Kampf gegen Corona in Dachau:Trügerische Sicherheit

Impfbeginn Corona

Stefanie Schober und zahlreiche andere Apotheker kontrollieren am Dachauer Impfzentrum die Vergabe des Impfstoffs - sofern denn neue Impfdosen eintreffen.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Seit dem Impfstart wurden im Landkreis lediglich 6500 Impfdosen verabreicht - dabei hätten die Impfzentren Kapazität für bis zu 3000 Impfungen wöchentlich. Landrat Löwl ist trotzdem überzeugt, dass seine Strategie richtig war. OB Hartmann äußert Bedenken. Und die Wirtschaft? Sie ist am Ende ihrer Kräfte

Von Julia Putzger, Dachau

Vor knapp einem Monat noch schien das Ende der Pandemie beinahe greifbar - aus der großen Hoffnung auf einen Impfstoff war endlich Realität geworden. Rund 6500 Dosen des Impfstoffes gegen Covid-19 wurden seitdem im Landkreis Dachau injiziert. Nun jedoch stocken die Lieferungen, Lockerungen der strengen Maßnahmen wird es wenn überhaupt dann wohl nur zögerlich geben, ein Ende des Lockdowns scheint wieder in weiter Ferne. Wie geht es also weiter - planlos mit Stolperschritten ins Blaue oder strategisch geradewegs zum Ziel?

Die Antworten darauf fallen höchst unterschiedlich aus. Landrat Stefan Löwl (CSU) versichert etwa: "Es gibt Überlegungen und Pläne, aber das Virus bleibt unberechenbar, und wir müssen uns ständig den Gegebenheiten anpassen." Dahingegen ist Dachaus Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) wenig überzeugt vom aktuellen Vorgehen: "Langsam vermisse ich schon eine Strategie von der Bundesregierung und vom Gesundheitsministerium." Und Isabel Seeber, Vorsitzende der landkreisweiten Initiative Dachau handelt, klagt: "Es fehlt Planungssicherheit." Zwar habe sie Verständnis dafür, dass es aktuell schwierig sei, längerfristige Entscheidungen zu treffen. Doch vor allem die Unsicherheit sei es, die viele so müde mache.

Andernorts, so scheint es, konnte man den Bürgern mehr Hoffnung geben: In aller Munde ist das Tübinger Modell - ein Überbegriff für mehrere Maßnahmen, die in der Stadt Tübingen getroffen wurden, um die Pandemie in den Griff zu bekommen. Darunter zum Beispiel bestimmte Zeiten, zu denen nur ältere Menschen einkaufen dürfen oder verpflichtende Schnelltests vor dem Besuch von Heimen. Ob denn wohl auch in Dachauer Häusern ähnliche Überlegungen getroffen wurden, um das bisher "sehr schleppend" vorangehende "Bekämpfen vor Ort zumindest zu optimieren", fragte deshalb der Kreisrat und Dachauer Stadtrat Wolfgang Moll (Wir) in einem offenen Brief Löwl und Hartmann.

Der Landrat wiegelt ab: "So ein Modell kann man nicht eins zu eins auf den Landkreis anwenden." Und überhaupt: Diese sperrige Bezeichnung eines Tübinger Modells sei letztlich auch nur ein Potpourri unterschiedlichster Hilfestellungen - "und genau das haben wir hier auch", findet Löwl. Er meint damit zum Beispiel die FFP2-Masken, die bestimmten Personengruppen vergünstigt zur Verfügung gestellt werden. Maßnahmen wie bestimmte Einkaufszeiten könne aber nicht der Landkreis verordnen, sondern sie müssten vor Ort in den Kommunen organisiert werden.

Dachaus Oberbürgermeister Hartmann sieht indes nicht viel Gestaltungsspielraum auf der untersten Verwaltungsebene: "Wir sind weder in die Entscheidungen miteingebunden noch können wir selber etwas entscheiden. Wir helfen nur mit bei der Überwachung." Wenn es möglich wäre, würde zwar wohl so mancher Sachverhalt anders eingeschätzt werden, aber: "Ich muss auf die Fachleute vertrauen, und es braucht nun einmal klare, einheitliche Regeln", beurteilt Hartmann die Lage nüchtern. Das betont auch der Landrat - ein Flickenteppich mit unterschiedlichen Lockerungsmaßnahmen in jedem Landkreis könne keinesfalls die Lösung sein.

