Süddeutsche Zeitung

Dachauer Stadtkeller:Rettung einer Institution

Der Stadtkeller muss saniert werden. Es gibt einen politischen Willen, die Traditionswirtschaft mit dem großen Biergarten zu erhalten. Doch die Kosten sind hoch.

Von Thomas Radlmaier, Dachau

Georgios Kirou fragt: Wie spät haben wir's? Es ist kurz vor halb zwölf Uhr mittags. Der 54-Jährige entschuldigt sich, er muss die Plauderei darüber, was eine gute Wirtschaft ausmacht, jetzt abbrechen. Kirou muss in die Küche, die ersten Gäste des Stadtkellers sind schon da an diesem sonnigen Montagvormittag. Stammkundschaft. Und die ist hungrig. Als Kirou an den Männern vorbeigeht, die an einem Tisch unter den großen Kastanienbäumen im Biergarten sitzen, haut er einen von ihnen auf die Schulter und lacht. Ein anderer ruft ihm hinterher, er solle jetzt endlich mal seine Arbeit machen. Kirou dreht sich noch mal um, deutet auf die Stammgäste und sagt: "Das ist mein Heiligtum."

Georgios Kirou ist der Wirt des Stadtkellers, des letzten verbliebenen Dachauer Wirtshauses mit großem Biergarten nahe der Altstadt. Wenn er in seinem bayerischen Akzent über die Wirtschaft in der Brunngartenstraße spricht, die er seit 14 Jahren betreibt, dann schwingen da viele Emotion mit: "Das ist mein Baby. Das ist mein Leben." Er würde niemals etwas anderes machen wollen. Oder: "Es wäre traurig, wenn es den Stadtkeller nicht mehr geben würde, auch für die Leute, die hier regelmäßig herkommen." Kirou sagt, er kenne alle Stammgäste beim Vornamen. Wo gebe es so etwas heutzutage schon noch?

Doch da ist ein Problem: Die Gaststätte, die der Stadt gehört, muss dringend saniert werden. Nach Angaben der Stadtverwaltung braucht es etwa eine neue Lüftungsanlage in der Küche, andernfalls könne man Brandschutzauflagen nicht mehr erfüllen. Außerdem müssten sämtliche Wand- und Bodenbeläge sowie Trinkwasser-, Abwasser und Elektroinstallationen erneuert werden. Auch der Keller, wo sich ein Lagerraum und die Kühlung befinden, ist feucht.

Kirou hat fünf festangestellte Mitarbeiter und sechs Teilzeitkräfte. An Sommertagen sind alle derzeit verfügbaren 26 Garnituren im Biergarten besetzt, im Innenbereich gibt es noch einmal sieben Tische. Kirou steht jetzt in der Küche, die für eine Gastwirtschaft mit Biergarten in dieser Größe viel zu klein ist. Es riecht nach Schweinebraten, Knödel ziehen in einem Topf mit heißem Wasser. Der Motor der Lüftungsanlage, der sich im Inneren des Gebäudes befindet, müsste laut Kirou eigentlich nach draußen verlegt werden. Doch der Wirt wäre schon froh, wenn er einen größeren Gully in der Küche hätte. Angesichts dieser Kapazitäten, sagt Kirou, seien er und seine Mitarbeiter "Helden".

"Meine Mitarbeiter sind Helden"

Für Stadtverwaltung ist klar: "Die derzeitigen Gegebenheiten entsprechen nicht den heutigen Vorgaben für den Betrieb von Gaststätte." Die Nutzung sei nicht mehr lange möglich. Entweder man investiere in die Sanierung "oder es muss eine Schließung der Gaststätte in Betracht gezogen werden." Allerdings sei eine Sanierung des Gebäudes, das in dieser Form in den Dreißigern errichtet wurde, "wenn überhaupt nur mit erheblichen wirtschaftlichen Aufwand möglich".

Eine Sanierung des Stadtkellers kommt wegen der aktuellen angespannten Haushaltslage der Stadt zur Unzeit. Die Corona-Krise hat die öffentlichen Einnahmen schrumpfen lassen. Die Stadträte beschlossen, einige geplante Bauvorhaben erst einmal auf Eis zu legen, um zu sparen. Doch der politische Wille, den Stadtkeller trotz hoher Investitionen in diesen schwierigen Zeiten zu retten, ist klar zu erkennen.

