Dachau:Augenmusik

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Tanja Wawra (Bildmitte) leitet den Chor Canzone 11 und ist Musiklehrerin am Gymnasium in Markt Indersdorf. (Foto: Kerstin Groh)

Der Chor Canzone 11 und der Grafiker Quint Buchholz transponieren das Madrigal in die Gegenwart

Von Dorothea Friedrich, Dachau

Madrigal. Der Name weckt Assoziationen an höfische Feste oder bukolische Gelage, an fahrende Sänger und tanzendes Volk. Stimmt alles irgendwie. Aber das Madrigal ist keine Kunstform von gestern. Es passt ins Heute so wie Rock und Pop, Funk und Techno. Vorausgesetzt, der Chor steht nicht steif und schwarz gewandet auf der Bühne, sondern ist in Bewegung und trägt ein helles, freundliches Outfit. Vor allem aber ist er stimmlich auf der Höhe und hat eine Dirigentin von Format. Dazu mal lustige, mal philosophisch-meditative Projektionen eines Könners - und der Abend wird zur "Augenmusik". So hat Canzone 11 - die Zahl elf weist auf das Gründungsjahr 2011 hin -, ein Chor aus München und der Region, sein Konzert betitelt und damit im Thoma-Haus "die Renaissance des Madrigals" gefeiert - mit ganz alter und ganz neuer Musik.

Der zwanzigköpfige Chor, seine Dirigentin Tanja Wawra und die Projektionen des Malers und Grafikers Quint Buchholz sind eine Entdeckung, transponieren sie doch eine fast abgeschriebene und nur in Alte-Musikkreisen oder bei Historienschinken-Fans geschätzte musikalische Gattung mühelos ins Hier und Jetzt. Das Madrigal war ursprünglich eine Art Singgedicht, boomte im 16. und 17. Jahrhundert vor allem in England und Italien. Für die Komponisten jener Zeit war es eine Möglichkeit, sich von der formalisierten, sakralen Musik ab- und weltlichen Themen zuzuwenden und innovative Werke zu schaffen. Die Begeisterung beim Publikum war entsprechend groß. Letzteres gilt auch uneingeschränkt für das Canzone 11-Konzert. Zu hören war eine süchtig machende Melange von englischen, französischen und italienischen Kompositionen aus der Madrigal-Blütezeit (von Thomas Morley, Clément Janequin und Michelangelo Rossi) mit zeitgenössischen finnischen und dänischen Werken von Jaakko Mäntyjärvi, Pelle Gudmundsen-Holmgreen und John Høybye. Tänzerisch, frühlingshaft-heiter war die Konzert-Ouvertüre mit Morleys "Now ist he month of Maying". Dieses Werk ist noch heute eines der bekanntesten englischen Madrigale. Was angesichts des volksliedhaften Charakters und anspielungsreichen Textes nicht verwundert.

Aus den in der Neuzeit lange unbeachteten Madrigalsammlungen des Italieners Rossi hatte der Chor sechs Stücke eher betrüblichen Inhalts ausgesucht: Sehnsucht, unerfüllte und enttäuschte Liebe oder Schicksalsschläge sind die Themen. Rossi hat daraus Miniaturopern gemacht, wechselt Tonarten und Akkordfolgen, spielt mit unterschiedlichsten Melodien. Canzone11 folgt dieser Dramaturgie empathisch und mit glasklarer Intonation, fest im Blick der präzise dirigierenden Chorleiterin. Dazu melancholische Bildsequenzen, graue Seestücke, Weite und Einsamkeit pur.

Doch gutes Theater - und das war dieser "Multimedia-Abend" auch - braucht alle Facetten des Lebens. "Come live with me" des Finnen Mäntyjärvi ist dafür ein Beispiel. Der Chor besingt den zeitlosen Zauber der Liebe - einfach schön, wenn dazu auf der Leinwand ein älteres Paar miteinander tanzt. Der Text stammt übrigens von Christopher Marlow - einem genialischen Schriftsteller und Politabenteurer des elisabethanischen Zeitalters, den manche Unbelehrbare für den "wahren Shakespeare" halten. Mit "Chant des oyseaux - Gesang der Vögel" von Janequin und zwei Stücken von Gudmundsen-Holmgreen zeigte der Chor, dass Lautmalereien und (Vogel-)Stimmenimitationen hohe Kunst sein können - und nicht nur Kinder zum Lachen bringen, zumal fliegende Schweine und rasende Kühe die kongeniale visuelle Ergänzung sind. Der Kreis schloss sich mit "The Slow Spring" von Høybye, begleitet von fast visionären Bildsequenzen.

Dass der Ohrenschmaus zur Augenmusik wurde, ist der Zusammenarbeit von Dirigentin Wawra und Grafiker Buchholz zu danken. Tanja Wawra ist Musikpädagogin am Gymnasium Markt Indersdorf. Sie war auch Professorin für Chorleitung und Dirigentin des Madrigalchors an der Musikhochschule in München und hat mit führenden Chören zusammengearbeitet. Quint Buchholz ist - unter anderem - ein bekannter Buchillustrator. Elke Heidenreichs "Nero Corleone" wäre ohne ihn wohl nicht zum Bestseller geworden. Die beiden haben sich beim Schwäbischen Kunstsommer in Irsee kennengelernt. Was daraus wurde, ist in jeder Hinsicht hörens- und sehenswert und macht Appetit auf die nächste Augenmusik.

© SZ vom 07.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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