Prozess:Rausch zur Schmerzlinderung

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Ein Paar baut Marihuana an. Die Droge hilft der Frau gegen ihre Krankheit. Trotzdem müssen beide eine Geldstrafe zahlen.

Von Jacqueline Lang, Röhrmoos

Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz werden vor dem Dachauer Amtsgericht häufig verhandelt, der Fall eines Röhrmooser Ehepaares ist dennoch in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich. Die 44-jährige Ehefrau und ihr 41-jähriger Ehemann haben in ihrer Wohnung Marihuana angebaut und das in großen Mengen: Die Polizei beschlagnahmte knapp 300 Gramm Gras. Allerdings stand für die beiden, wie Richter Tobias Bauer es in seiner Urteilsbegründung formulierte, "nicht der Rausch, sondern die Linderung" im Fokus.

Die angeklagte Röhrmooserin leidet unter anderem an der systemischen Autoimmunkrankheit Lupus. Bei dieser richten sich Abwehrmechanismen gegen den eigenen Körper. Um die daraus resultierenden chronischen Hautentzündungen zu lindern, wollte das Ehepaar eigenen Angaben zufolge ein von einem Arzt empfohlenes Öl herstellen, das es nicht zu kaufen gibt und für dessen Produktion bis zu 500 Gramm Marihuana erforderlich sind. Vor Gericht gaben die Eheleute den Besitz vollumfänglich zu. Das Schöffengericht befand die Geständnisse trotz der ungewöhnlichen Geschichte der Angeklagten für glaubhaft und verurteilte die beiden zu Geldstrafen von je 150 Tagessätzen, die Frau in Höhe von 15 Euro, ihren Mann in Höhe von 80 Euro.

Anders als die Staatsanwältin sah das Gericht trotz der hohen Menge an sichergestelltem Marihuana einen minderschweren Fall für gegeben, wodurch sich aus Sicht von Richter Bauer eine Freiheitsstrafe auf Bewährung in eine Geldstrafe umwandeln ließ.

"Mir tut's leid, dass ich da den falschen Weg gewählt habe letzen Endes"

Seit 2012 ist die Angeklagte in Frührente, weil nicht nur die Autoimmunkrankheit, sondern auch eine posttraumatische Belastungsstörung und eine Depression das Arbeiten für die gelernte Kauffrau unmöglich machen. Weil sie zudem keine herkömmlichen Medikamente vertrage, sei ihr 2016 erstmals medizinisches Marihuana verschrieben worden, führte ihre Verteidigerin vor Gericht aus. Nachdem ihr Arzt seine Praxis habe schließen müssen und sich zunächst kein anderer Arzt habe finden lassen, der ihr das Marihuana verschrieben hätte, das in der Apotheke ohnehin extrem teuer sei - 20 Gramm kosten rund 500 Euro, die von der Kasse nur in Ausnahmefällen übernommen werden - habe sich das Ehepaar nicht anders zu helfen gewusst, als die schmerzlindernde Droge Ende 2019 selbst anzubauen.

Auf die Frage von Richter Bauer, warum sie sich bislang nie um eine Kostenübernahme bemüht habe, sagte die Angeklagte, dass der bürokratische Aufwand wahnsinnig hoch sei und die Erfolgsaussichten gering. Hinzu komme, dass es trotz der Erlaubnis, Marihuana zu verschreiben, kaum Ärzte im Raum München gebe, die dies auch täten. Bei der Kassenärztliche Vereinigung habe man sie "ausgelacht"als sie sich an diese gewandt habe. Nach der Beschlagnahmung der Polizei habe sie nun aber endlich wieder einen Arzt gefunden, der ihr Gras und CBD-Öl verschreibe. Am Ende der Verhandlung sagte die Angeklagte: "Mir tut's leid, dass ich da den falschen Weg gewählt habe letzen Endes." Nun wolle sie alles richtig machen.

Sie litt an einer Psychose

Aufgeflogen war der Anbau letztlich, weil die Röhrmooserin im Februar des vergangenen Jahres eine Psychose erlitt und daraufhin ohne Schuhe zum Bahnhof lief. Ihr Mann, der sie dort fand, versuchte sie durch Festhalten davon abzuhalten, in die S-Bahn einzusteigen. Ein Passant, der die Szene offenbar besorgniserregend fand, rief die Polizei. Der 41-Jährige, der wie er selbst sagte, "völlig überfahren" von der Situation gewesen sei, ließ die Beamten im Anschluss in die Wohnung, wo diese sofort das Gras rochen. Richter Bauer bezeichnete die Umstände der Entdeckung als "außergewöhnlich", doch der Angeklagte sagte nur, er habe ja "nichts zu verbergen" gehabt - bis auf die illegalen Pflanzen eben. Ihm sei es in dieser Situation und auch sonst immer nur um das Wohl seiner Frau gegangen. Die beiden Verteidiger sprachen von einem "tragischen Fall".

Weil die Frau einen Großteil ihrer Rente für die Linderung ihrer Beschwerden benötigt - monatlich im Schnitt knapp 1000 Euro - und finanziell auf ihren Ehemann angewiesen ist, der als Informatiker arbeitet, waren sich die beiden Verteidiger nicht sicher, ob eine Bewährungsstrafe, wie von der Staatsanwaltschaft vorgeschlagen, oder eine Geldstrafe besser wäre. Richter Bauer und die Schöffen entschieden letztlich, dass Ehepaar aufgrund "der besonderen Umstände" lediglich zu Geldstrafen zu verurteilen. Die Summe, die der Mann bezahlen müsse, sei nur höher, weil er mehr verdiene. Das Schöffengerichte teilte die Auffassung der Staatsanwältin, dass es sich bei dem Paar nicht um "typische Drogenkonsumenten" handele. Das Ausmaß des Leids der Frau, das zu der Tat geführt habe, so Richter Bauer, wolle er sich gar nicht ausmalen.

© SZ vom 09.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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