Als Anna Kohlhund am Beispiel von genderneutralen Toiletten gerade erklärt, was ein Ally, also "eine Unterstützer:in", tun kann, um queeren Menschen das Leben im Alltag zu erleichtern und ihnen zu signalisieren, dass man sie sieht und mitdenkt, wird in der ersten Reihe getuschelt. Doch Heidi Schaitl, Geschäftsführerin der Dachauer Caritas, und Susanne Frölian, Leiterin der Caritas-Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Familien, sind nicht etwa desinteressiert - im Gegenteil: "Wir haben schon Ideen", sagt Schaitl.
Es reicht ein Blick in Richtung der Toiletten, um zu verstehen, was sie meint: Zwar gibt es im Caritas-Zentrum schon eine gemeinsame Besuchertoilette für Männer und Frauen, aber es wird eben noch binär gedacht. Das heißt, hier wird bislang davon ausgegangen, dass es nur zwei Geschlechter gibt. Dabei hat Kohlhund ja gerade erklärt, dass sich nicht binäre oder trans Menschen - also jene, die sich keinem Geschlecht zuordnen oder sich mit einem anderen Geschlecht identifizieren als jenem, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde - da nicht mitgemeint fühlen könnten. Und Schaitl hatte ja schon zu Beginn der Veranstaltung betont, dass die Caritas ganz explizit Anlaufstelle für alle Menschen sein will - auch unabhängig von Geschlecht und Sexualität.
Darum bemüht ist man bei der Caritas schon länger, aber an der einen oder anderen Stelle fehlt das Expertenwissen. Mit der "LGBTIQ+-Beratungsstelle der Caritas Oberbayern" soll sich das nun ändern: Sie hat das Ziel, "psychosoziale Beratung im Kontext sexueller und geschlechtlicher Identität" für Erwachsene anzubieten und das nicht nur für lesbische, schwule, bisexuelle, trans, inter und eben queere Personen, sondern auch für deren Umfeld und Fachkräfte. Auch deshalb ist Kohlhund, die selbst queer ist, neben der Beratung von queeren Menschen auch die "Vernetzung von Akteur*innen im Bereich LGBTIQ+ in Oberbayern" so wichtig. Eine ziemlich große Aufgabe, wenn man bedenkt, dass die 31-jährige Sozialpädagogin die Beratungsstelle gerade im Alleingang aufbaut. Immerhin, das betont sie: Dass die Caritas ein Wohlfahrtsverband der römisch-katholischen Kirche ist, die Heterosexualität bis heute als Norm vertritt, sei kein Hemmschuh für ihre Arbeit.
Rund zehn Prozent der Bevölkerung sind queer
Um das neue Angebot bekannter zu machen, tourt die Frau mit den in Regenbogenfarben geringelten Tennissocken gerade durch den Bezirk, Dachau ist ihr zweiter Stopp. In der Cafeteria des Caritas-Zentrums sitzen zwar an diesem Mittwochvormittag nur knapp ein Dutzend Frauen, der Großteil davon Mitarbeiterinnen der Caritas, sowie der stellvertretende Oberbürgermeister Kai Kühnel (Bündnis für Dachau), doch lebhaft ist die Diskussion dennoch: Fleißig wird etwa mitgeraten, als Kohlhund fragt, wie hoch der Prozentsatz queerer Menschen ist (es sind etwa zehn Prozent der Bevölkerung, heruntergerechnet auf den Landkreis also schätzungsweise um die 15 000) und ob jemand weiß, wie viele davon schon Diskriminierungserfahrungen gemacht haben (94 Prozent).
Außerdem erzählen Zuhörende von ihren Erfahrungen aus der Praxis, wie Dorothee Liebert, Jugendsozialarbeiterin an der Dr.-Josef-Schwalber-Realschule, die dort seit zwei Jahren einen Queer-Treff leitet: Zum Thema Toiletten sagt sie etwa, dass man an ihrer Schule dafür sehr offen gewesen sei, die queeren Jugendlichen sich aber letztlich gegen genderneutrale WCs ausgesprochen hätten. Der Grund: Sie wollen durch die Benutzung nicht zwangsgeoutet werden. Auch dafür versucht Kohlhund an diesem Vormittag zu sensibilisieren: Es gehe nicht darum, queeren Menschen etwas aufzuzwingen, sondern darum, "etwas anzubieten, offen zu sein". Kräftiges Nicken in der Runde.
Etwas enttäuscht, sagt Liebert später, sei sie darüber, dass sich das neue Beratungsangebot nur an Menschen ab 18 Jahren richte. Ihre Jugendlichen kann sie also lediglich für eine Erstberatung an Anna Kohlhund verweisen, obwohl auch hier der Bedarf für längerfristige Angebote da wäre. Immerhin: Liebert selbst kann sich als Fachkraft bei Bedarf an Kohlhund wenden - zumindest bis Ende 2025. So lange wird das Projekt nämlich, Stand heute, vom Familienministerium finanziert.
Von einer weiteren Teilnehmerin erfährt man aber auch, dass es Pläne gibt, ein Angebot für queere Menschen innerhalb der katholischen Kirche zu schaffen - es tut sich also auch unabhängig von dieser Beratungsstelle etwas in diesem Bereich. Und auch die von Kohlhund angestrebte Vernetzung scheint zu funktionieren, noch lange nach ihrem Vortrag unterhalten sich die Teilnehmenden angeregt.
"Ich freue mich, dass wir alle Allies sind"
Zudem geht die Sozialpädagogin mit Blick auf die Nachfrage, die sich schon jetzt abzeichnet, davon aus, dass es ihre Beratungsstelle auch über das Jahr 2025 hinaus geben wird, vielleicht dann sogar mit etwas mehr Personalstärke. Geplant sei schon jetzt zwei bis drei Außenstellen einzurichten, denn aktuell gilt für Menschen aus Dachau: Sie können Kohlhund, die von Garmisch-Partenkirchen aus für den gesamten Bezirk zuständig ist, im Prinzip nur telefonisch oder per Mail erreichen.
Als Anna Kohlhund die geplanten Außenstellen anspricht, wird die Dachauer Caritas-Geschäftsführerin gleich hellhörig: "Dann können wir uns ja noch bewerben." Doch auch wenn das mit der eigenen Beratungsstelle im Landkreis nicht klappt, ist sich Heidi Schaitl sicher, dass Kohlhunds Arbeit hier auch aus der Distanz zu einer positiven Veränderung beitragen wird. Der Blick in die Runde stimmt sie in jedem Fall positiv: "Ich freue mich, dass wir alle Allies sind, wie ich heute gelernt habe." Dass sie dabei vergisst, dass manche in der Runde gar nicht nur Allies, sondern selbst queere Menschen sind: geschenkt.
In Zukunft will Anna Kohlhund einen Runden Tisch für Akteur*innen in der LGBTIQ+-Community" organisieren, um den Austausch und die Vernetzung zu fördern. Das erste Treffen soll am Mittwoch, 12. Juni, um 18.30 Uhr online stattfinden. Die Teilnahme ist kostenlos, eine vorherige Anmeldung jedoch nötig. Alle weiteren Informationen finden Interessierte auf der Homepage der Beratungsstelle .