Süddeutsche Zeitung

ASV-Theater Dachau:Meisters letztes Mal auf der Bühne

70 Jahre lang und rund 800 Mal tritt der Dachauer Erich Meister beim Theater am Stadtwald des ASV Dachau auf. Demnächst beendet er seine Karriere als Laienspieler. Über einen, der sich vielseitig einsetzte: als Kirchenmusiker, Jugendbetreuer oder Regisseur.

Von Petra Neumaier, Dachau

Es soll ein Abschied sein, dieser letzte Auftritt auf der Bühne, dieses letzte Mal Regieführen. Ein Abschied nach sieben Jahrzehnten und irgendwie wollen sie es nicht wahrhaben. Erich Meister und die 1953 gegründete ASV-Theaterabteilung: Sie sind von Anfang an eins. Kaum vorstellbar, dass der eine ohne die andere kann - und umgekehrt. Genauso wenig glauben mag man, dass dieser agile, vor Lebensfreude strahlende Mann mit den blauen Augen beinahe 88 Jahre alt ist. Glatt sind seine leicht geröteten Wangen und seine blauen Augen blicken so schelmisch, wie die auf der Schwarzweiß-Fotografie hinter ihm, da war Erich Meister acht Jahre alt. "Eine schöne Zeit hatte ich", sagt er und meint damit sein ganzes Leben - und vor allem die Zeit beim ASV und auf seiner Theaterbühne.

Im Flur hängen Urkunden. Die Goldene Bürgermedaille der Stadt zum Beispiel, die ihm schon im vergangenen Jahrtausend verliehen wurde. Außerdem ist er Ehrenmitglied seines Heimatvereines, dem ASV Dachau, dem er 1945 beigetreten ist. Erich Meister schüttelt lächelnd den Kopf. Auszeichnungen, die bedeuten ihm wenig. Da verweist er lieber auf die lange Reihe gewonnener Pokale beim Handball, wo er nicht nur selbst lange im Tor und auf dem Feld stand, sondern auch 32 Jahre lang die Jugend betreute und bis in höhere Ligen trainierte. "Das", sagt er verträumt, "hat riesigen Spaß gemacht."

Und dann hängt da noch ein anderes Bild, gemalt von einem Künstler. Erich Meister ist darauf zu sehen, mit Handball in der einen Hand und Geige in der anderen, einem Wanderstock an der Seite und im Hintergrund die ASV-Theaterbühne. Sein Gesicht zeigt ein großes Lachen - für einen Spaß war und ist der vielseitig aktive Dachauer immer zu haben.

Wenn Erich Meister von seinem Leben erzählt, dann tut er das mit voller Zufriedenheit und Dankbarkeit. Jede Kleinigkeit, jeder Name ist in seinen Erinnerungen abrufbar. Ob das gute Gedächtnis mit dem Auswendiglernen der Theatertexte zusammenhänge, weiß er nicht. Aber ein hohes Alter zu erreichen, liege in den Genen seiner Dachauer Familie, erzählt er. Und in der stand es nicht zur Debatte, Widerspruch zu leisten. Erich Meister war das Nesthäkchen in seiner Familie. Sein Vater, ein Straßenwärter, und seine Frau hatten schon zwei ältere Söhne. Meister war ein braves Kind, auch als es darum ging, wer die Geige spielen sollte: "Die spielt der Bub", entschied der Vater. Also gehorchte er und blieb 50 Jahre lang Kirchenmusiker, erst in St. Johann, dann in Mariä Himmelfahrt sowie in Mitterndorf und das "ohne Bezahlung", betont er.

Seine Theaterpremiere feiert er mit dem Märchen "Rumpelstilzchen"

Ähnlich läuft es im ASV-Theater. Erich Meister turnte zunächst an Geräten und wechselte dann zum Handball. An einem Freitag im Jahr 1953 sitzt er mit Handballfreunden im Vereinsheim, im Nebenzimmer tagen die älteren Herren, erzählt Meister: "Plötzlich geht die Tür auf, der Vorstand kommt rein und sagt zu mir: Dich brauchen wir." Erich Meister kriegt erstmal einen Schreck, weil er sich nicht erinnern kann, etwas angestellt zu haben. Deshalb ist der damals 18-Jährige erleichtert zu erfahren, dass er nur für die Gründung der Theaterabteilung gebraucht wird. "Und Nein sagen habe ich mich nicht getraut", gesteht Erich Meister, der zuvor allenfalls mal bei Weihnachtsfeiern in ein Kostüm geschlüpft war - aber ohne einen Text sprechen zu müssen.

