Es gibt wohl nur wenige Werke, um die sich so viele Mythen und Gerüchte ranken wie um Wolfgang Amadeus Mozarts Requiem KV 626. Einige sind inzwischen entschlüsselt, so der Auftraggeber dieser grandiosen Totenmesse, der niederösterreichische Graf von Walsegg-Stuppach. Dieser hatte die wenig ehrenhafte Angewohnheit, bei diversen Komponisten Stücke in Auftrag zu geben und sie dann unter seinem eigenen Namen aufführen zu lassen. Der ewig von Geldnöten geplagte Mozart nahm den Auftrag an, noch nicht wissend, dass er das Requiem nicht mehr vollenden würde.
Noch am Tag vor seinem Tod - Mozart starb am 5. September 1791 - soll er mit Freunden Teile dieser erschütternden Komposition gesungen haben. Wie tief sich dieses von seinem Schüler Franz Xaver Süßmayr ergänzte Werk in die Seele eingräbt, ließ sich am vergangenen Sonntag im Dachauer Schloss erleben: Die Liedertafel Dachau, die seit einiger Zeit unter dem Namen vocal ampArt firmiert, hatte sich mit ihrem Dirigenten Emanuel Schmidt dieser Auseinandersetzung mit Sterblichkeit und Tod, mit Zweifel und der Hoffnung auf Erlösung angenommen. Begleitet wurde der stimmstarke Chor von Mitgliedern des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks sowie den Solisten Elisabeth Rauch (Sopran), der Altistin Katharina Guglhör, die für ihre erkranke Kollegin Anja Maria Luidl kurzfristig eingesprungen war, von Tenor Bernhard Schneider und von Bassist Thomas Stimmel.
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Gewissermaßen als Einführung spielten die BR-Symphoniker Mozarts kurzes, einprägsames Adagio und Fuge in c-moll KV 546 mit solcher fast meditativen Eleganz, dass man gerne tiefer eingetaucht wäre. Doch Dirigent Schmidt hatte sich entschlossen, fast übergangslos die ersten Töne des Requiems folgen zu lassen. In dieser immer aufs Neue zu Herzen gehenden Totenklage mit ihren uralten lateinischen Texten, von denen die Amtskirche in der Liturgie etliche gestrichen hat, wie beispielsweise das bedrohliche "Dies irae - Tag des Zorns" spielt der Chor die Hauptrolle.
Die Solisten überzeugen mit ihren wunderbaren Stimmen
Das war eine echte Herausforderung für die Sängerinnen und Sänger, die sie hervorragend meisterten - auch wenn der Chor und das großzügig besetzte Orchester sich zu Beginn in Sachen Lautstärke erst einmal aufeinander einstellen mussten. Doch dann entfaltete sich die ganze fürchterliche Herrlichkeit von Himmel und ewiger Verdammnis in einem großartigen Zusammenspiel aller Beteiligten. Emanuel Schmidt legte ein flottes Tempo vor, was im Gegensatz zu vielen anderen Aufführungen stand, die sich eher einer würdevollen Erhabenheit hingeben. Doch so wurden Trauer und Zweifel, aber auch Hoffnung und Zuversicht spürbar. Die Solisten - anders als beispielsweise in den Bach'schen Passionen nur relativ selten im Einsatz - überzeugten mit ihren wunderbaren Stimmen, wobei sich Altistin Guglhör mühelos ins Ensemble einfügte.
Hingebungsvoll und doch hochprofessionell war etwa das flehende "Recordare Jesu pie - erinnere dich, gnädiger Jesus" und die fast greifbare demütige Bitte um Rettung. Wie sich überhaupt die gesamte Aufführung eher an einen gnädigen als an einen zornigen Gott zu richten schien. Mozart selbst schrieb am 4. April 1787, also kurz vor seinem Tod, an seinen kranken Vater Leopold: "Da der Tod der wahre Endzweck unsers Lebens ist, so habe ich mich seit ein paar Jahren mit diesem wahren, besten Freunde des Menschen so bekannt gemacht, dass sein Bild nicht allein nichts Schreckendes mehr für mich hat, sondern recht viel Beruhigendes und Tröstendes!"
Mag sein, dass diese Auseinandersetzung mit Leben und Sterben kaum vier Jahre später, schon gezeichnet von schwerer Krankheit, ihren Niederschlag in diesen einzigartigen Tongemälden seines Requiems fand. Der Konzertchor "vocal ampArt" jedenfalls tröstete an diesem bemerkenswerten (Wahl-)Abend mit seiner Musik über so manches Ungemach hinweg.