Dachau:Aufmüpfiger Humor

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Die Inszenierung der Nestroy-Komödie "Lumpazivagabundus" durch Regisseur Herbert Müller und Musiker Robert Scheingraber treibt die Spielfreude an. Aber das Sommertheater ist auch voller ernsthafter Zwischentöne - ganz nach dem Vorbild des Autors

Von Dorothea Friedrich, Dachau

Die Erwartungen sind hoch, weil Herbert Müller vom Hoftheater und Musiker Robert Scheingraber beim Bergkirchener Sommertheater 2014 mit der Operette "Im weißen Rößl" gezeigt haben, dass sich da zwei gesucht und gefunden haben. Die gute Nachricht: Sie sind immer noch ein Traumpaar - mit traumhafter Unterstützung. Markus Stefan hat sein Hofensemble in Unterbachern, das bis ins 16. Jahrhundert zurückreicht, zur Festspielstätte verwandelt. Normalerweise befindet sich im Gewölbesaal die Werkstatt seiner Firma, die ehemaligen Scheunen sind Lagerräume. Jetzt warten unter cremefarbenen Zelten am Donnerstag edel designte Holzsessel und -sofas. Wirt Michael Groß hat eine riesige Bar aufgebaut und eigens einen Lumpazi-Cocktail kreiert. Was für eine friedliche Einstimmung auf einen turbulenten Abend.

Johann Nestroys Erfolgstück "Lumpazivagabundus" hat einen so gar nicht friedlichen Anfang: Der kleine Bruder des Faustschen Mephisto zeigt im Feenreich, wo der Hammer hängt. Und das geht so. Sein jüngstes Opfer, der Möchtegern-Magier Fludribus gibt sich lieber der Verschwendungssucht und dem Dolcefarniente hin, als den Ermahnungen von Fortuna zu folgen, der Beherrscherin des Schicksals, und von Carnevalis, dem König der Feen. Nur die Liebe kann Fludribus auf den Pfad der Tugend bringen. Da bietet Lumpazivagabundus eine irre Wette an: Er will beweisen, dass Menschen sich nicht ändern: "Kommt's Glück einmal, so werfen sie's beim Fenster hinaus, und kommt's noch mal, so treten sie's mit Füßen."

So weit, so himmlisch irdisch. Das Festspielorchester unter Scheingrabers Leitung verliert die Anfangsnervosität. Max I. Milian am Schlagzeug wird gelassener. Er hat in die Originalmusik von Adolf Müller senior eigene Kompositionen und Lieder aller Genres eingewoben. Das ist ihm so gut gelungen, dass sich Lieder, Couplets und Arien wie ein feiner Seidenteppich um die Handlung schmiegen, sie begleiten, sie vorbereiten oder sie nachwehen lassen. Schließlich spielt die Musik in Nestroys Werken eine tragende Rolle.

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(Foto: Toni Heigl)

Jürgen Füser als Carnevalis, der strenge Herrscher über das Feenreich.

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(Foto: Toni Heigl)

Herbert Müller als versoffener, weltuntergangssüchtiger Vagabund.

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(Foto: Heigl)

Helena Schneider als liebreizende Peppi mit Ferdinand Ascher, dem spießigen Tischler.

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(Foto: Toni Heigl)

Tobias Zeitz als Marchese Maccaroni beim Sommertheater auf dem Reischlhof.

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(Foto: Toni Heigl)

Der Musik kommt in der Nestroy-Posse eine Hauptrolle zu.

Lumpazivagabundus wurde 1833 in Wien uraufgeführt. Also in einer Zeit, in der die Donau längst nicht mehr kornblumenblau war, die feschen Madln, ihre Brüder und Ehemänner bis zum Umfallen schufteten und doch immer mehr verelendeten. Der Kongress hatte ausgetanzt. Stattdessen ließ Klemens Wenzel Fürst Metternich die Puppen tanzen, war aus heutiger Sicht EU-Kommissionspräsident und NSA in Personalunion in einem zum Spitzelstaat verkommenen Österreich. Ein beliebter Treffpunkt waren die Theater, vor allem, wenn ein Nestroy-Stück auf dem Programm stand. Die Possenspiele waren Unterhaltung - jenseits steifer Konventionen. Ihre von der Handlung losgelösten Couplets waren geschickt verpackte subversive Kritik an den Herrschenden und den sozialen Verwerfungen.

Für Herbert Müller eine Steilvorlage. Er hat aus unterschiedlichen Fassungen des Lumpazivagabundus, aus "Faust"-Zitaten" und einem aufrüttelnden "Kometenlied" des großen Karl Kraus Volkstheater im besten Sinn gemacht, Parallelen zu heute inklusive. Möglich wurde das durch ein aus Mitgliedern des Hoftheaters und Laiendarstellern bestehendes, wandlungsfähiges, mit Herzblut singendes, spielendes und tanzendes Ensemble, das in mehrere Rollen schlüpft. Nach dem Vorspiel im Himmelreich geht es auf Erden zur Sache. Klein-Mephisto Lumpazivagabundus hat sich drei Versuchsobjekte ausgesucht, den versoffenen weltuntergangssüchtigen Schuster Knierim, den Möchtegern-Dandy und Schneider Zwirn und den unglücklich verliebten Tischler Leim. Sie gewinnen dank seiner und der Feen Machenschaften in einer Lotterie.

Bis es aufs philosophische Ende zugeht, wird der Reischlhof-Gewölbesaal zum Schauplatz prallen Lebens, zum Theater mit stellenweise dadaistischen Anmutungen in biedermeierlichem Outfit. Aus den Feen werden Schankmädchen und Gäste in einem Wirtshaus, die den Hit des Abends schmettern: "Eduard und Kunigunde" - das ist so ansteckend und so abgefahren, dass alle im Publikum, gestandene Opernsänger inklusive, mitmachen. So eine Szene kann leicht ins Bierzeltmäßige abrutschen. Aber hier geschieht etwas ganz anderes: Die fröhlichen Reaktionen der Zuschauer befeuern die Theatertruppe. Sie spielt sich frei, wird immer lockerer, gelöster, übertrifft sich selbst.

Die Bühne wird zum Kaleidoskop der Welt des bürgerlichen Scheins. Schneider Zwirn genießt sein Leben in vollen Zügen, will den gesellschaftlichen Aufstieg, sieht nicht, dass er immer ein Emporkömmling bleiben wird und von Schmarotzern umgeben ist. Unvergesslich, wie diese feinen Damen und Herren in einem mehr als halbstündigen Quodlibet, einem fabelhaften Mix aus Oper, Operette und Schlager, die musikalische Welt und sich selbst auf den Kopf stellen. Was heute höchstens noch unsere Neugierde weckt, war in den 1830-er Jahren ein Furcht einflößendes Ereignis - und für Nestroy Anlass, mit Spott den Untergang royaler Cliquen vorherzusagen.

In der Adaption von Karl Kraus wird aus dem Kometenlied eine schreckeinflößende Zustandsbeschreibung des Jahres 2015 mit der Warnung: "Und keiner muckt auf." Herbert Müller hat diese aufrüttelnden Zeilen mit Bedacht ausgesucht - eine Meisterleistung. Und ein großartiger Zwischenruf im komödiantischen Geschehen. (Karten und Termine: www.hoftheater-bergkirchen.de)

© SZ vom 25.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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