Das erste Stück, das sie zu Acht aufführen ist das Märchen "Rumpelstilzchen". Meister spielt den Königlichen Kammerdiener. Zwei Mal wird das Stück in Dachau aufgeführt, ein Mal in Altomünster. "Da waren richtig viele Zuschauer da", erinnert er sich an die erfolgreichen Aufführungen. Zu dieser Zeit habe es ja sonst kein Theater gegeben, so Meister. Für die Kostüme musste damals jeder selbst sorgen, später unterstützte eine Schneiderei in Dachau-Ost die Theaterabteilung.

Erich Meister ist gelernter Maurer und arbeitete nach seiner Ausbildung beim Straßenbauamt in München, "weil das so vom Vater und seinem Kollegen beschlossen wurde", erzählt er. Nach zehn Jahren kehrte er als Straßenmeister in seinen Heimatort Dachau zurück. In seiner Freizeit hatte er mit dem Handballtraining und der Jugendbetreuung des Vereins alle Hände voll zu tun. Außerdem hat er eine Ehefrau - "die habe ich mir selbst ausgesucht und hätte es besser gar nicht treffen können" - und eine musikalisch sehr begabte Tochter. Er seufzt. Von Montag bis Samstag war er kaum zu Hause. Hinzu kamen zwei Mal in der Woche Theaterproben und schließlich die Aufführungen: Darum rechnet er es seiner Familie hoch an, dass sie ihn geduldig machen ließ.

Und er hat noch eine weitere Leidenschaft: den Garten. Der fitte Rentner, der 1992 eine Herzoperation hatte und gerne in den Bergen wandert, ist mehr denn je in seinen inzwischen vier großen Gärten zu finden. Er pflanzt Blumen und Gemüse, schneidet zu, mäht, hegt und pflegt und strahlt: "Ein Garten ist doch das Schönste!"

"Früher musste man viel lauter sprechen, es gab ja keine Mikrofone"

Neben dem Garten, der Musik und dem Handball ist die Bühne seine Welt. Dabei schlüpft er in unterschiedliche Rollen: vom Knecht bis zum Brandner Kasper. Die Texte kann er sich gut merken, aber: "Früher musste man viel lauter sprechen, es gab ja keine Mikrofone", erinnert er sich. Und wenn es doch mal Textlücken gibt, wird eben improvisiert.

Rund 800 Mal wird Erich Meister in den kommenden 70 Jahren auf der Bühne stehen, 22 Mal führt er Regie. Bei der aktuellen Aufführung "Der Tyrann von Schnatterbeck" ist er Regisseur und Schauspieler: "In einer kleinen und kurzen Rolle, das reicht", betont er. Dabei tritt er als Dr. Kropfschneider auf, ein Landarzt im Ruhestand. Das Stück sei heiter, aber nicht albern, wie der Regisseur erzählt. Zum Inhalt: Kaspar Schnatterbeck, als Kind selbst von seiner Mutter ständig tyrannisiert, macht nun seiner Familie das Leben schwer. Denn keiner kann es ihm recht machen. Doch dann kommt Kaspars Bruder Hans auf eine geniale Idee: Jeden erteilten Auftrag soll die Familie genau gegenteilig ausführen. Ob der immer verzweifelter werdende Bauer so "enttyrannisiert" werden kann? Nach dieser Aufführung wird Erich Meister seine aktive Theaterkarriere beenden.

Die Aufführungen sind am Freitag, 17. März, 20 Uhr, Samstag, 18. März, 20 Uhr und Freitag, 24. März, 20 Uhr im ASV-Theatersaal. Der Festabend zum 70. Jubiläum der ASV-Theaterabteilung ist am Samstag, 25. März, um 19 Uhr. Kartenreservierung für alle Vorstellungen über das ASV-Büro (08131/56810) oder unter theater@asv-dachau.de.

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