Dachau:Anwältin mit Zivilcourage

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Seda Başay-Yildiz tritt mutig für die Rechtsstaatlichkeit ein. OB Hartmann ehrt sie dafür im Rathaus. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Oberbürgermeister Hartmann ehrt Seda Başay-Yildiz, die ein NSU-Mordopfer vertrat und nun selbst bedroht wird

Von Anna-Elisa Jakob, Dachau

Der leicht skeptische Blick und das sanfte Lächeln von Seda Başay-Yıldız wird von nun an jede Debatte im Neuen Sitzungssaal des Dachauer Rathauses begleiten. Als Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) am Sonntagabend ihr gerahmtes Portrait in der Reihe der Dachau-Preisträger für Zivilcourage enthüllt, ist die 43-Jährige sichtlich gerührt. "Ich finde es sehr mutig, dass Sie mich ehren - das zeichnet auch Sie aus", sagt die Preisträgerin in diesem Moment zu Hartmann.

Seda Başay-Yıldız vertrat als Anwältin Enver Şimşek, das erste Opfer der Mordserie des NSU. In Interviews stützte sie später die These, dass der Täterkreis um die drei Angeklagten viel größer gewesen sein musste, als während des Prozesses angenommen, und forderte eine Wiederaufnahme des Verfahrens. 2018 erhielt sie daraufhin Morddrohungen, unterschrieben mit "NSU 2.0". Ein Großteil solcher Nachrichten pralle mittlerweile an ihr ab, erklärt Başay-Yıldız in ihrer Dankesrede am Sonntag, doch da gebe es rund fünf Prozent, bei denen das nicht möglich sei. Zum Beispiel bei dieser Nachricht, mit der sie sich letztlich an die Polizei wandte. Hier drohte man, ihre Tochter "abzuschlachten", nannte die Adresse der Familie. Informationen, die so privat waren, dass sie die Ermittler letztlich in die eigenen Reihen führten: Gegen 36 Polizisten in Frankfurt, dem Wohnort der Anwältin, wurde zwischenzeitlich Verdacht erhoben.

Die Jury erklärte Başay-Yıldız bereits im April zur Preisträgerin, bis zur Ehrung am vergangenen Wochenende kämpfte die Anwältin in ihrem Alltag weiterhin gegen Anfeindungen und für Gerechtigkeit. Sie verteidigte in diesem Jahr den mutmaßlichen Gefährder Sami A., der über Nacht nach Tunesien abgeschoben wurde, und forderte seine Rückkehr. Aktuell setzt sie sich dafür ein, mutmaßliche IS-Kämpfer nach Deutschland zurückzuführen, damit sie hier ein angemessenes Rechtsverfahren erhalten.

Wer all das über Seda Başay-Yıldız weiß, erwartet eine bestimmte, durchsetzungsstarke Frau. Und trifft eine, die mindestens genauso herzlich und zurückhaltend ist. Die erklärt: "Ich vertrete keine Ideologie, sondern einen Menschen." Und die sagt, dass es ihr eigentlich sehr unangenehm sei, einen Preis für etwas zu bekommen, "das in einem Rechtsstaat eine Selbstverständlichkeit sein sollte."

Ihr Vertrauen in diesen Rechtsstaat sei nicht mehr besonders groß, hatte sie vor Kurzem in einem Interview erklärt. Was macht das mit ihr und dem Verständnis für ihren Beruf? Vor allem finde sie es bedenklich, wenn juristische Entscheidungen von Behörden und Ministerien nicht beachtet werden: "Der Respekt gegenüber der Rechtsstaatlichkeit geht dadurch verloren." Hier ginge es nicht nur um Abschiebungsentscheidungen, wie im Fall von Sami A., sondern beispielsweise auch um Entscheidungen zu Dieselverboten. Başay-Yıldız findet es wichtig, dass hier Zwangshaft gegen Politiker und Ministerien diskutiert werden, die rechtliche Entscheidungen missachteten. Wie sie selbst trotz all der Anfeindungen weitermache? "Ich muss das abschalten", erklärt sie. Dabei vertraut sie auf die Polizei. "Auf die Beamten, die mich und meine Familie beraten und die sich klar und deutlich von Kollegen distanzieren, die sich nicht an die demokratische Grundordnung halten."

Jurymitglied Sybille Krafft formulierte in ihrer Laudatio, die Arbeit von Seda Başay-Yıldız sei "unbequem und undankbar, und leider auch gefährlich". Aber sie sei notwendig in einer Zeit, in der Rechtspopulisten versuchten, das Gefüge des Rechtsstaates auszuhöhlen. Immer wieder betont Krafft dabei Artikel 1 des Grundgesetzes, denn "das kann man in Dachau nicht oft genug wiederholen". Die Würde des Menschen ist unantastbar - das sollte in einem Rechtsstaat für jeden Menschen gelten. Für das Mordopfer, den IS-Kämpfer, die Anwältin.

© SZ vom 10.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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