Belastete StraßennamenDie Frage ist nur, von wem der Protest kommt

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In Dachau ist viel nach dem Schriftsteller Ludwig Thoma benannt - unter anderem eine Straße.
In Dachau ist viel nach dem Schriftsteller Ludwig Thoma benannt - unter anderem eine Straße. (Foto: Toni Heigl)

In München entscheidet am Freitag der Stadtrat über die Umbenennung der Ludwig-Thoma-Straße. Wird die Entscheidung Einfluss auf Dachau haben? Ärger ist jedenfalls programmiert.

Von Helmut Zeller, Dachau

Fast 30 Straßen, Plätze und Gebäude im Stadtgebiet von Dachau tragen die Namen von Männern, die in das Naziregime verstrickt waren, antisemitische Hetze betrieben oder kolonialistische Verbrechen verherrlicht haben. Die Liste liegt den Stadtratsfraktionen seit Monaten vor – die politische Entscheidung, wie man mit den Benennungen umgehen soll, steht aber noch aus. Eine Umbenennung der Straßen könnte in der Bevölkerung großen Ärger auslösen. Dann vielleicht doch eher eine erklärende Zusatztafel? Keine leichte Entscheidung. Es geht um angesehene Persönlichkeiten der Dachauer Geschichte.

Vor allem der Schriftsteller Ludwig Thoma (1867-1921), dem die Stadt in besonderem Maße verbunden ist, bereitet der Kommunalpolitik Bauchschmerzen. Und der Druck wächst: Der Ältestenrat des Münchner Stadtrats entscheidet an diesem Freitag über eine von Experten empfohlene Umbenennung der Ludwig-Thoma-Straße in der Landeshauptstadt. Dachau tut sich jedoch immer noch schwer mit seiner NS-Geschichte: Als vor zwei Jahren die NSDAP-Mitgliedschaft der ÜB-Stadträtin Margarethe Kron (1921-1987) ans Licht kam, und deshalb der Kron-Maus-Kulturpreis umbenannt wurde, hagelte es Proteste. Auch dann, als der Gedächtnislauf für die Sportlegende Hias Kern gestrichen wurde, weil seine frühere Mitgliedschaft in der SS und Waffen-SS bekannt wurde.

Dachaus Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD), der für eine aktuelle Stellungnahme bis Redaktionsschluss nicht erreichbar war, sagte der SZ im Juli 2021 zum Fall Thoma: Er wolle abwarten, ob die Münchner Experten-Kommission neue Erkenntnisse bringe. „Wir würden gerne wissen, ob es diesbezüglich weitere Argumente gibt und wie das dort bewertet wird.“ Hartmann stellte damals klar: „In Dachau gibt es derzeit keinerlei Vorstoß der Stadtpolitik, da etwas ändern zu wollen.“ Aber sollte es in München zu einer Straßenumbenennung kommen, „dann müssen wir uns auch hier damit beschäftigen“.

Ludwig Thoma lebte von 1894 bis 1897 in Dachau.
Ludwig Thoma lebte von 1894 bis 1897 in Dachau. (Foto: dpa)

Die Experten in München haben nun empfohlen, Thoma die Auszeichnung abzuerkennen, da er frauenfeindlich, homophob, antisemitisch, völkisch-national und antidemokratisch gewesen sei. Bereits in den 1980er-Jahren wurde der Ruf des bayerischen Literaten erschüttert. Er lebte von 1894 bis 1897 in Dachau, wo er als Rechtsanwalt im Raufferhaus, in der Nähe des Amtsgerichts, eine eigene Kanzlei betrieb. Seine Eindrücke aus der Stadt sowie dem Umland schlugen sich in vielen seiner Werke nieder, etwa in seinem ersten Werk „Agricola“.

Thoma hatte zum Ende seines Lebens hin etwa 180 antisemitische Hetzartikel für den Miesbacher Anzeiger geschrieben, etwa den tödlichen Anschlag eines rechtsextremen Judenhassers auf den ersten Ministerpräsidenten des Freistaat Bayerns, Kurt Eisner, am 21. Februar 1919 als „Hinrichtung des Eisners“ bejubelt. Einer der besten Kenner Thomas ist der Autor, Publizist und früherer Bezirksheimatpfleger Norbert Göttler aus Dachau, der sich unter anderem 2017 in einem Theaterstück „Thoma - eine Selbstzerstörung“ kritisch mit ihm auseinandergesetzt hat.

