gab sehr konträre Meinungen, auch, ob es das Plug & Play braucht in dieser Zeit. Wir sind sechs Leute in der Band, davon hat sich die Hälfte gleich verabschiedet, weil für sie der Gesundheitsschutz absoluten Vorrang hatte. Die andere Hälfte sagte, wir wollen dagegenhalten. Weil Kultur weiterleben muss und wir für unsere Fans und Freunde etwas kreieren wollen. Wir waren im Sommer optimistisch, dass das Festival vielleicht doch stattfinden kann. Einige Male habe ich mich mit Rainer und Wolfgang zusammengesetzt, wir haben uns in Abständen von vier, fünf Wochen immer wieder besprochen, welche Formate denkbar wären, ob wir vielleicht weniger als elf Bands spielen lassen. Wir hatten auch schon überlegt, mit wie vielen Leuten das bei den geltenden Hygienekonzepten ginge, normalerweise passen ins Thoma-Haus ja 500 bis 600 Leute. Aber im Herbst hat sich schon abgezeichnet, das die Verordnungen von Woche zu Woche mehr verschärft werden, und dann haben wir uns für das Online-Format entschieden. Wir wollten keine Präsenzveranstaltung planen, die wir dann absagen müssen.

Die Bands spielen aber nicht live, wenn ich es richtig verstanden haben, sondern es werden Clips ihrer Songs gestreamt?

Genau. Wir haben die technischen Mühen in die Wohnzimmer outgesourcet.

Nach welchen Kriterien wurde das Line-Up diesmal zusammengestellt?

Wir haben uns entschlossen, die Musiker anzufragen, die besonders darunter leiden, dass sie derzeit keine Engagements bekommen, weil sie ihr Leben zum Teil durch die Musik mitfinanzieren: Profimusiker oder Semiprofessionelle oder auch Dozenten - Leute, die Eintrittsgelder eingeplant haben für ihr Leben. Wir haben sie gebeten, Musikclips zu produzieren oder uns Live-Mitschnitte von alten Auftritten zu schicken. Die elf mitwirkende Formationen haben uns jeweils zwei Clips geschickt. Die werden dann live aus Youtube abgestreamt, quasi aus der Konserve, aber live aus meinem Wohnzimmer moderiert - ein Ersatz-Live-Event.

Die Vorgabe, dass jede Band 1111 Sekunden spielt, gibt es diesmal also nicht?

Nein, dann wäre das ja ein Event von dreieinhalb Stunden geworden. Dazu gab es auch diverse Diskussionen innerhalb unserer Organisationscrew: Die meisten waren der Ansicht, dass es den Rahmen sprengt, wenn elf Bands jeweils 20 Minuten spielen. Also lieber zwei Clips pro Band.

Es gibt aber nur 21 statt 22 Clips. Hat das einen besonderen Grund?

Na ja, einer der Künstler, Swizz Money, hatte nur ein Tape. Morris ist unser Global Player, ein Musiker aus Sierra Leone, der mit seiner Familie seit ein paar Jahren in Karlsfeld lebt. Der Morris hat zwar ein professionelles Musikvideo - aber eben leider kein zweites, und ich will ihn trotzdem unbedingt unterstützen.

So ein Konzert lebt ja von der Interaktion von Band und Publikum. Applaus hören die Musiker nicht. Wie lösen Sie das Problem - wenn Sie es denn lösen?

Der Bruder vom Rainer wird auf unserer Facebook-Seite auf Fragen und Kommentare antworten. Das wird der Marktplatz für die Interaktion sein, wo man Feedback geben und kommentieren kann und wo wir die Kommentare gegebenenfalls auch löschen, wenn sie nicht angemessen sind.

Auch ohne Saalmiete kostet so ein Event Geld. Woher kommt das, wenn alle Youtube schauen und keiner Eintritt zahlt?