Die Stadträte beschäftigten sich in der jüngsten Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses mit der Thematik. "Das ist einer der letzten Biergärten im Stadtgebiet", sagte Michael Eisenmann (Bündnis) und hob damit die Bedeutung der Einrichtung für Dachau hervor. Jürgen Henritzi (AfD) sprach sich grundsätzlich für die Bewahrung der "Biergartenkultur" aus. Und die SPD-Fraktionschefin Christa Keimerl meinte, die Stadt sollte den Stadtkeller allein schon "historisch bedingt erhalten".

In den Zwanziger- und Dreißigerjahren des vergangenen Jahrhunderts diente das Gebäude als Gewerkschaftshaus, in dem es auch einen Ausschank gab. Unter anderem Sozialdemokraten kamen hier zusammen. Damit war Schluss, als die Nazis an die Macht kamen. Das Gebäude wurde 1935 zwangsversteigert. Nach dem Krieg wurde der Stadtkeller wieder an die Gewerkschaften zurückgegeben. Diese nutzten den Stadtkeller bis 1959 und übergaben es dann an die Stadt. Seit 1936 gab es insgesamt neun verschiedene Wirte. Heute ist das Traditionslokal, das bei Gästen übrigens für seine Milzwurst bekannt ist, bei Touristen, aber auch den Dachauern beliebt. Örtliche Vereine treffen sich hier zum Beispiel für ihren Stammtisch. Zudem wird regelmäßig Schafkopf gespielt.

Sonst werde das eine "never ending story"

2016 sanierte die Stadt die Toiletten. An sonstige Maßnahmen oder Bauarbeiten in den vergangenen Jahren kann sich Kirou nicht erinnern. Er deutet auf die vielen Risse in der Fassade des Gebäudes, die sich von unten nach oben die Wände hochziehen. Dann folgt man ihm eine schmale Treppe in den Keller hinunter. In einem engen verwinkelten Raum steht Leergut, daneben surrt der Motor für den Kühlraum, wo Fleisch und Getränke lagern. Dort kriegt Kirou insgesamt 16 Fässer hinein, aber nur, wenn er diese aufeinander staple, sagt er. "Damit muss ich arbeiten."

Die Verwaltung legte den Stadträten in der Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses drei verschiedene Varianten vor, wie es mit dem Stadtkeller nun weitergehen könnte. Die erste Variante wäre die kostengünstigste Lösung, bei der nur das Nötigste gemacht werden würde, damit die Auflagen für den Betrieb einer Gastwirtschaft erfüllt wären. Die Küche samt Lüftung und die Lagerräume würden saniert werden, auch die Elektroinstallation würde man erneuern. Die Kosten beliefen sich auf rund 900 000 Euro. Laut einem Planer müsste die Stadt dann aber in fünf bis zehn Jahren erneut Geld für weitere Sanierungsmaßnahmen ausgeben. Bei der zweiten Variante würde die Stadt den Innenbereich vollständig entkernen lassen. Dieser würde dadurch vergrößert und aufgewertet. Auch würden alle Trink-, Abwasser-, Lüftungs- und Heizungsleitungen neu installiert werden. Kosten: 1,55 Millionen Euro. Laut Planer die "bessere Lösung". Die dritte Variante, die "große Lösung", sieht einen Abbruch des Gebäudes mit anschließendem Neubau vor. Wie viel das kosten würde, ist völlig unklar.

Alle drei Varianten überzeugten die Stadträte nur bedingt, angesichts der Haushaltslage tendierten viele zur günstigsten Lösung. Sie wollten dennoch wissen, welche Sanierungsmaßnahmen notwendig sind, damit in den nächsten 20 bis 30 Jahren keine Investitionen mehr auf die Stadt zukommen. "Sonst wird das eine "never ending story", sagte Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD). Die Stadträte beauftragten, die Verwaltung diese vierte Variante durchzurechnen. Klar ist bereits: Egal, für welche Variante sich die Stadträte entscheiden werden, der Stadtkeller wird für die Zeit der Sanierungsarbeiten schließen müssen. Kirou würde das natürlich hinnehmen. "Da müsste ich dann durch", sagt er. Er sitzt jetzt wieder draußen im Biergarten unter den vier großen Kastanienbäumen, die wie der Stadtkeller die Jahrzehnte überdauert haben. "Mein Wunsch ist", sagt Georgis Kirou, "das Lokal bleibt, so wie es ist. Für die nächsten Jahre."

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SZ vom 29.07.2020
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