Dachau:Auf die ganz billige Tour

Erst hatte sich ein Dachauer Fuhrunternehmer detailliert über Scheinselbstständigkeit informiert - und dann in großem Stil ausgenutzt. Doch auf der Anklagebank gab er sich völlig ahnungslos.

Anna Schultes

Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 136 000 Euro hat ein Firmeninhaber geprellt. In einem Zeitraum von zweieinhalb Jahren vermittelte der 39-Jährige in 153 Fällen Aufträge an vermeintlich selbstständige Kraftfahrer. Wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt musste sich der Angeklagte jetzt vor dem Amtsgericht Dachau verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, er habe die Fahrer als Selbstständige beschäftigt, obwohl er sie als Arbeitnehmer zur Sozialversicherung hätte melden müssen. Das Schöffengericht unter Vorsitz von Richter Lukas Neubeck verurteilte den Angeklagten zu zwei Jahren Haft, die zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Dachau: Symbolbild: Lkw-Verkehr auf der Autobahn A8 München Stuttgart, Brücke nach Geiselbullach bei Graßlfing.

Symbolbild: Lkw-Verkehr auf der Autobahn A8 München Stuttgart, Brücke nach Geiselbullach bei Graßlfing.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Nachdem der Angeklagte in der Vergangenheit zunächst selbst als Kraftfahrer gearbeitet hatte, gründete er im Dezember 2007 eine Firma in Dachau. Neben Künstlern und Festzelten vermittelte er vor allem Speditionsaufträge an Fahrer aus seinem Bekanntenkreis. Für die Staatsanwältin ist es ein "glasklarer Fall": Es handle sich nicht um selbstständige Unternehmer, da sie zeitlich wie örtlich an die Aufträge des Angeklagten gebunden gewesen seien und keinerlei andere Arbeitgeber gehabt hätten. Aus Bequemlichkeit habe der 39-Jährige frei nach dem Motto gehandelt: "Die Großen machen das alle, dann kann ich das auch." Richter Neubeck hatte zuvor betont, dass die Transportbranche typischerweise von Scheinselbstständigkeit betroffen sei.

Bevor der Angeklagte zu Wort kommt, erläutert ihm der Vorsitzende Richter, dass für das Strafmaß die tatsächliche Beweislage maßgeblich sei, nicht seine subjektive Empfindung, ob er bewusst gehandelt habe. "In ihrem Fall ist die Aktenlage erdrückend." Bei einer Durchsuchung im Dezember 2010 hatte der Zoll Unterlagen mit Angaben zum Transportrecht sichergestellt. Offenbar hatte sich der Unternehmer über seine Pflichten informiert. Zudem hatte er seinen Beschäftigten vertraglich untersagt, eigenständig mit den zwei Speditionen in Dachau und Neufahrn zu verhandeln - ein Punkt, der gegen ihre Selbstständigkeit spricht.

Der Verteidiger des 39-Jährigen erklärt, sein Mandant räume den äußeren Sachverhalt vollständig ein. Trotzdem versucht er zu verdeutlichen, dass der Firmeninhaber in die Sache "hineingeschlittert", dass er "naiv und blauäugig" gewesen sei. Als der Angeklagte die Staatsanwältin vor Gericht dann noch fragt, wann man denn nun selbstständig sei, kann sie nur noch den Kopf schütteln. Sie erkennt weder Einsicht noch Reue und plädiert auf eine Haftstrafe von zweieinhalb Jahren. Das Schöffengericht wertet das Geständnis positiv, ebenso wie die Tatsache, dass der Angeklagte seine Firma bereits acht Monate vor der Durchsuchung des Zolls freiwillig aufgegeben hatte. "Gerade noch" habe das Gericht sich gegen eine Gefängnisstrafe entschieden. Als Bewährungsauflage muss der 39-Jährige 400 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten. Seine Firma hat dem Angeklagten nur Verluste eingebracht, kürzlich meldete er Insolvenz an. Einige seiner Fahrer hingegen sind mittlerweile fest bei anderen Speditionsunternehmen angestellt.

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