Süddeutsche Zeitung

Kultur in Dachau:Ein Fallschirm für die Braut

Das Bezirksmuseum Dachau beleuchtet in seiner neuen Ausstellung Kontinuität und Wandel in der Welt der Erwachsenen. Dabei stehen Arbeit, Ehe und Geschlechterrollen im Mittelpunkt. Illustriert wird die Schau mit manch kuriosen und zum Teil noch nie gezeigten Exponaten der Dachauer Ortsgeschichte

Von Gregor Schiegl, Dachau

Die Dachauer Gesellschaft hat sich fein herausgeputzt: Schneidermeister Matthias Raufer und seine Frau Franziska, die vor gut 100 Jahren in der Stadt gelebt haben, demonstrieren ihren bürgerlichen Stand mit schmucker biedermeierlicher Kleidung, ein Mann mit dunkler Trachtenjoppe und dem fürs Dachauer Land typischen schwarzen Hut zeigt sich im Seitenprofil, vermutlich ein Bauer, dessen Familie es zu einigem Wohlstand gebracht hat, und noch ein gutes Dutzend anderer Damen und Herren, deren Porträts aus mehreren Jahrhunderten hinter einer Glasscheibe schweben und die alle sehr ehrwürdig aussehen. Sich selbst sieht der Besucher auch. Ein Spiegel ist das Mittelstück dieser Rauminstallation, und so kommt man auch im Zeitalter des staatlich verordneten Abstandshaltens im Dachau er Bezirksmuseum mal wieder richtig unter Leute.

Kuratorin Ursula Nauderer, die diese Installation an den Anfang ihrer neuen Ausstellung gesetzt hat, will damit nicht nur ein repräsentatives Entree schaffen: "Ich will, das sich die Besucher sich selbst reflektieren." In der Reihe "Lebensalter" geht es nach Kindheit und Jugend diesmal nämlich um das Erwachsenenalter. Es umspannt nicht nur die längste Phase im menschlichen Leben - Erwachsene erwirtschaften und organisieren für alle anderen Altersgruppen, ob Kinder, Jugendliche oder Alte, die ökonomischen und sozialen Bedingungen. Man kann sagen: Arbeit bestimmt das Leben des Erwachsenen, und so überrascht es nicht, dass die Darstellung alter Handwerksberufe, aber auch die Arbeit auf dem Feld und in der Fabrik einen großen Raum einnehmen.

Ein besonderes Schmuckstück der Ausstellung ist ein Gesellenbrief, der vor mehr als 200 Jahren dem jungen Gärtner Martin Michael Scharl nach dreijähriger Lehrzeit ausgehändigt wurde. In der Urkunde bescheinigte ihm sein Lehrmeister Franz Sales Walch neben angestrengtestem Fleiß und untadelhaftestem Betragen, "die Kunst der Gärtnerey vollkommen erlernt und seine Freizeit mit Zeichnen verbracht zu haben". Vermutlich hat der künstlerisch begabte Gärtnergeselle seine Urkunde selbst geschrieben und mit Aquarellen verziert. Neben Blüten und Ranken finden sich darauf die allegorische Darstellung der Göttin Flora, eine Stadtansicht Münchens und das erste wenige Jahre gültige Wappen des bayerischen Königshauses. Scharl hatte allen Grund, stolz zu sein: Wer einen Beruf ausübt und auf eigenen Beinen steht, ist ein echtes Mannsbild. Nauderer spricht in diesem Zusammenhang vom "Bild des Lebensöffners", das sich schon im 19. Jahrhundert verfestigt habe.

Doch das Arbeitsleben kann auch sehr hart sein. Eine alte Aufnahme zeigt einen Bautrupp vor einem Haus. Die Kleidung der Arbeiter ist einfach, die verbeulten Hüte von Staub und Farbe verschmutzt, ein Mann schwenkt fröhlich seinen Bierseidel. Auch Frauen sieht man: die Ziegelträgerinnen, die schwere Steine schleppen. Wie alle Tätigkeiten, die Frauen ausüben, war auch dieser Knochenjob miserabel bezahlt, und die verhärmten Gesichter geben eine Ahnung von den ungeheuren Strapazen. Das Bezirksmuseum zeigt auch eine Auswahl von Arbeitsbekleidungen, darunter einen Arbeitsanzug der Dachauer MD-Papierfabrik, die gerade von Baggern Stück für Stück in Trümmer gelegt wird. "Die Bekleidung ist ein roter Faden dieser Ausstellung", sagt Nauderer nicht ohne Stolz, denn solche Exponate sieht man selten in Museen.

Auch Brautschmuck wird gezeigt. Für Frauen war es geradezu eine existenzielle Notwendigkeit, unter die Haube zu kommen, auch wenn diese Sicherheit mit Unfreiheit an anderer Stelle erkauft wurde. Davon kündet auch eine Strophe eines Dachauer Hochzeitslieds, das im 19. Jahrhundert auf den großen Bauernhochzeiten oft angestimmt wurde: "S'Heirat'n is a Vogelhaus, wer drin is, kimmt nimmer raus, wer drauß' is, der möcht' gern nei, g'heirat muaß sei." Und wenn schon geheiratet wird, dann natürlich möglichst prächtig.

Das im Bezirksmuseum gezeigte Exemplar einer Brautkrone wurde im Amperland ausschließlich von Bräuten bäuerlicher Herkunft aus wohlhabenden Verhältnissen getragen. Die Außenseite ist mit dunklem Stoff überzogen, die Rückseite ist mit Flitter aus Metallfolie sowie kleinen Gehängen aus Silberdraht und Glasperlen verziert. Kleine Spiegel, seidene Bänder, Schleifen und wattierte Zöpfe in der Unheil abwehrenden Farbe Rot sollten die Braut vor dem "bösen Blick" schützen.

Eine echte Rarität und zum ersten Mal in einer Ausstellung zu sehen ist das Brautkleid, das Annemarie Hofner dem Museumsverein Dachau 2011 geschenkt hat. Durch die schlechte Versorgungslage in den frühen Nachkriegsjahren schien es für die junge Braut zunächst unmöglich, sich ihren Traum in Weiß zu erfüllen. Hilfe kam von ihrem amerikanischen Vorgesetzten, von dem sie für die anstehende Hochzeit einen Fallschirm aus weißer Seide geschenkt bekam. Daraus ließ sie sich ein Brautkleid schneidern. Die Hochzeit von Annemarie und Helmut Hofner fand 1950 in Dachau statt. Wenige Monate vor dem Tod des Mannes feierte das Ehepaar im Jahr 2010 gemeinsam "Diamantene Hochzeit", das 60-jährige Ehejubiläum. Der letzte und vierte Teil der Ausstellungsreihe ist, wie könnte es ander sein, dem Alter gewidmet.

Wie es war und ist, erwachsen zu sein. Dritter Teil der Ausstellungsreihe "Die Lebensalter" im Bezirksmuseum Dachau, zu sehen bis 24. Januar 2021. Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag 11 bis 17 Uhr, Samstag, Sonntag und Feiertag 13 bis 17 Uhr. Einige Exponate werden unter www.dachauer-galerien-museen.de/einblicke näher erläutert.

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Quelle:
SZ vom 10.06.2020
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