Süddeutsche Zeitung

Coronavirus in Dachau:Wenn Gründlichkeit das Leben rettet

Das schnelle Eingreifen des Gesundheitsamts konnte bei einer Dachauer Familie mit Corona-Fall eine Tragödie verhindern. Ein Fall, der zeigt, wie unglaublich ansteckend das Virus sein kann.

Von Benjamin Emonts, Dachau

Beschwerden gibt es viele über die Corona-Maßnahmen der Behörden; eine 14-tägige Quarantäne empfinden manche negativ getesteten Kontaktpersonen beispielsweise als deutlich zu lang. Doch es gibt auch Geschichten wie jene einer 76-jährigen Rentnerin aus Dachau, die anonym bleiben will. Sie wurde erst negativ, dann positiv getestet. Ihr Sohn wandte sich an die Zeitung, weil die Familie dem Dachauer Gesundheitsamt dankbar ist für seine Unterstützung und die akribische Nachverfolgung der Infektionsketten. Dem schwerkranken Vater habe diese Sorgfalt womöglich das Leben gerettet.

Zu der Ansteckung kam es in einem Sprachkurs der Volkshochschule Dachau, den die Rentnerin einmal pro Woche besuchte, so bestätigt es das Gesundheitsamt. Der Kurs ist für die Frau eine der seltenen Gelegenheiten, das Haus zu verlassen, weil sie die meiste Zeit ihren schwerkranken Mann pflegt. Nach mehreren Schlaganfällen hat er eine Epilepsie entwickelt, seit Jahren ist er stark dement, bettlägerig und leidet an der chronischen Lungenkrankheit COPD. Allein im vergangenen Winter hatte der 85-Jährige acht Lungenentzündungen. "Er ist ein zäher Hund, aber wir müssen sehr aufpassen", sagt der Sohn. Auch die Mutter gehört wegen ihres Alters und zwei überstandener Krebserkrankungen der Corona- Risikogruppe an.

"Der Fall zeigt, wie unglaublich ansteckend das Virus sein kann"

Infiziert hatten sich die Rentnerin und eine weitere Kursteilnehmerin am 6. Oktober. Im Klassenraum hielten sich inklusive der bereits infizierten Lehrerin fünf Personen auf, die Dachauerin saß in der hintersten Reihe. Die erforderlichen Hygiene- und Abstandsregeln wurden nach ihrer Schilderung alle befolgt. Die Kursteilnehmer hielten die Platzmarkierungen ein, desinfizierten die Tische, öffneten die Fenster und trugen Masken, bis sie am Platz waren. Von der Lehrerin saß die Rentnerin nach eigener Schätzung sechs bis sieben Meter entfernt. "Der Fall zeigt, wie unglaublich ansteckend das Virus sein kann", sagt ihr Sohn.

Nachdem das Virus bei der Lehrerin festgestellt worden war, erhielt die Rentnerin drei Tage nach dem Kurs vom Gesundheitsamt die Aufforderung, einen Test machen zu lassen. Er fiel zunächst negativ aus, weil die Viruslast vermutlich noch sehr gering war. Im Anschluss jedoch entwickelte die Frau "milde Symptome", wie sie schildert. Sie hatte leichte Kopfschmerzen, nachts leichtes Fieber, einen belegten Hals und fühlte sich müde. Der zweite Test brachte das positive Ergebnis.

Da sich die Frau als Kontaktperson nach dem ersten Anruf umgehend in Quarantäne begeben musste, kam sie nicht mehr in Kontakt mit ihrem Ehemann oder den beiden Söhnen, die sie eigentlich besuchen wollten. "Es wurden so zwei weitere Infektionsketten verhindert. Ich wäre mit Sicherheit voll in die Aerosolwolke meiner Mutter gelaufen", sagt einer der Söhne.

"Man hat Angst um sein Leben"

Die Situation für die Familie ist schwierig. "Man hat Angst um sein Leben", sagt die Rentnerin und meint damit nicht nur ihr eigenes. Ihr schwer dementer Mann, dessen Tests bislang negativ waren, sei sehr aufgeregt, weil er die Situation nicht verstehe. Das Dachauer Gesundheitsamt, dafür ist die Familie sehr dankbar, organisierte umgehend einen Pflegedienst, der den Vater vier Mal am Tag versorgt. Außerdem erkundige sich das Amt täglich nach ihrem Befinden, berichtet die Frau. "Ich fühle mich sehr gut betreut und beraten."

Im Dachauer Landratsamt, das in sozialen Netzwerken immer wieder kritisiert wird für seine Corona-Auflagen, nimmt man solches Lob gerne an. "Wir freuen uns", sagt Pressesprecher Wolfgang Reichelt. Es sei Standard, dass die Mitarbeiter des Gesundheitsamts infizierte Personen nach deren Lebensverhältnissen fragten und bei Bedarf Hilfe anböten. Der Dachauerin geht es nach eigener Auskunft wieder gut, sie zeige keine Symptome mehr. "Wir sind mit einem blauen Auge davon gekommen", sagt der Sohn. Die Mutter, die bis Freitagabend in Quarantäne bleiben muss, hofft, sich bald wieder um ihren Mann kümmern zu können.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5087161
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 22.10.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.