Wir haben immer die Stadt Dachau und den Landkreis als Förderer mit im Boot, weil wir mit dem Festival ja immer Defizit machen. Heuer haben wir wieder jeweils 1500 Euro bekommen, also insgesamt 3000 Euro. Den Aufwand, den wir oft im Thoma-Haus betreiben, ist ja enorm, und bei dem Antrag sind wir noch von einem Live-Event ausgegangen. Von der Raiffeisenbank, die unser Hauptsponsor ist, haben wir außerdem Zugang zu einer Spendenplattform; das heißt, wir haben jetzt etwa 4000 bis 5000 Euro. Selber brauchen werden wir davon knapp einen Tausender für Technik, Werbung und Layoutkosten und was wir sonst noch so zahlen müssen, Gema-Gebühren und Diverses. Der Rest von dem Topf, den wir sonst als Großveranstalter haben, teilen wir durch elf. Das Geld geht als Aufwandsentschädigung an die Bands für die Kosten, die ihnen bei der Produktion der Musikvideos entstehen. Im Idealfall sind das vielleicht 200 bis 400 Euro je nachdem, was bei unserer Spendenaktion zusammenkommt (siehe Kasten).

Die Hälfte der Zielmarke von 1111 Euro ist schon erreicht. Bei der vollen Summe kämen aber auch nur 101 Euro pro Band raus. So richtig üppig ist das ja nicht.

Die 1111 Euro sind ja nur ein Gimmick, es darf gerne auch mehr gespendet werden. Ich habe die 1111 nur als Eyecatcher geschrieben, ich liebe Schnapszahlen. Im Idealfall können wir die Künstler, die sonst immer ganz umsonst beim Plug & Play gespielt haben, diesmal anständig für ihre Mühen entlohnen.

Ein Konzert lebt auch von der Unmittelbarkeit. Was ist zu beachten, um zuhause ein halbwegs authentisches Plug-and-Play-Live-Feeling zu bekommen?

Ich hoffe, ich komme noch dazu, auf Facebook ein paar kleine Erklärvideos einzustellen, wie man sein Wohnzimmer dafür adäquat präpariert: dass man einen Dancefloor freiräumt und einen Stehtisch organisiert, damit man sich das Ganze auch im Stehen anschauen kann und sich vielleicht eine bunte Lampe organisiert. Es gibt die billigsten Modelle schon ab fünf Euro, die man mit USB-Stick in eine Boombox stecken kann, dann hat man richtige Disco-Atmosphäre. Und wenn möglich, sollte man noch alte Boxen aus dem Hifi-Zeitalter ausgraben, richtige Erwachsenen-Boxen, nicht so einen Kleinkram.

Mit wie vielen Besuchern rechnen Sie?

Da gab es auch schon eine lebhafte Diskussion, selbst bei den Sponsoren, beim Tobias Schneider (Kulturamtsleiter der Stadt Dachau; Anm. d. Red.), bei der Volksbank Dachau, bei allen Betroffenen im Orga-Team - jeder hat dazu unterschiedliche Meinungen. Meine persönliche Einschätzung ist, dass wir es vielleicht hinbekommen, dass 1111 Leute zuschauen. Wenn jede Band ihre Fans mobilisiert, dürfte das zu schaffen sein. Der Fan-Stamm ist ja auch richtig ausgehungert nach Konzerten.

Eine vorsichtige Prognose: Wie wird das 15. Plug & Play im Jahr 2022 aussehen?

Wir sehnen uns alle danach, uns wiederzusehen. Das Plug & Play ist ein Familien-Event, der sich unglaublich harmonisch eingespielt hat. Wir alle hoffen, dass es 2022 wieder wie gewohnt stattfinden kann. Und wenn man uns keine Verordnungen zwischen die Beine schmeißt, wird es wieder stattfinden, da bin ich mir sehr sicher. Aber wir haben uns als Organisationsteam eingeschworen, dass wir die Verordnungen nicht kommentieren werden.

Sie sind ja auch Veranstaltungstechniker. Wie sind Sie denn persönlich durch die vergangenen Monate durchgekommen?

Durch die Berufseinschränkung bin ich persönlich natürlich hart betroffen. Zum Glück bin ich auch Handwerker und kann einige Jobs machen. Aber ich habe auch gerade eine Existenzgründung am Start, in der ich kreative Musik-Workshops anbieten will, Ferienprogramme, Kinderbetreuung, VHS-Kurse, solche Sachen. Das musste ich alles absagen. Existenziell geht es mir beschissen, aber persönlich geht es mir so gut wie noch nie in zuvor meinem Leben. Ich freue mich, dass meine Kinder gesund sind und ich eine tolle Freundin habe, dass ich gesund bin. Meine Fröhlichkeit verhält sich daher direkt proportional zur allgemeinen Aufregung um Corona.

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Quelle:
SZ vom 04.02.2021
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