Ist also doch der Impfstoff die Lösung aller Probleme? "Wir sehen das Licht am Ende des Tunnels", urteilt Versorgungsarzt Christian Günzel optimistisch, um gleich darauf einzubremsen: "Aber wir müssen uns trotzdem noch eine Weile gedulden, mindestens bis zum Sommer oder Herbst." Denn aktuell stocken die Impfstofflieferungen: In den beiden Impfzentren im Landkreis würden derzeit täglich nur drei bis vier Personen erstgeimpft, da nur ausreichend Impfstoff für die Sicherstellung der Zweitimpfungen geliefert werde. So konnten seit dem Impfstart Ende Dezember rund 6500 Dosen verabreicht werden - dabei hätten die Impfzentren in Dachau und Karlsfeld insgesamt Kapazitäten für 2000 bis 3000 Impfungen pro Woche. "Ich verstehe das System nicht. Wir hätten uns viel Frust ersparen können, wenn wir noch abgewartet hätten", klagt Hartmann. Es sei von Anfang an klar gewesen, dass es bald nicht mehr genügend Impfstoff gebe, trotzdem habe man einen regelrechten "Medienhype" veranstaltet. Die Registrierung für Impfungen bezeichnet der Oberbürgermeister als "realitätsfremd". Mit der Onlineregistrierung seien viele Senioren überfordert und an bei den Telefonhotlines gebe es kein Durchkommen, da zu früh eine zu breite Gruppe aufgerufen worden sei.

Das größte Problem seien aktuell die langen Wartezeiten und der Frust, der sich derweil aufbaue, gibt auch Landrat Löwl zu. "Vielleicht ist das aber auch etwas, was unsere Gesellschaft lernen muss, Geduld zu haben, mal einen Mangel zu haben." Versorgungsarzt Günzel verteidigt das bisherige Vorgehen: Vor allem mit Blick auf die aufstrebende Mutante sei er froh um jeden, der schon geimpft wurde. Das Chaos bei den Anmeldungen habe außerdem indirekt der Freistaat verschuldet, da eine entsprechende Software erst ab Mitte Januar zur Verfügung stand. Da man im Landkreis jedoch so früh wie möglich impfen wollte, habe man auf ein eigenes System gesetzt. Trotz der aktuellen Impfstoffengpässe gibt Günzel die Hoffnung nicht auf: Bis Ende Februar könnten zumindest alle der Prioritätsstufe eins im Landkreis geimpft sein, ab Mai, Juni oder Juli vielleicht sogar eine Impfung beim Hausarzt möglich sein.

Doch ob das bis dahin alle durchstehen? "Ich bin schon sehr erstaunt, wie alle bis jetzt durchgehalten haben. Das hätte ich nicht erwartet. Aber viele sind jetzt wirklich am Ende ihrer Kräfte", antwortet Isabel Seeber auf diese Frage. Dachau handelt versuche zwar mit der Plattform und Gutscheinen dagegenzuhalten, "aber das ist alles kein Ersatz für ein offenes Geschäft". Besonders die Gastronomen würden stark unter den Einschränkungen leiden. Etliche Kollegen klagten zudem, dass die beantragten Soforthilfen nicht ausgezahlt würden.

Und selbst dort, wo man bereits auf der Zielgeraden schien - zum Beispiel in den Altenheimen, wo die Impfquote laut Günzel bei 80 bis 90 Prozent liegt - zeigt sich: Die Sicherheit ist trügerisch. Trotz Schnelltests vor Betreten der Einrichtungen und Hygienekonzepten kommt es immer wieder zu Ausbrüchen, jüngst etwa im Pro-Seniore-Wohnpark im Weichser Ortsteil Ebersbach. Vor allem der Landrat wird deshalb nicht müde zu sagen: "Wir dürfen nicht zu früh locker lassen."

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