Süddeutsche Zeitung

Appell der Naturschützer:"Unsere Natur stirbt - außer wir tun was"

Experte Michael Schrödl fordert am Dachauer Tag der Artenvielfalt radikale Lösungen, um die Apokalypse zu verhindern.

Von Renate Zauscher, Petersberg

Der Schwarzspecht hat sich zwar nicht sehen lassen, wohl aber war er zu hören: Sein charakteristischer Ruf prägte sich dem guten Dutzend ornithologisch Interessierter unter Führung des Vogel-Fachmanns Christian Fackelmann ebenso ein wie die Stimmen von Mönchsgrasmücke, Grünfink, Zilpzalp oder das Bild der hoch über dem Petersberg kreisenden Mäusebussarde.

Die vogelkundliche Wanderung rund um den Petersberg und ins Glonntal war einer von fünf Workshops, unter denen die Besucher des "Dachauer Tags der Artenvielfalt" wählen konnten. Andere, jeweils von Experten geleitete Exkursionen führten in die Amperauen, das Schwarzhölzl, zu Standorten der stark gefährdeten Wildbienen bei Hebertshausen oder in den Wald am Petersberg.

"Wenn nur ein Element ins Wanken kommt, bricht das ganze System zusammen"

Veranstaltet hat den Tag der Artenvielfalt das Dachauer Forum in Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern wie der Landvolkhochschule Petersberg, dem Landschaftspflegeverband, dem Verein Dachauer Moos sowie dem Bund Naturschutz und dem Landesbund für Vogelschutz. Auch der Gebietsbetreuer Sebastian Böhm war mit eingebunden, ebenso die Untere Naturschutzbehörde am Landratsamt. Man wolle, so sagte Annerose Stanglmayr, die Geschäftsführerin des Dachauer Forums, bei der Begrüßung der Besucher, anlässlich des fünfzigsten Gründungsjubiläums des Bildungseinrichtung, "nicht nur zurückschauen" sondern den Blick auf die Themen der Zukunft richten.

Dass dieser Blick in die Zukunft allerdings höchst beängstigende Züge haben kann, stellte Michael Schrödl klar, Mitarbeiter der Zoologischen Staatssammlung München und Professor für Systematische Zoologie an der Ludwig-Maximilians- Universität München, der als Referent zum Tag der Artenvielfalt geladen war. "Unsere Natur stirbt - außer wir tun was", lautet der Titel von Schrödls Vortrag. Die Zahlen, die der Wissenschaftler nannte, lassen keinen Zweifel: Die Artenvielfalt wie auch die Mengen der einzelnen Arten auf unserem Planeten nimmt dramatisch ab. Um nur ein Beispiel von Schrödl zu nennen: Die Biomasse an Insekten ist heute bei uns selbst in Schutzgebieten um 76 Prozent geringer als noch vor einigen Jahren. "Wenn aber nur ein Element ins Wanken kommt, bricht das ganze System zusammen", sagte Schrödl, "und irgendwann ist Schluss". Schluss auch mit dem Menschen, der Teil des Gesamtsystems ist.

Ein Grund für das Artensterben: der Flächenverbrauch

Der Experte nennt auch die Gründe für das Artensterben: den Flächenverbrauch, egal ob hierzulande oder durch die Rodung von tropischen Regenwäldern, der immer weniger Lebensräume übrig lässt, außerdem Monokulturen und fehlende Strukturelement wie etwa Hecken und Wegränder, was die gleiche Wirkung hat. Der größte Einflussfaktor aber ist laut dem Forscher "das Düngen und Spritzen" in der konventionellen Landwirtschaft. Zahlreiche Studien bestätigten mittlerweile, dass Spitzmittel über Kilometer vom Wind "verdriftet" werden und sich jahrelang im Boden halten.

Die "Biokrise" werde uns "die schnellsten und heftigsten Probleme bereiten", prognostizierte Schrödl, während die Klimakrise parallel dazu führe, dass Südeuropa nicht mehr bewohnbar werde. Küsten, Städte, ganze Länder würden in den Meeren versinken, die nach jetziger Schätzung um die zweieinhalb Meter ansteigen. Die Menschen aus diesen Regionen werden sich auf die Flucht begeben.

"Schicken Sie Ihre Kinder zu den Demos"

Apokalyptische Bilder also, die laut Schrödl bereits "sehr nah" sind. "Bis spätestens zum Jahr 2050 wird sich unsere Zivilisation erledigt haben." Es sei denn, die Menschheit denke doch noch um und werde entsprechend handeln, im Kleinen wie im Großen.

Michael Schrödl nannte entsprechende Strategien wie die, den persönlichen Fußabdruck zu verringern: "Fangen Sie dort an, wo es am leichtesten geht - aber fangen Sie sofort an". Konkret heißt das: Flugreisen drastisch reduzieren, ebenso Autofahrten, biologisch erzeugte Lebensmittel einkaufen, bescheidener leben, für Unvermeidliches Kompensationen zahlen etwa an atmosphere.de oder myclimate.de. Und vor allem auch: politischen Druck ausüben. "Wir brauchen radikale Lösungen, die prominent vertreten werden", sagt der Wissenschaftler, der sich auch privat an seine Forderungen hält.

Und ein letzter Rat an die Anwesenden: "Schicken Sie Ihre Kinder zu den Demos - Greta Thunberg hat mit allem recht, was sie sagt."

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SZ vom 03.06.2019
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