SZ-Serie: Bauen in Dachau, Folge 3:Die neuen Nachbarn

In der Dachauer Altstadt haben auch moderne Bauformen ihren Platz. Mit Gespür für den Ort gestaltet können sie eine Bereicherung sein

Von Gregor Schiegl

Paul Havermann

Paul Havermann ist Gründungsmitglied des Architekturforums Dachau. Als Kunstlehrer unterrichtete er an Dachaus Gymnasien und in Mailand. Als Künstler begleitete er Bau und Gestaltung zahlreicher Gebäude in seiner Heimatstadt.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Die Dachauer Altstadt muss kein Freilichtmuseum werden, um ihren besonderen Charakter zu bewahren, das zeigt der zweite Teil des Rundgangs mit dem Künstler Paul Havermann: Moderne Bauformen können sich in den Stadtraum sinnvoll einfügen, die Altstadt bereichern und aufwerten, wohingegen nicht alles, was auf den ersten Blick nach historischem Bestand aussieht, auch tatsächlich architektonische Qualität hat; das wurde bereits in der ersten Etappe des Rundgangs deutlich. "Insgesamt ist die Dachauer Altstadt liebenswert und in vielen Teilen gut erhalten, beziehungsweise gut neu gestaltet", bilanziert Paul Havermann. "Leider ist an drei, vier markanten Punkten das, was gute Architektur ausmacht, nicht erfüllt: der nachgebaute Komplex von Rössler- und Teufelharthaus, der Koschade-Umbau und der vordere Teil des Schermhofs zur Konrad-Adenauer-Straße." Im zweiten und abschließenden Teil des Rundgangs fokussiert sich Havermann auf die positiven Beispiele für Bauen in der Altstadt, auch und gerade mit zeitgemäßen, modernen Bauformen.

Kaufhaus Rübsamen

Havermann Architektur Rundgang

Das modernisierte Kaufhaus Rübsamen.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

An der Pfarrstraße 1, Ecke Augsburger Straße, wird das alte Kaufhaus gerade zum neuen Kaufhaus Rübsamen und in eine vielseitig nutzbare Büro- und Wohnimmobilie umgebaut und renoviert. Errichtet worden ist es in den 1970-er-Jahren auf dem Areal des damaligen Birgmann-Bräus.

"Obwohl die Arbeiten an einigen Stellen noch nicht abgeschlossen sind, zum Beispiel am Sockel, wirkt das Gebäude in seiner Fassadengliederung, dem Fassadenanstrich und den neuen, wie kleine Ausstellungskabinette gestalteten Schaufenstern einladend und fügt sich ohne großspurige Geste ein. Die Umwidmung mit Wohnen und Praxen in den oberen Stockwerken ist Teil einer einladenden Modernisierung. Jedes Detail stimmt, ob es die Sicherung an den Fenstern ist oder die Farbgebung, die Ausführung ist gelungen. Ich finde auch die Schaufenster sehr schön, sie sind nicht zu groß, das macht neugierig und wirkt einladend - toll gemacht! Bei den neuen Farbfeldern zwischen den Fenstern war ich anfangs ein wenig skeptisch, aber jetzt muss ich sagen: Das sieht klasse aus. Hier haben wir ein hervorragend gelungenes Beispiel, wie man ein historisch nachempfundenes Gebäude, das ja erst in den Siebzigerjahren gebaut wurde, an die heutige Zeit anpassen kann - auch mit den heutigen Ansprüchen an Verkauf und Weitervermarktung. Die Holztür ist vermutlich noch ein Provisorium und wird noch ersetzt, der Sockel muss wie gesagt noch gesetzt werden. Jetzt kommt es darauf an, dass das Forum zum Eingangsbereich gut gestaltet wird. Aber nach allem, was man hier bisher sieht, bin ich sehr zuversichtlich, dass das gelingen wird."

Einfamilienhäuser, Klosterstraße

Havermann Architektur Rundgang

In der Klosterstraße finden sich neue Einfamilienhäuser.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Weiter geht es die Klosterstraße hinauf. Rechts und links auf halber Höhe stehen neue Einfamilienhäuser.

"Die Häuser ersetzen ehemalige, nicht erhaltenswerte Gewerbe- und Wohnbauten und fügen sich ohne aufzutrumpfen in den Straßenzug ein. Umnutzung, Nachverdichtung auf engem Raum, Rücksicht auf den Bestand und Umgebung: So geht Architektur.

Unterstrichen werden die Häuser durch ihre individuelle Gestaltung mit modernen, aber nicht fremd wirkenden Materialien, handwerklich fein gearbeitet, bis ins Detail geplant. Der Anstrich der Häuser auf der linken Straßenseite, Klosterstraße 3, ist trotz seiner Farbintensität nicht aufdringlich, er wirkt im Kontrast zu den in Beton ausgeführten Einfassungen der Fenster geradezu heiter und fröhlich. Auch die Häuser gegenüber überzeugen durch bauliche Qualität. Man sieht: Auch in einem alten Bestand ist ein zeitgemäßer Ausdruck von Architektur möglich.

