Dachau:Als Elfjähriger im Widerstand

Zeitzeugengespräch

Der Wiener Erich Finsches beim Zeitzeugengespräch in der KZ-Gedenkstätte Dachau.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Der Holocaust-Überlebende Erich Finsches aus Wien entfloh mehrmals der SS und kämpfte mit Titos Partisanen

Von Dajana Kollig

Dachau - "Die Leuten haben immer gesagt, das hat es nicht gegeben. Leider hat es das doch." Mit diesen Worten beginnt Erich Finsches, Holocaust-Überlebender aus Wien, seinen Vortrag in der Veranstaltungsreihe der "Dachauer Zeitzeugengespräche" in der KZ-Gedenkstätte Dachau. Die Zuhörer lauschen dem detaillierten Bericht des 92-jährigen Zeitzeugen, dem seine Kindheit und seine Familie 1938 von den Nationalsozialisten geraubt worden sind. Die Gedenkstättenleiterin Gabriele Hammermann moderiert das Gespräch mit Finsches, der sich genau an seine Verfolgungsgeschichte erinnert.

Erich Finsches wurde 1927 in Wien geboren. Sein Vater, Julius Finsches, wird 1938 nach dem "Anschluss" Österreichs von der Gestapo verhaftet - wie viele andere Juden, auf die sofort Jagd gemacht wurde, von Deutschen aber auch dem Großteil der Wiener nichtjüdischen Bevölkerung. "Wir haben gedacht, es kann uns nichts passieren, wir haben uns doch nichts zu Schulden kommen lassen", erzählt Finsches. Der damals erst elf Jahre alte Erich gerät bei der Suche nach seinem Vater selbst hinter Gitter und wird von der Gestapo schwer misshandelt. Er wird in das Arbeitslager Eisenerz verschleppt, von wo aus ihm die Flucht gelingt. Vier Monate lang lebt der Elf jährige im Wald, schläft in Futterkrippen und ernährt sich von dem, was er finden kann. Als er wieder in Wien ankommt, macht er seine Mutter ausfindig, die mittlerweile gezwungen wurde, mit vier anderen jüdischen Familien in einem Zimmer zu wohnen. Da er hier keinen Platz findet, lebt er fortan im Untergrund. Ausführlich erzählt Finsches, wie er bei Bäckern um altes Brot bettelte oder die Nacht unter dem Kirchenaltar verbrachte.

1942 wird er von der Gestapo erneut verhaftet und zur Zwangsarbeit verpflichtet. Finsches flieht kurze Zeit später nach Ungarn, wo er in Budapest eine Lehre als Elektroinstallateur beginnt. Über Umwege kommt der Junge zu einer Spionagetätigkeit, bei der er, getarnt als Lebensmittelverkäufer die Soldaten am Bahnhof aushorcht. Er leitet die Informationen an Josip Broz Tito von den kommunistischen Partisanen weiter und bekommt die Aufgabe, im Einsatz gegen die Deutschen eine Brücke im ungarischen Grenzgebiet zu sprengen. Bei der Aktion wird Finsches angeschossen und schwer verletzt von Männern der SS aufgegriffen. 1944 wird er nach Auschwitz deportiert. Von dort aus wird er im September in das Dachauer Außenlager Mühldorf verschleppt, wo er unter unmenschlichen Bedingungen Bunkeranlagen für die Kriegswirtschaft bauen muss. "Manche sind einfach abgerutscht, die hat man dann einbetoniert, man durfte ja nicht helfen, sonst wäre man bestraft worden", berichtet er. Finsches vermittelt den Zuhörern einen Eindurck der unfassbaren Brutalität in den Lagern. "Leben und überleben, nie nachgeben, hat es geheißen", sagt Finsches, "daran hab ich mich gehalten". Auch heute hat er noch mit körperlichen Behinderungen zu kämpfen, die aus dieser Zeit stammen. Im Außenlagerkomplex bei Kaufering erlebt er, körperlich vollkommen zerstört, die Befreiung durch die amerikanischen Truppen mit.

Die detaillierten Erinnerungen Finsches verblüffen. Der 92-Jährige erzählt fast fünf Stunden lang und lässt sich auch von wiederholten Anmerkungen Hammermanns, man könne ja jetzt mal zum Jahr 1944 kommen, nicht irritieren. Eine so ausführliche Erzählung, meint sie, habe sie noch nie erlebt, sie bewundere sein Gedächtnis. Heute lebt Fisches in Wien, wo er nach dem Krieg geheiratet und eine Familie gegründet hat. Er nimmt seit vielen Jahren regelmäßig an den Befreiungsfeiern in Dachau teil.

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