Göttler gehört neben Kulturamtsleiter Tobias Schneider und dem Stadt- wie Kreisarchivar Andreas Bräunling dem Expertengremium an, das Oberbürgermeister Hartmann vor eineinhalb Jahren eingesetzt hat, um problematische Straßennamen zu erforschen. Eine Umbenennung der Thoma-Straße fordert Göttler auch für Dachau. Das hätte weitreichende Folgen: In der Großen Kreisstadt gibt es auch eine Thoma-Wiese, auf der das Volksfest stattfindet, das Thoma-Haus, der Kulturtempel der Stadt, einen Gedenkstein, eine Kapelle und schließlich den traditionellen Kulturverein „Ludwig-Thoma-Gemeinde“, der die Hetze des Antisemiten verurteilt, aber das Andenken an ihn hochhält. Man müsse eine Person, sagte Vereinsvorsitzender Eduard Hörl einmal über Thoma, in ihrer Gesamtheit beurteilen. Wie in ganz Bayern gibt es neben Dachau in einigen Gemeinden des Landkreises Thoma-Straßen, etwa in Markt Indersdorf, Karlsfeld oder Bergkirchen.

Norbert Göttler hat die notwendige Auseinandersetzung schon vor gut zwei Jahren angestoßen

Den Fraktionsvorsitzenden im Stadtrat liegt ein umfassendes Zwischenergebnis des Expertengremiums bereits seit Monaten vor, auch ein Gespräch mit den drei Experten hat schon stattgefunden – Göttler hofft, dass nun bald über die etwa 30 belasteten Namen von insgesamt 525 Straßen entschieden wird. Die Ergebnisse seien so weit gefestigt, sagt er, dass sie politisch abstimmungsreif seien, auch wenn bei historischen Forschungen immer mal wieder ein neuer Aspekt zutage treten könne. Das Gremium hat aber, wie Schneider betont, nicht den Auftrag – anders als in München – Empfehlungen für eine Umbenennung oder Kontextualisierung von Straßennamen auszusprechen. Noch als Bezirksheimatpfleger hatte Göttler die notwendige Auseinandersetzung bereits vor gut zwei Jahren angestoßen. Er legte damals dem Oberbürgermeister eine Liste mit wahrscheinlich belasteten Straßennamen vor. Auch aus dem Kreis des Runden Tisches gegen Rassismus in Dachau wird, wie zu erfahren war, zur Eile gemahnt.

Eine Straßenbenennung ist der Gemeindeordnung zufolge die höchste Ehrung, die eine Kommune vergeben könne. Der Deutsche Städtetag hat erst im Frühjahr 2021 darauf hingewiesen, dass diese hohe Form der Auszeichnung in der Gegenwart kritisch überprüft werden müsse. Schneider sagt, dass die Qualität der Recherche Vorrang vor Schnelligkeit habe. Man habe eine sehr saubere Archivrecherche vorgenommen, viele Zeitungsquellen ausgewertet und Spruchkammerakten studiert, Schneider allein zu 50 Fällen. Daran gemessen sei so viel Zeit nicht verstrichen, die Stadt München habe von 2016 bis 2025 Zeit für die Untersuchung gebraucht. Unter anderem stehe noch ein grundsätzlicher Aufsatz der Künstlerin und Historikerin Anja Seelke über Walter von Ruckteschell aus.

Der Bildhauer und Mitbegründer der Künstlervereinigung Dachau, Walter von Ruckteschell (1882-1941), steht, wie zu erfahren war, neben Thoma ganz oben auf der Liste des Expertengremiums. Das ist nicht verwunderlich, weil Seelke bereits vor ein paar Jahren den Künstler, eine Ikone der Dachauer Kunstgeschichte, als Rassisten und Propagandisten des deutschen Kolonialismus entlarvte, der auch den Nationalsozialisten nahestand.

Dazu zählt auch Margarethe Krons Vater Hans Zauner (1885-1973), der 1933 in die NSDAP eintrat und im Naziregime politische Karriere machte. Die Dachauer wählten ihn 1952 zum Bürgermeister. Noch Jahre später soll er sich abfällig über ehemalige KZ-Häftlinge geäußert haben. Eine Straße ist auch dem Maler und Mitbegründer der Künstlergruppe Dachau, Hermann Stockmann (1867-1938) gewidmet, der den Festzug zur Stadterhebung Dachaus 1934 für die Nazis ausrichtete und für sie ein Gutachten über das Vermögen der aus Dachau vertriebenen Juden erstellt haben soll.

Die anderen Namen sind noch unter Verschluss. Zuerst sollen die Stadträte darüber beraten, bevor man an die Öffentlichkeit geht. Aber wie immer sie sich auch entscheiden, Ärger ist programmiert, ob Namen wie Hans Zauner oder Ludwig Thoma nun aus dem Stadtbild gänzlich verschwinden oder erklärende Zusatztafeln oder ein QR-Code an den Straßenschildern angebracht werden. So wie es ist, kann es, da sind sich die Experten einig, jedenfalls nicht bleiben – nicht am „Lernort Dachau“.

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Dachau
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SZ PlusVon Helmut Zeller

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