Besonders erwähnenswert ist das Haus Nummer 9a. Auf den ersten Blick unspektakulär fallen beim zweiten Hinschauen aber die unterschiedlich in den Geschossen gesetzten Fenster auf. Im Obergeschoss flächenbündig mit der Fassade, im Parterre tief liegende, mit stattlichen Laibungen nach innen gesetzte Fenster. Zusammen mit der ganz besonders gestalteten Eingangssituation ergibt sich ein Baukörper von großer Stimmigkeit. Die Einfassung des Eingangs mit hellem Naturstein - auf einer Seite eine schräge, tiefe Laibung, die eine flächenbündige Beleuchtung und das eingepasste Klingelschild mit Sprechanlage aufnimmt, ausgeführt in Metall mit Patina - ist wie selbstverständlich zusammengefügt wie aus einem Guss. Die linke Seite der Laibung, tief, aber rechtwinklig nach innen laufend ist ebenfalls in Naturstein gefasst und zudem mit einer halbkugelförmig ausgebildeten Höhlung versehen, eingelassen, um den Türknauf bei der nach außen aufgeschlagenen Türe aufzunehmen. Der Eingang mit dem im Stein eingemeißelten Straßennamen und Hausnummer, ein bis ins kleinste Detail durchgestaltetes Bauelement, ein skulpturales Architekturteil - wahre Baukunst! Jedes Mal erfreue ich mich wieder an dieser Eingangssituation. Es ist eine Eingangsgestaltung die einen willkommen heißt, man hat wirklich das Gefühl, man wird mit einer Umarmung begrüßt."

Havermann Architektur Rundgang

Im auf den ersten Blick unspektakulären Haus mit der Nummer 9a fallen beim zweiten Hinschauen die Fenster besonders auf.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Ehemalige Schlossbergbrauerei

In dem teilweise denkmalgeschützten Gebäude von 1890 wird schon lange kein Bier mehr gebraut, auch der Biergarten am Schlossberg ist schon seit mehr als zehn Jahren geschlossen. Ein Investor aus München macht aus dem heruntergekommen Gebäude ein Wohnhaus mit Tiefgarage. Die Gestaltung orientiert sich am historischen Erscheinungsbild.

Havermann Architektur Rundgang

Die alte Brauerei wurde detailgetreu restauriert.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

"Die Instandsetzung und Umwidmung der alten Dachauer Schlossbergbrauerei steht kurz vor der Fertigstellung. Die Gestaltung ist stimmig, die Fensteröffnungen der Hauptfassaden wurden so beibehalten, wie man sie vorgefunden hat, neue kamen im Zuge des Umbaus des Nebengebäudes auf der Westseite hinzu. Das rote Ziegeldach wurde mit sehr aufwendig in Kupfer gestalteten Gauben zum Wohnen aufgewertet, es bleibt trotzdem als ruhige Fläche erhalten. Der ehemalige Schornstein wurde als Zitat erhalten und ins Wohngebäude integriert. Die Farbgestaltung der Fassade, die Zweifarbigkeit der Fenster, der Fensterstock in Rot, die Flügel in Weiß und die in der Fassadenfarbe gefassten Fensterläden runden das Erscheinungsbild harmonisch ab. So waren die Fenster auch schon gestaltet, als ich noch ein Kind war. Dass man das alles historisch so detailgetreu wiederhergestellt und zugleich in die Gegenwart geholt hat, empfinde ich als Geschenk."

Baumhaus / Rotes Wohnhaus

Bezugspunkt des modernen offenen Atelierhauses des Architekturbüros Voitländer/Deffner in der Gottesackerstraße 21 ist eine alte Linde. Alle Aufenthaltsräume des Hauses orientieren sich zum Baum. 2005 erhielt das "Baumhaus" den Gestaltungspreis der Stadt Dachau. Direkt dahinter steht das rot gestrichene Mehrfamilienhaus, das zur gleichen Zeit entstanden ist.

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Die alte Linde an der Färbergasse bestimmt Ausrichtung und Design des Atelierhauses.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

"Das Moosederhaus wirkt nicht nur von außen mit den wie Laubengänge gestalteten Zugängen im zweiten Obergeschoß ansprechend, ich kenne auch die Wohnungen darin. Sie vermitteln eine super Wohnqualität - sehr hell, mit unterschiedlichen Ebenen, mit Blick in die kleinen Stadtgärten und in die gegenüberliegende Dachlandschaft. Zur Linde hin sind die Eingänge durch Buchenhecken voneinander getrennt und bilden schon vor dem Haus kleine private Bereiche in dem sonst öffentlich zugänglichen Raum. Das ist ein sehr schönes Beispiel für zeitgenössische Architektur in der Altstadt, gerade wegen der relativ hohen, aber gut angepassten Nachverdichtung in der Innenstadt. Das im rechten Winkel dazu stehende Wohnhaus mit dem Architekturbüro steht parallel in etwas Abstand zur Häuserzeile in der Augsburger Straße und nimmt in etwa die Kubatur des Vorgängerbaus auf. Die alte, sanierte Ziegelmauer, ein historisches, Detail bildet einen schönen Kontrast zu der überraschend gestalteten Außenhaut des Atelierhauses; dabei dient die Gasse als Stellplatzfläche und Vorplatz zu den Eingängen. Und dann auf der anderen Seite dieser halböffentliche Platz mit der alten, stattlichen Linde, die CO₂ speichert, Sauerstoff zurückgibt und dem gesamten Platz eine hohe Aufenthaltsqualität verschafft. Dabei ist der Riesel, der den ganzen Platz bedeckt ein ruhiges, fast kontemplatives Gestaltungselement, nicht zu vergleichen mit den vermeintlich pflegeleichten, leider oft gesehenen Schottervorgärten. Die Idee, dass man diesen Baum als abstrahierte Abbildung in der Fassade aufnimmt, ist wirklich eine sehr schöne, fast poetische Idee. Der Genius loci, der Geist des Ortes, das Zusammenspiel der Umgebung mit Straßenraum und Platz, Natur und Architektur wird hier zusammen mit der Offenheit des Hauses, seiner Transparenz in seiner ganzen Bedeutung erlebbar."

In der Folge 4 verlassen wir die Dachauer Altstadt und stellen beispielhafte Projekte aus der unteren Stadt vor.

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