Dachau:Corona-Proteste erreichen die Stadt Dachau

Tuebingen 13.12.2021 Ein Teilnehmer beim Spaziergang mit Kerzenlicht einer Demonstration von Gegner der Corona Massnahm

Ein Teilnehmer eines Spaziergangs gegen die Corona-Maßnahmen in Tübingen hält eine Kerze. Auch in der Stadt Dachau versammelten sich am Montag mehr als 100 Menschen zu einer unangemeldeten Demo.

(Foto: imago images/ULMER Pressebildage)

Mehr als 100 Menschen versammeln sich unangemeldet in der Altstadt zu einem "Montagsspaziergang", um gegen die Corona-Politik zu protestieren. Die Polizei kann nur zusehen. Die zentrale Frage ist: Wer organisiert die Demos?

Von Helmut Zeller, Dachau

Am Tag danach teilt die Polizei Dachau in ihrem Pressebericht mit: "Für heute liegen keine relevanten Meldungen vor." Verwunderlich. Am Montag hatten sich doch 100 bis 200 Demonstranten, die Polizei spricht von 80 bis 100 Teilnehmern, in der Dachauer Altstadt versammelt, um gegen die Corona-Politik zu protestieren - nicht angemeldet wie schon bei den vorausgehenden Umzügen in Markt Indersdorf und Altomünster. Erster Polizeihauptkommissar Björn Scheid klärt auf: "Wir hätten das nicht berichtet, um das Ganze nicht auch noch aktiv zu befeuern, denen keine Plattform zu bieten", sagt er im Gespräch mit der SZ. Aber auch Scheid befürchtet, dass diese sogenannten Montagsspaziergänge nach Pegida-Vorbild nun auch in Dachau angekommen sind - und der aktuelle nicht der letzte gewesen sein wird. Die zentrale Frage: Wer initiiert und organisiert eigentlich diese Montagsdemonstrationen, die in unzähligen Städten Bayerns und bundesweit stattfinden? Weder Polizei noch Politik können das definitiv beantworten. Aber einzelne Spuren weisen in die Richtung rechtsextremer Parteien.

Thomas Obeser von den Jungliberalen, der zusammen mit den Jugendverbänden von SPD und Grüne am Sonntag in Markt Indersdorf eine - angemeldete - Gegendemonstration organisiert hatte, beobachtete den sogenannten Spaziergang am Montag in Dachau. Es waren mehr als 100 Teilnehmer, wie er sagt. Sie zogen mit Grabkerzen und Laternen schweigend durch die Altstadt. Ein Großteil der Teilnehmer kam von auswärts, wie ein anderer Beobachter erzählt. Er stellte Autokennzeichen aus Ebersberg, Freising, Aichach, München und Potsdam fest. Die Demonstranten versammelten sich um 19 Uhr vor der Jakobskirche am Schrannenplatz und zogen dann über die Wieningerstraße und den Schlossberg vor das Standesamt. Dort kam es zu einem Zwischenfall. Polizisten wollten die Personalien einer Demonstrantin aufnehmen. Darauf brüllte die Menge: "Wir sind das Volk."

Spuren führen zu der Kleinstpartei "Freie Sachsen"

Zu der als "Spaziergang" getarnten Demonstration in Dachau wurde auch in der Telegram-Gruppe "München steht auf-News" mit Versammlungsort und Uhrzeit aufgerufen - unter einer großen Anzahl von Städten und Gemeinden in ganz Bayern. "Verantwortlich sind jeweils Bürger vor Ort, wir stellen hier eine Zusammenfassung zur Verfügung, sind aber nicht Organisator der jeweiligen Versammlungen bzw. Spaziergänge", heißt es dazu. Die Gruppierung, die seit Beginn der Pandemie entstanden ist, grenzt sich öffentlich von rechtsextremem Gedankengut ab. Ihre Liste der Orte, an denen "Spaziergänge" stattfinden, gleicht indessen derjenigen der rechtsextremen Partei "Freie Sachsen". Die Nähe zu Verschwörungsideologien wird auch greifbar in Äußerungen wie der vom "Polit-Medialen Machtblock mit seinen stramm durchideologisierten Helfern" auf der Website der Vereinigung. Bundesweit, schreibt sie, seien am Montag, 13. Dezember, "Tausende Menschen gegen die Corona-Diktatur auf die Straße" gegangen.

"München steht auf-News" informiert auf Telegram auch darüber, wie die Polizei bei "Spaziergängen" agiere - quasi eine Anleitung zum Umgang mit der Polizei. Diese wurde in die Telegram-Gruppe weitergeleitet. Die ursprünglichen Verfasser: die "Freien Sachsen". Diese Kleinstpartei steckte mit ziemlicher Sicherheit hinter dem Fackelaufmarsch vor dem Wohnhaus der sächsischen Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD). Treiber der Proteste gegen Corona-Maßnahmen ist in Sachsen neben der rechtsextremen "Identitären Bewegung" die Partei der "Freien Sachsen". Beide Gruppierungen werden vom Verfassungsschutz beobachtet.

Die Bayerische Informationsstelle gegen Extremismus (Bige) verfolgt die zunehmende Radikalisierung der Corona-Proteste mit Besorgnis. Seit der Ankündigung einer Impfpflicht, sagt ein Experte der SZ, hätten die als Spaziergänge getarnten Demonstrationen extrem zugenommen. Kerzen oder Fackeln wiesen symbolisch auf einen rechtsextremen Hintergrund hin. Grundsätzlich müssten Versammlungen angemeldet werden, aber um Auflagen der Behörden zu umgehen, würden sie als Spaziergänge deklariert. Jedoch sei die Auflösung einer solchen Veranstaltung unter freiem Himmel eine schwierige Entscheidung, solange sie friedlich verlaufe. Da gehe es um Verhältnismäßigkeit beim Abwägen mit dem Versammlungsrecht und dem Recht auf freie Meinungsäußerung im Grundgesetz.

Der Bige-Sprecher warnt davor, alle Demo-Teilnehmer über einen Kamm zu scheren

Darauf beriefen sich Demonstranten lautstark auch am Montag in Dachau. Die Polizei indes, mit nur acht Beamtinnen und Beamten im Einsatz, war vollauf damit beschäftigt, die Sicherheit der Demonstranten im Straßenverkehr zu gewährleisten. Das waren zu wenige Kräfte, wie Björn Scheid einräumt. Deshalb eben, weil die Versammlung nicht angemeldet und damit der Polizei keine Zeit blieb, sich vorzubereiten.

Der Bige-Sprecher warnt davor, alle Teilnehmer solcher Demonstrationen über einen Kamm zu scheren. Unter den Reichsbürgern und Identitären, die sich dranhängten, seien auch Impfgegner, die einfach Angst und Sorge hätten.

Rechtsextremismusexperten wie Michael Nattke vom Kulturbüro Sachsen warnen jedoch. Den Akteuren aus der aus rechtsextremen Szene gehe es nicht um die Corona-Politik, sondern "um eine komplette Ablösung des derzeitigen Regierungssystems".

Thomas Obeser geht dagegen an: Die Gruppendynamik am Montag fand er "erschreckend". Als Demokrat müsse man dagegen einschreiten. "Vielen ist nicht bewusst, dass sie sich durch ihre Teilnahme an solchen Demos in die Keimzelle rechten Gedankenguts begeben."

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