Dachauer Musiksommer:Eskalieren mit Haltung

Dachauer Musiksommer: Die Antilopen Gang tritt in Dachau auf der Thoma-Wiese zum ersten Mal vor bestuhlten Reihen auf.

Die Antilopen Gang tritt in Dachau auf der Thoma-Wiese zum ersten Mal vor bestuhlten Reihen auf.

(Foto: Toni Heigl)

Die Antilopen Gang befriedigt beim Dachauer Musiksommer eine riesige Sehnsucht nach Konzerten. Im Publikum gibt es kein Halten mehr. Mit dabei ist eine ordentliche Prise Gesellschaftskritik.

Von Jacqueline Lang, Dachau

Obwohl die Antilopen Gang am Vorabend schon in Dresden ihr erstes Konzert nach eineinhalb Jahren Pandemie gespielt hat, ist der Abend in Dachau auch für sie etwas Besonderes: Es ist das allererste Mal, das die deutsche Hip-Hop-Band vor bestuhlten Reihen auftritt. Doch das Trio aus Danger Dan, Koljah Kolerikah und Panik Panzer sorgt ziemlich schnell dafür, dass das Publikum sich von seinen Plätzen erhebt - immerhin gibt es einiges nachzuholen. Wie sehr die Menge es vermisst hat, Musik zu hören, ausgelassen zu tanzen, einfach im Moment zu sein, das spürt man spätestens, als das Konzert nach zwei Stunden und mehreren Zugaben endgültig vorbei ist: Viele bleiben noch lange vor der Bühne stehen, unschlüssig, ob sie nun wirklich schon nach Hause gehen sollen und ja, auch so, als hätten sie ein wenig Angst, alles könnte nur ein Traum gewesen sein; zu schön um wahr zu sein.

Dabei ist der Antilopen Gang gar nicht unbedingt daran gelegen, dem Publikum immer nur ein gutes Gefühl zu geben: Bei allem Humor, bei allem Klamauk ist sowohl in als auch zwischen den Songs immer eine ordentliche Prise Gesellschaftskritik dabei. Das Konzert auf der Ludwig-Thoma-Wiese, das im Rahmen des Dachauer Musiksommers coronabedingt nur vor gut 500 Menschen stattfindet, bildet da keine Ausnahme. Immerhin waren die vergangenen Monate nicht zuletzt für Künstler wie die drei Rapper nicht unbedingt leicht. "Wir haben uns mit Ladendiebstahl über Wasser gehalten", erzählen sie. Zum einen ist das natürlich eine gute Überleitung zu ihrem Song "Army Parka" zum anderen kann man das sicherlich auch als Kritik an einer Politik zu verstehen, die die Kunstszene anders als etwa die Wirtschaft nicht als systemrelevant eingestuft hat.

Neben Politik geht es aber auch um das Zwischenmenschliche. "Sind hier Leute in einer unglücklichen Beziehung?", fragt Tobias Pongratz alias Panik Panzer, um dann den Song "Trenn dich" anzustimmen - nicht ohne einen Seitenhieb gegen "diesen konservativen Teil dieses auch sonst hässlichen Landes" in dem verheiratete Paare immer noch zusammenbleiben, auch wenn die Liebe längst keine mehr ist. Das gelegentliche Bayern-Bashing nimmt ihnen zumindest an diesem Abend niemand übel, zumal die Band auch ganz grundsätzlich das "Konzept Deutschland für suboptimal" hält. Was sie damit meinen, in ihrem Song "Beate Zschäpe hört U2" wird es mehr als deutlich. Im Publikum gehen gegen all die Faschisten in diesem Land reihenweise die Mittelfinger in die Höhe.

Dachauer Musiksommer: Noch sitzen die Zuhörer, später werden die Stühle zu Hüten umfunktioniert.

Noch sitzen die Zuhörer, später werden die Stühle zu Hüten umfunktioniert.

(Foto: Toni Heigl)

Ebenso politisch geht es dann auch weiter, wenn auch dieses Mal ohne DJ Jenny Sharp an den Turntables, dafür aber mit Daniel Pongratz alias Danger Dan am Klavier. Von seinem Solo-Album, auf dem er sich als Liedermacher ausprobiert, spielt er zuerst "Lauf davon" und dann - natürlich - den viel beachteten Song "Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt". Spätestens danach gibt es beim Publikum kein Halten mehr. Als die Band die Menschenmenge dann beim Song "Der Ruf ist ruiniert" auffordert, die Stühle zu Hüten, sozusagen "Hutstühlen", umzufunktionieren, gehen kurzzeitig nahezu alle der 500 weißen Plastikstühle in die Höhe. Angestachelt von den Musikern, die es sichtlich genießen endlich wieder vor Publikum spielen zu dürfen, fliegen kurz darauf auch noch Plastikbecher durch die Luft. Ein bisschen Eskalation, sie tut gut nach all den Monaten des Stillstands. Natürlich hat aber auch der schönste Abend irgendwann einmal ein Ende. Die Antilopen Gang wäre aber wohl nicht die Antilopen Gang wenn sie zum Abschluss nicht noch Einen raushauen würde. Und so ist es sicherlich kein Zufall, das beim Song "Verliebt" die Schweinwerfer in Regenbogenfarben aufleuchten. Und dann ist es wirklich vorbei, das für viele allererste Konzert nach mehr als eineinhalb Jahren.

Und, wie war's? "Mega, fünf von fünf Sternen", sagt Genoveva und strahlt dabei übers ganze Gesicht. Die 29-Jährige, die wie viele an diesem Abend extra aus München angereist ist, erzählt, sie und ihr Freund seien "Megafans". Trotzdem hätten sie erst vor wenigen Stunden erfahren, dass die Antilopen Gang in Dachau spielt und dann glücklicherweise für das längst ausverkaufte Konzert noch zwei Tickets auf Ebay-Kleinanzeigen ergattert. Auch Jana, 29, und ihre Freundinnen und Freunde, von denen einige am Vorabend beim Auftaktkonzert von Moop Mama gewesen sind, sind begeistert. "Ich habe aber auch nichts anderes erwartet", sagt sie, die Antilopen Gang ist eine ihrer Lieblingsbands.

Keine Tickets und trotzdem die wahrscheinlich besten Plätze haben sich Theresa, fünfeinhalb, und Felix, 26, gesichert: Mit einer Gruppe von Freunden haben sie mit ihren Van direkt vor dem abgesperrten Konzertbereich geparkt und es sich auf dem Autodach gemütlich gemacht. Er habe die Band das erste Mal in Erfurt gesehen, erzählt Felix. Dort habe er studiert und den Rechtsruck der Gesellschaft hautnah miterlebt. Seitdem feiere er die Band, die genau das immer wieder in ihren Texten thematisiere. Tatsächlich beweist die Antilopen Gang an diesem Abend einmal mehr, dass das geht: Für Stimmung sorgen und Haltung zeigen - und wie verdammt relevant das für das System ist.

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