Dachau:Alltagsdelikt Unfallflucht

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Die Zahl der Autofahrer, die sich nach einem Crash aus dem Staub machen, nimmt dramatisch zu. Psychologen erklären das mit dem Erwartungsdruck und den Versagensängsten, denen die Menschen heute ausgeliefert sind

Von Walter Gierlich, Dachau

Beinahe jeden Tag meldet die Polizei eine Unfallflucht, und längst nicht immer geht es dabei nur um eine kleine Delle am Kotflügel oder einen Kratzer an der Stoßstange. So ist am Mittwoch voriger Woche beispielsweise ein noch immer unbekannter Autofahrer in der Dachauer Altstadt mit solcher Wucht auf ein geparktes Auto gekracht, dass dieses um einen Meter nach vorne geschoben wurde. Trotz des lauten Krachs, der die Anwohner aufgeschreckt hatte, flüchtete der Unfallverursacher. Vermutlich in einer Angstreaktion, die die Dachauer Verkehrspsychologin Regina Hupfer als Hauptursache für Unfallfluchten nennt. Die Entwicklung in den vergangenen Jahren ist dramatisch: Machten sich vor zehn Jahren im Landkreis 663 Autofahrer nach einem Unfall aus dem Staub, so waren es 2013 bereits 899.

"Tendenz steigend in den letzten Jahren", stellt denn auch der Pressesprecher der Dachauer Polizei, Michael Richter, betrübt fest. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres habe es zwar einen leichten Rückgang bei der Zahl der Unfallfluchten um 9,52 Prozent gegeben, doch allzu hoffnungsvoll, dass es sich um eine Trendumkehr handeln könnte, ist Richter nicht. "Warten wir ab, bis die Jahresstatistik vorliegt", sagt er. 380 Mal sind Autofahrer im ersten Halbjahr nach einem Unfall abgehauen, ohne sich um den Schaden zu kümmern. Und 227 sind damit davongekommen, teilt Richter mit. Aber umgekehrt heißt das auch, dass die flüchtigen Unfallverursacher in 153 Fällen erwischt wurden. Meist, so Richter, hätten die Beamten die Verursacher dank aufmerksamer Bürger erwischen können. "Die Täter sollten es sich daher schon zweimal überlegen, ob sie abhauen", sagt der Polizeisprecher.

Er jedenfalls würde jedem Unfallfahrer raten, sich beim Geschädigten oder der Polizei zu melden. Denn das Schlimmste, was ihm in dem Fall passieren kann, ist, dass ihn die Versicherung hoch stuft. Doch wenn er sich nach der Kollision davonmacht, wird das als "unerlaubtes Entfernen vom Unfallort" gewertet. Eine Geldstrafe wird dann immer fällig, dazu kann je nach Schwere des Unfall ein Fahrverbot oder gar der Führerscheinentzug kommen.

Die meisten der Unfallfluchten passieren auf großen Parkplätzen, beispielsweise von Supermärkten und Einkaufszentren, wo es oft recht eng hergehe, erklärt Richter. Oft ist der Schaden dabei nur gering, doch kann sich der erfahrene Polizeibeamte nicht vorstellen, dass der Verursacher den Aufprall nicht bemerkt hat, wie häufig als Ausrede vorgebracht werde. Für ihn ist ohnehin neben den vielen Großparkplätzen der dichte Verkehr in Dachau eine der Hauptursachen für die stetig steigende Zahl an Unfallfluchten. Ein Indiz für diese These lässt sich aus der Statistik 2013 herauslesen: Allein 418 der registrierten 899 Fahrerfluchten ereigneten sich in der Großen Kreisstadt.

Von Jahr zu Jahr häufiger müssen Polizisten und Gutachter Spuren an Autos sichern, die durch unfallflüchtige Fahrer beschädigt wurden. (Foto: Alessandra Schellnegger)

"Eine Fahrerflucht ist meist gar keine überlegte Reaktion", sagt die Verkehrspsychologin Regina Hupfer. "Es ist eine Affektreaktion, aus der man dann nicht mehr heraus kann." Dass die Zahl der Unfallfluchten von Jahr zu Jahr steigt, hat nach Ansicht Hupfers damit zu tun, dass der Druck auf die Menschen steigt, die Erwartungen höher werden und damit auch die Versagensängste zunehmen. Die Psychologin, die unter anderem auch Verkehrssünder, die ihre Fahrerlaubnis verloren haben, auf die medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) vorbereitet, sieht oft auch mangelndes Selbstbewusstsein als Grund dafür, dass Autofahrer nach einem Crash einfach flüchten: "Das ist impulsgesteuert, die sagen sich: ich darf ja eigentlich nichts falsch machen."

Nach ihrer Einschätzung sind es oft ältere Menschen, die Unfallflucht begehen - aus Angst, ihren Führerschein zu verlieren und nie wieder zu bekommen. Hoher Erwartungsdruck und die Angst, etwas falsch zu machen, sieht die Psychologin als Ursache, warum junge Leute nach einem Unfall flüchten. Doch wie die MPU, die für viele Verkehrssünder eine Chance sei, weil sie ihr Verhalten von Grund auf änderten, könne auch eine misslungene Unfallflucht Anstoß zum Lernen sein, betont Regina Hupfer: "Eine Unfallflucht machen die Leute nur einmal."

© SZ vom 29.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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